Lords of the Left-Hand Path. Stephen Flowers
ab, das zu korrigieren, was er an ihren Praktiken und ihrer gewaltsamen Natur als ausschweifend betrachtete. Im Wesentlichen bestanden seine Reformen darin, die meisten (wenn nicht alle) Götter (Daevas) des überlieferten iranischen Pantheon durch Hierarchien von Verkörperungen eher abstrakter Wesenheiten oder Prinzipien (Yazatas) zu ersetzen.
Nach Zoroasters Theorie gibt es einen Gott, der absolut rein, gut und weise, aber nicht allmächtig ist. Er wird Ahura Mazda (Weiser Herr) genannt. Durch Gedanken erschafft er eine Hierarchie allsehender Geister. Darüber hinaus hat er ein ganzes Universum erschaffen, das Menok genannt wird. Es heißt, dass Ahura Mazda aus seinem eigenen freien Willen das Gute gewählt hat.74
Daraus ist ersichtlich, dass es ein moralisches System unabhängig von den Göttern geben muss, dem sie unterworfen sind. Unter den Schöpfungen Ahura Mazdas sind die Zwillinge Spenta Mainyu (segensreicher Geist) und Angra Mainyu (zerstörender Geist). Angra Mainyu übt seinen freien Willen anfangs darin, das Böse anstatt des Guten zu wählen. Die bloße Existenz Angra Mainyus schränkt letztlich die Güte Ahura Mazdas ein. Dann beginnt Angra Mainyu, einen Angriff auf die gute Schöpfung Ahura Mazdas zu planen (der in einigen Darstellungen mit Spenta Mainyu gewissermaßen gleichgesetzt wird). Doch Ahura Mazda erkennt in seiner allsehenden Weisheit Angra Mainyus Plan, und um sein bereits existierendes spirituelles Universum (Menok) zu verteidigen, erschafft er nach dessen Muster ein materielles Universum (Getik). Dieses materielle Universum wurde von Ahura Mazda also als Waffe oder Schild gegen Angra Mainyu verwendet. (Die späteren Systeme der Gnosis, die das materielle Universum als Schöpfung des „üblen Gottes“ erdachten, wären hochgradig ketzerisch gegen Zoroaster selbst.)
Einige Darstellungen berichten, dass Angra Mainyu eine „Gegenschöpfung“ ins Leben rief, in welcher er Ungeheuer (wie Wölfe und Spinnen) für jedes schöne Geschöpf Ahura Mazdas (wie etwa Hunde und Adler) erschuf. Andere Interpretationen behaupten, dass Angra Mainyu von den guten Geschöpfen Besitz ergriffen hatte oder ihnen innewohnte, um sie so zu verderben.
Doch was hat Angra Mainyu – der aus späteren Quellen als Ahriman bekannt ist – anderes getan, als Ahura Mazda die Rechtfertigung zu liefern, die er braucht, um seine Macht ins Grenzenlose auszudehnen, indem er, moralisch richtig, zur Verteidigung seiner guten Schöpfung handelt? Hier wird es offensichtlich, dass Angra Mainyu letztendlich – wenn auch unbewusst und unwillentlich – an Ahura Mazdas Plänen der Perfektion mitwirkt. So kann Angra Mainyu als ein Beispiel für „das Böse“ betrachtet werden, das die Ursache für das Gute hervorbringt. Eine Parallele kann hier zu J. W. von Goethes Teufel Mephistopheles gezogen werden, der von sich selbst sagt:
[Ich bin] ein Teil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
(Faust I, Vers 1136 - 1137)
Im orthodoxen zoroastrischen System wird die Menschheit ermahnt – nach dem Vorbild Ahura Mazdas –, aus freiem Willen heraus stets das Gute zu wählen. Tut sie dies, werden dadurch die Machenschaften Ahrimans vereitelt. Die Menschheit wird als das hauptsächliche Schlachtfeld zwischen Gut und Böse sowie als der Dreh-und Angelpunkt, auf dem das Schicksal der Welt ausbalanciert wird, betrachtet. Die Zoroastrier waren mit ihren Bestrebungen, die iranische Religion zu reformieren, beileibe nicht auf Anhieb erfolgreich, und nichts wies darauf hin, dass ihr System einmal zur offiziellen Religion am Hofe des Schah Darius werden würde – bis etwa 522 v.u. Z.75
Obwohl Zoroaster im östlichen Iran (auf der Ostseite des Zagros-Gebirges) lebte und sich sein System dort am stärksten entwickelte, verbreiteten sich die verschiedenen iranischen Reiche (von etwa 800 v.u. Z. an) und der Einfluss der iranischen Kultur durch Mesopotamien bis nach Kleinasien (die heutige Türkei). Im Westen des persischen Reiches hielt sich der Kult der Magus (sgl. Magu, „Priester“) stark und trotzte dem zoroastrischen Einfluss. Magu ist die ursprüngliche Wurzel des Begriffs „Magier“, der auch zum Singular Magus (pl. Magi) latinisiert wurde und hoch eingeweihte (und offenbar weise) Praktizierende der Hexenkunst bezeichnete. Mit der Zeit wurde jedoch der Kult der Magus fortschreitend von zoroastrischem Gedankengut durchdrungen, bis sie schließlich (von Außenstehenden) als zoroastrische Priester identifiziert wurden.
Genau genommen blühten die vorzoroastrischen Systeme während dieser Zeit weiterhin sowohl innerhalb als auch außerhalb des persischen Reiches, und manche Stimmen sagen, dass sie sich bis zum heutigen Tag gehalten haben. Auf jeden Fall ist bekannt, dass die ursprünglichen iranischen Glaubensvorstellungen (d. h. die Formen der Daeva-Verehrung) in der Gebirgsregion von Sogdia noch zur Zeit der islamischen Eroberung von 636 bis 800 bestanden haben.
Die wichtigsten vorzoroastrischen Systeme, die im Laufe der Zeit gleichwohl begonnen haben, Elemente des Zoroastrismus zu übernehmen (wie sich auch der Zoroastrismus vorzoroastrische Elemente zueigen machte), waren der Zurvanismus und der Mithraismus.
Zurvan ist eine iranische Gottheit, die sowohl die unendliche Zeit als auch das Schicksal verkörpert. Nach den Zurvanisten ist Zurvan der „Vater“ sowohl Ahura Mazdas (Ohrmazd) als auch Angra Mainyus (Ahriman). Dieses Konzept ist offensichtlich sehr alt und bestand möglicherweise bereits vor dem System Zoroasters.76 Wahrscheinlich findet die Vorstellung eines moralischen Dualismus, wie er in der zoroastrischen Theologie gelehrt wird, einen Ausdruck im Dualismus zwischen Geist (als Manifestation des Guten) und Materie (als Manifestation des Bösen) im System des Zurvanismus. Es kann nicht genug betont werden, dass die Ideologie, in welcher Geist = gut und Materie = böse ist, nicht zoroastrisch ist. Im orthodoxen Zoroastrismus gilt es als schwere Ketzerei, solches zu glauben, auch wenn es eine iranische Vorstellung zu sein scheint. Im Zurvanismus wird Ahura Mazda (Ohrmazd) auf eine Schöpfung Zurvans reduziert. Dies ist für orthodoxe Zoroastrier ebenfalls eine ketzerische Auffassung.
Abb. 2.4. Das zurvanistische System
Im Zurvanismus wird der Gott Mithra (vedisch Mitra) als Vermittler zwischen Ohrmazd und Ahriman gesehen. In Mithra haben wir eine weitere überdauernde Erscheinungsform der vorzoroastrischen Religion; solche Manifestationen gibt es sowohl durch die iranische Religionsgeschichte hindurch als auch in religiösen Systemen, die vom iranischen abgeleitet werden. Der Mithrakult hielt sich lange und besonders stark unter den Magus des westlichen persischen Reiches, vor allem in den Regionen um das Schwarze Meer. Es ist offensichtlich ein nicht-zoroastrischer, kriegerorientierter Mysterienkult.77 Eine gründliche Untersuchung des Mithraismus zeigt, dass es sich dabei um ein hoch entwickeltes System handelt, das sich aus der Religion der Kriegerbünde (Haenas) der iranischen Frühkultur entwickelt hat. Dies wird oft mit Elementen von Religionen und Mysterienkulten vermengt, mit denen die Mithraisten in Berührung kamen. Als die Römer von diesem Kult in Kenntnis erhielten (in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts u. Z.), verbreitete er sich bei den Soldaten im ganzen Römischen Reich. Im Gegensatz zu anderen bekannten Formen iranischer Religion kommt der Mithraismus ohne dualistisches Denken aus. Mithras (römisch: Mithras; Zurvanismus: Mithra), der in einiger Hinsicht einem anderen „Kulturhelden“ ähnelt, der ebenfalls am 25. Dezember geboren wurde, gelangt zur Erlösung durch die Opferung eines Stieres. Letztendlich musste dieser Stieropferkult dem Menschenopferkult des Christentums weichen.
Vom Standpunkt des orthodoxen Zoroastrismus gesehen, repräsentieren sowohl der Zurvanismus wie auch der Mithraismus ketzerische, „böse“ Pfade der Dunkelheit: der Zurvanismus, weil er Ohrmazd als Zurvan untergeordnet betrachtet und weil er das materielle Universum zu einer Schöpfung des bösen Gottes reduziert; der Mithraismus, weil er die Verehrung eines der alten Götter (Daevas), Mithra, in den Mittelpunkt stellt. Darüber hinaus wird der bei Nacht verehrt (was an sich schon unter orthodoxen Zoroastriern einen bösen Akt der „Teufelsverehrung“ darstellt), und er ist ein Kriegergott, der einen kosmischen Stier opfert, um die Welt zu erschaffen, was an den Opferkult der alten iranischen Kriegerbünde (Haenas) erinnert. Die Anhänger des Mithra haben an diesem Opfer teil und werden damit selbst zu Schöpfern.
Abb. 2.5. Mithras opfert einen Stier, Seite A von einem Relief aus dem 2./3. Jahrhundert (Louvre)