Die Kolonie Tongalen. Chris Vandoni
Eric ließ sich nicht zweimal bitten.
Ernest leerte sein Glas, worauf der androide Barkeeper ihn fragte, ob er nachschenken dürfe. Ernest nickte und legte die Finger seiner rechten Hand auf den Zahlscanner, von denen es direkt in den Tresen integriert an jedem Sitzplatz einen gab. Mit dem kurzen Aufleuchten eines kleinen grünen Quadrats auf dem Display bestätigte das Gerät das Erkennen des Fingermusters. Ernest tippte seinen Geheimcode ein. Ein weiteres grünes Quadrat besagte, dass der Betrag für das Getränk von seinem Konto abgebucht worden war.
In dem Moment, als er das Glas an seine Lippen führte, setzte sich ein Mann in einer schäbigen Kunststoffjacke neben ihn, klappte sein Hoverboard zusammen und legte es unter den Sessel. Er war völlig außer Atem.
»Na endlich!« Ernest zeigte sich verstimmt. »Dachte schon, du kreuzt heute gar nicht mehr auf.«
Mark Henderson atmete ein paar Mal tief durch, bevor er antwortete. »Die ließen mich mit meinem Gleiter in der Luft hängen, konnte nicht landen. Anscheinend gab es irgendein technisches Problem.«
Kaum hatte Mark zu Sprechen begonnen, tänzelte auch schon der Barkeeper heran und fragte ihn mit seiner übertrieben freundlich klingenden Stimme: »Was darf ich Ihnen servieren?«
»Ein kaltes Bier, bitte«, antwortete Mark, worauf sich die synthetischen Hände des Roboters sogleich daran machten, ein Glas voll aus dem Hahn zu zapfen.
Als Ernest den Drink bezahlen wollte, winkte Henderson ab und erledigte dies mit seinen eigenen Fingerabdrücken. »Kommt nicht in Frage. Wenn ich schon zu spät komme, kann ich wenigstens meinen Drink selbst begleichen.« Dann hob er das Kunststoffglas und sagte: »Zum Wohl.«
Ernest hob ebenfalls sein noch halb volles Whiskyglas und murmelte: »Ich verstehe nicht, wie du dieses synthetische Zeugs trinken kannst.«
»Mir schmeckt’s. Du solltest dir lieber mal Gedanken über einen neuen Raumgleiter machen«, nuschelte Henderson, nachdem er das Glas zur Hälfte geleert und sich den Schaumstreifen an der Oberlippe mit dem Jackenärmel abgewischt hatte.
»Bei jedem neuen Auftrag nervst du mich damit. Der Kahn tut‘s noch allemal für mich. Mit den neuartigen Dingern komm ich sowieso nicht mehr klar. Die haben zu viel technischen Schnickschnack.«
»Ach, das ist gar nicht so schlimm. Du hättest es auf jeden Fall einfacher, und es wäre wesentlich sicherer. Ich mache mir jedes Mal Gedanken darüber, ob du von den Aufträgen überhaupt wieder zurückkehrst.«
»Bis jetzt hab ich es immer ohne Probleme geschafft.«
»So ganz ohne Probleme auch wieder nicht. Ich möchte dich nur ungern an deinen vorletzten Auftrag erinnern.«
»Meinst du etwa den Schlamassel mit den exotischen Viechern?«
»Ja, genau den.«
»Da konnte ich doch nichts dafür. Mit meinem Gleiter hatte das auch nichts zu tun. Diese Dinger waren ausgebüxt und hatten mein Schiff verwüstet. Was glaubst du, warum keine andere Gesellschaft diesen Auftrag übernehmen wollte.«
»Du warst praktisch manövrierunfähig. Nicht auszudenken, wenn du nicht zufällig den Weg einer Patrouille gekreuzt hättest.«
»Ich wäre auch ohne die zurechtgekommen«, winkte Ernest ab.
»Das bezweifle ich, aber reden wir nicht mehr darüber.«
»Dann lass mal die Katze aus dem Sack. Warum bewegst du deinen Hintern höchstpersönlich hierher? Geht‘s um einen neuen Auftrag? Bisher ging das doch reibungslos über den Kommunikator.«
Mark Henderson war seit Jahrzehnten mit Ernest befreundet. Sein schütteres, hellgraues Haar unterstrich seine zweiundsechzig Jahre. Sein erweiterter Bauchumfang zeugte nicht von ausgesprochen sportlichen Aktivitäten. Als eingefleischter Fan von Elvis Presley, der noch immer als Legende verehrt wurde, trug er an seinen Wangen dieselben Koteletten, die jedoch in den letzten Jahren ziemlich ergraut waren.
Mark leitete früher eine Agentur für Autoren jeglicher Art und war Ernests Vermittler gewesen, als dieser noch Abenteuerromane geschrieben hatte.
Als Ernest mit dem Schreiben aufhörte, verkaufte Henderson seine Agentur und eröffnete ein Transportvermittlungsunternehmen. Zur damaligen Zeit war das eine zukunftsträchtige Branche, da die Transporte in den erforschten Bereichen der Galaxie immer mehr zunahmen.
Ernest wiederum bekam all seine Aufträge von Mark Henderson und kam damit sehr schnell ins Geschäft mit lukrativen Auftraggebern.
Henderson nahm einen weiteren Schluck Bier, stellte das Glas auf die Theke und dachte eine Weile nach. Dann kramte er eine digitale Datenkarte aus seiner Tasche und schob sie Ernest zu, der sogleich seine Hand darauf legte und sie in seiner Jackentasche verschwinden ließ.
»Daten für einen neuen Auftrag?«, fragte Ernest nicht überrascht.
»Genau. Eigentlich sind es zwei.«
»Gibt‘s dafür doppelte Prämien?«
»Hör erst mal zu. Der eigentliche Auftrag kommt vom Astronomical Museum of London. Die haben Gesteinsproben und Mineralien bestellt, die vom zweiten Planeten des TONGA-Systems zur Erde transportiert werden müssen. Und wenn ihr schon dahin fliegt, könnt ihr auf dem Hinweg etwas mitnehmen.«
»Und das wäre?«
»Ein paar chemische Substanzen, die dort zu einem neuen Medikament verarbeitet werden. Der Pharmakonzern Norris & Roach Labs Inc. betreibt in der Kolonie Tongalen eine Forschungsniederlassung.«
»Was ist an den beiden Aufträgen so besonders, dass du persönlich hierherkommst?«
»Einerseits war ich zufällig in der Gegend, und andererseits wollte ich sicher gehen, dass unser Gespräch nicht abgehört wird.«
»Gibt‘s irgendwelche Probleme mit einem der beiden Aufträge?«
»Sagen wir es mal so: Der Konzern möchte nicht, dass die Konkurrenz mitbekommt, was ihr transportiert. Du weißt ja, es gibt immer Möglichkeiten, ein digitales Gespräch abzuhören.«
»Das Ganze ist doch legal, oder?« Ernest sah seinen Vermittler skeptisch an.
»Was denkst du denn.« Henderson lachte spontan. »Habe ich dir jemals einen unseriösen Auftrag vermittelt? Mal im Ernst. Es geht eigentlich nur darum, dass euch nicht irgendein Auftragspirat die Fracht abknöpft. Du weißt doch, dass so was immer wieder vorkommt.«
»Wir hatten bisher Glück. Die bisherigen Begegnungen mit Piraten sind jeweils glimpflich ausgegangen. Aber wir waren ja auch erst ein paar wenige Male außerhalb des Sonnensystems, wo das bekanntlich öfter vorkommt.«
»Da hast du recht.«
»Warum wird dieses Medikament in Tongalen produziert und nicht hier auf der Erde?«
»Auf dem Planeten existiert ein pflanzlicher Rohstoff, den es auf der Erde nicht gibt.«
»Das klingt einleuchtend. Aber warum sagt mir mein Gefühl, dass da noch irgendetwas anderes ist?«
»Du kannst beruhigt sein. Es ist alles in Ordnung. Auf der Karte befinden sich die Auftragsdaten für beide Aufträge sowie die Kommunikationscodes für die Kontaktaufnahme mit den entsprechenden Leuten vor Ort.«
»Wie gefährlich sind diese chemischen Substanzen?«
»Solange man sie nicht zu sich nimmt, richten sie keinen Schaden an. Sie sind in bruchsicheren Behältern luftdicht verpackt und sollten sogar einen Absturz überstehen. Wenn ihr sie also nicht mit Gewalt öffnet, sollte nichts passieren. Eine genaue Dokumentation für das Vorgehen in einem Schadensfall befindet sich ebenfalls auf der Datenkarte.«
Ernests Miene verfinsterte sich erneut. »Dann geht der Pharmakonzern davon aus, dass unter Umständen etwas passieren könnte?«
»Eigentlich ist es so gut wie unmöglich, dass die Behälter während des Transportes zerstört werden können. Aber mit dieser Dokumentation erfüllt der Konzern lediglich die Sorgfaltspflicht,