Die Kolonie Tongalen. Chris Vandoni

Die Kolonie Tongalen - Chris Vandoni


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      Vollständige E-Book-Ausgabe der im Spiegelberg Verlag erschienenen Buchausgabe

      1. Auflage 2012

      2. Auflage 2015

      ISBN 978-3-939043-65-2

      © Spiegelberg Verlag, Schweiz 2015

      Covergestaltung & Datenkonvertierung: Marktfotografen GmbH, www.marktfotografen.de

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      Chris Vandoni stammt aus dem Tessin, lebt aber seit der Kindheit in der deutschen Schweiz und ist in der IT-Schulung tätig. Der langjährigen Freundschaft mit dem 2005 verstorbenen Perry-Rhodan-Autor Walter Ernsting (Clark Darlton) entsprang die Inspiration zum Schreiben. Erste unveröffentlichte Romane entstanden bereits in den 80er-Jahren.www.vandoni.ch

      In Gedenken an Walter Ernsting,einem Visionär und Freund.

      Die schwülwarme Luft im Raum ließ jeden Atemzug zu einer schweißtreibenden Qual werden. Zahlreiche Fliegen hingen lustlos an den Wänden und an den offenen Fensterscheiben. Der Deckenventilator tat seine Pflicht, ohne dabei größere Wirkung zu erzielen.

      Michael O’Donovan legte seinen Füllfederhalter beiseite, wischte sich den Schweiß von der Stirn und erhob sich mühsam. Sein Sessel knarrte erleichtert, als ob er sich über die Befreiung von einer schweren Last freuen würde.

      Während Michael sich an die Schreibtischkante stützte, drehte er sich um und sah aus dem Fenster. Das Sonnenlicht, das an die brüchige Fassade der gegenüberliegenden Häuser prallte, blendete ihn. Er kniff die Augen zusammen und nahm seine Lesebrille ab.

      Die Aussicht erinnerte ihn an seine Jugendzeit im fernen Heimatland. In den letzten Jahrzehnten hatte sich hier nichts verändert. Die Technik war irgendwo außerhalb der Wüste von Nevada stehen geblieben. Es machte den Anschein, als wäre das Gebiet von Zivilisation und Fortschritt völlig vergessen worden. Doch das kümmerte die spärlichen Einwohner herzlich wenig.

      Über der staubigen Straße vollführte die heiße Luft einen flimmernden Tanz. Der vom letzten Sturmwind umhergewehte Unrat sammelte sich im Rinnstein.

      Michael griff nach seinem an der Fensterbank angelehnten Stock. In vorauseilenden Gedanken traf er sich gleich nebenan in der Bar, wo er sich jeden Abend mit seinen Freunden noch einen Whisky genehmigte. Eilig hatte er es nie, sich dort einzufinden. Er genoss die Zeit davor, in der er sich in bescheidener Weise darauf freuen konnte.

      In Down Hill war Eile ein Fremdwort. Dafür war der winzige Ort, mitten in der Einöde, viel zu abgeschieden und zu unbedeutend. Farmer und alteingesessene Menschen mit Traditionen, die in weitem Umkreis um das Städtchen lebten, ließen sich höchst selten hier blicken. Für die wenigen, meist älteren Einwohner, war jeder Tag wie der andere.

      Michael drehte sich um. Er hatte sich vorgenommen, vor dem Verlassen des Büros noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Schon den ganzen Tag hatte er versucht, daran zu denken, um es am Ende nicht zu vergessen. Bedächtig ging er zum Aktenschrank, schloss ihn auf und entnahm ihm eine digitale Datenkarte. Anschließend bewegte er sich zu einem zweiten Sessel neben dem Schreibtisch, auf dem sein Aktenkoffer geduldig wartete.

      Er legte die Karte mit einer langsamen Bewegung zu den anderen Sachen, als ob er darauf achten müsste, dass nichts verloren ging. Er schloss den Deckel des Koffers, stützte sich und hob ihn auf.

      Bevor er sich zur Tür drehte, blieb er einen Moment stehen und bedachte die Schreibtischoberfläche mit einem prüfenden Blick. Alles lag an seinem Platz. Ordnung war sein oberstes Gebot. Er hätte blind nach jedem Gegenstand greifen können, alles würde er auf Anhieb finden. Ähnlich eines Rituals hatte jedes Ding seit Jahren seinen angestammten Platz.

      Michael O’Donovan wandte sich um und schlurfte dem Ausgang entgegen. Er war in seinen alten Tagen nicht mehr der Schnellste, konnte es sich jedoch leisten, sich Zeit zu nehmen. Der knarrende Fußboden gab seinen gewohnten Monolog von sich.

      Als er die Tür erreichte, beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Obwohl sein Gehör nicht mehr zum allerbesten zählte, glaubte er, ein fremdes Geräusch vernommen zu haben.

      Langsam drehte er den Knauf. Das Klicken des Türschlosses ließ ihn zusammenfahren. Vorsichtig zog er den Griff zu sich heran.

      In der Folge ging alles sehr schnell. Während ihm die Tür entgegenknallte, zischten zwei Strahlenschüsse durch die Öffnung, die ihn mit voller Wucht in den Raum zurückschleuderten. Er fiel hart zu Boden. Unwillkürlich griff er sich an die Brust und betrachtete anschließend seine Hand. An seinen Fingern klebte Blut, sein Blut. Gleichzeitig spürte er den stechenden Schmerz in der Lunge.

      Die Erkenntnis war grausam, aber niemand konnte sie ihm durch eine andere ersetzen. Keinen Whisky mehr mit seinen Freunden, keine Spaziergänge mehr mit seinem treuen Vierbeiner, keinen Sonnenuntergang mehr auf seiner gemütlichen Veranda.

      Aus den Augenwinkeln sah er zwei Männer in sein Büro stürmen, die sich zuerst an seinem Schreibtisch und anschließend am Aktenschrank vergingen.

      »Nichts«, sagte einer der beiden nach einer Weile mit rauer Stimme und stieß einen derben Fluch aus.

      Michael hörte, wie Gegenstände zu Boden fielen, wie Papier zerknittert und Gegenstände umgestoßen wurden.

      »Hier, der Aktenkoffer«, rief der andere aufgeregt. »Vielleicht ist sie da drin.«

      Der Koffer wurde auf den Schreibtisch entleert und respektlos weggeworfen. Krachend fiel er von der Wand zu Boden.

      »Da ist sie.«

      Plötzlich war alles still. Die Einbrecher schienen ihren Fund zu kontrollieren und zu begutachten. Dann steckten sie ihn in ihre Tasche und stürmten mit polternden Schritten aus dem Raum.

      Michael spürte einen weiteren Stich. Das Atmen bereitete ihm große Schwierigkeiten. Er wusste, dass die Begegnung mit dem Tod nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Er fühlte den Schmerz kaum noch.

      Seine letzten Gedanken rasten zurück in seine Jugendzeit, in seine Heimat nach Clonakilty an der irischen Südküste, wo sein Vater und er oft mit dem Fischerboot aufs Meer hinausgefahren waren. Obwohl er selbst nie viel für den Anglerberuf übrig gehabt hatte, bescherten ihm die Erinnerungen daran ein Quäntchen Trost auf seinem bitteren Weg.

      Er spürte ein leichtes Bedauern, dem Handwerk seines Vaters nicht mehr Interesse entgegengebracht zu haben. Damals hatte er die meiste Zeit hinter Büchern verbracht. Seine Faszination von Recht und Gesetz zog ihn nach der Schule nach Dublin, um dort das Jurastudium zu absolvieren.

      Nach dem Tod seiner Mutter wanderte sein Vater mit ihm nach Amerika aus. Er erwarb dort von seinem Bruder ein Stück Land, um eine neue Existenz zu gründen. Mit der neuen Heimat hatte sich sein Vater jedoch nie richtig anfreunden können. Und so starb er ein paar Jahre später.

      Michael verkaufte die Farm und übernahm die Anwaltspraxis seines Onkels, der sich in der Zwischenzeit zur Ruhe gesetzt hatte.

      Mit seinen neunundneunzig Jahren würde nun hier und jetzt seine Anwaltskarriere, die eigentlich gar nie eine gewesen war, zu Ende gehen.


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