Beutewelt V. Bürgerkrieg 2038. Alexander Merow
Shosha Panzer zum Einsatz gekommen, die bei den Kämpfen wertvolle Dienste geleistet hatten.
Noch im Siegestaumel stießen die Japaner schließlich Hunderte von Kilometer in das kalte Ödland Sibiriens jenseits der nordchinesischen Grenze vor und standen bald vor riesigen, kaum besiedelten Weiten.
Im Gegenzug reagierte die Weltregierung und ließ GCF-Verbände die Philippinen angreifen. Der japanische Präsident musste nun selbst entsetzt mit ansehen, wie das abtrünnige Land in Südasien, sein Verbündeter, innerhalb weniger Tage von den internationalen Streitkräften über den Schnabel genommen wurde. Die japanischen Hilfsstreitkräfte kamen zu spät. Schon am 23. März war die philippinische Hauptstadt Manila gefallen und die rebellische Regierung abgesetzt worden. Der unabhängige Staat war im Sturm überrannt worden und wurde aufgelöst. Ein der Weltregierung treu ergebener Sub-Gouverneur kam wieder an die Macht und die Philippinen wurden erneut dem Weltverbund angegliedert.
Artur Tschistokjow und sein Kabinett nahmen die Meldungen aus Ostasien mit einem lachenden und weinenden Auge zur Kenntnis. Einerseits hatte sich Japan endlich bereit erklärt ihnen zu helfen, andererseits war einer der wenigen verbündeten Staaten, die sich von der Weltregierung gelöst hatten, innerhalb kürzester Zeit von der Landkarte gefegt worden.
Derweil tobten die Kämpfe im Westen Russlands weiter. Vitali Uljanin verlegte einige Divisionen nach Irkutsk in Sibirien, um einem japanischen Angriff zuvorzukommen, und setzte ansonsten seine Eroberungskampagne im russischen Westen erfolgreich fort.
„Bis zu die japanische Küste es sind fast 14.000 Kilometer!“, stöhnte der weißrussische Präsident. Er sah Außenminister Wilden desillusioniert an. Offenbar hatte sich seine kurzzeitige Euphorie bezüglich des japanischen Eingreifens in den russischen Bürgerkrieg inzwischen wieder gelegt. Sein deutscher Gefährte runzelte die Stirn und wirkte ebenfalls nicht sonderlich zuversichtlich. Er versicherte Artur Tschistokjow, dass er noch einmal mit seinem japanischen Kollegen Akira Mori das weitere Vorgehen durchsprechen wollte.
„Die Japaner müssen tief ins sibirische Hinterland eindringen und eine zweite Front eröffnen. Das ist unsere einzige Chance“, betonte er.
„Was wollen sie in Sibirien? Da ist nur Steppe und Eis und Landschaft mit nichts. Die japanische Armee wird in den Leere laufen und vernichtet werden!“, lamentierte Tschistokjow verzweifelt auf Deutsch und schien auf einen guten Rat seines Freundes zu hoffen.
Wilden grübelte, dann erwiderte er: „Sie müssen zumindest bis nach Irkutsk und Novosibirsk kommen …“
Der Rebellenführer schnaubte vor sich hin, wobei er aufgeregt herumgestikulierte. „Das ist absolut unmöglich! Selbstmord! Wie wollen sie Reserve holen bei so viele Kilometer?“
„Du meinst Nachschub organisieren?“
„Ja! Sind Nachschub so etwas wie Reserve?“
„Kann man so sagen“, sagte Wilden und versuchte zu lächeln.
„Niemals wird Matsumoto so dumm sein. Es wird alles kaputt gehen. Jetzt sind auch noch die Philippinen weg!“, jammerte das weißrussische Staatsoberhaupt.
Der Außenminister runzelte die Stirn und dachte nach. Dann rief er: „Das Meer!“
Tschistokjow blickte ihn entgeistert an. „Das Meer? Willst du Fische fangen, Thorsten?“
Wilden holte seinen DC-Stick aus der Hosentasche und tippte sich durch das Menü. Dann öffnete er eine digitale Weltkarte und machte dem Präsidenten einen Alternativvorschlag.
Was außerhalb der Mauern des grauen Gefängniskomplexes geschah, konnte Frank kaum erahnen. Er hatte zwei Aufseher belauscht, die bei einem Gespräch auf dem Gang erwähnten, dass japanische Truppen in Sibirien einmarschiert waren. Kohlhaas freute sich kurzzeitig über diese Nachricht, wenn sie denn überhaupt der Wahrheit entsprach, fiel dann jedoch wieder in seinen Zustand der Lethargie zurück.
Wie der russische Bürgerkrieg ausging und ob Japan eingriff oder nicht, war für ihn persönlich nicht mehr relevant. Seine Zeit in dieser Welt war so gut wie vorüber. Er stellte sich nur noch die Frage, wann sie ihn endlich erschießen würden oder ob sein gequälter Körper vorher während einer der Folterungen aufgab.
Der KKG-Offizier schien langsam die Hoffnung aufzugeben, von Frank doch noch wichtige militärische Informationen zu bekommen. Und der General hatte nun einmal auch nicht viel zu sagen, selbst wenn sie ihm die Haut abzogen oder sonst etwas mit ihm anstellten.
Artur Tschistokjow besaß seine eigenen Pläne und außerdem hatte sich die Situation in den letzten Wochen so sehr verändert, dass Kohlhaas über Rüstungsvorhaben und Heeresstärken gar nicht mehr auf dem Laufenden sein konnte. Aber das war inzwischen auch unwichtig geworden. Er war Frank Kohlhaas, der Anführer der bei den Kollektivisten verhassten und gefürchteten Warägergarde, und seine Feinde würden sein Lebenslicht bald mit einem zynischen Lächeln austreten.
„Sieh einer an, so beschissen sieht Tschistokjows Kriegsheld heute aus!“, hatte der glupschäugige KKG-Offizier beim letzten Verhör getönt, nachdem er Franks Gesicht mit einigen Faustschlägen bearbeitet hatte.
Seine Gehilfen waren nur in lautes Gelächter ausgebrochen und hatten sich darüber ausgelassen, dass die Waräger schon bald alle tot sein würden. Dann hatten sie ihn in die Zelle zurückgeschleift, nur um ihn einige Stunden später wieder in die Mangel zu nehmen. Kohlhaas bewunderte hingegen die Widerstandskraft seines eigenen Körpers, der mittlerweile eine solche Vielzahl an Prügeln und Schmerzen eingesteckt hatte, dass er es selbst kaum glauben konnte.
„Wir wollen Sie ja nicht umbringen, Herr General!“, hörte er immer wieder. Und das taten die Schergen Uljanins auch nicht. Sie achteten penibel darauf, Frank keine tödlichen Verletzungen zuzufügen und verstanden ihr schmerzhaftes Folterhandwerk als Meister ihres Fachs. Doch bald würde es vorbei sein. Es konnte nicht mehr ewig so weitergehen - das hoffte Frank jedenfalls.
Thorsten Wilden war für einige Tage nach Japan geflogen und traf sich noch einmal mit Außenminister Mori. Dieser war bezüglich des weiteren Vorgehens im russischen Bürgerkrieg mit ihm keineswegs einer Meinung und betonte, dass Japan kaum zu einer noch größeren Landinvasion Sibiriens in der Lage war.
Der ältere Herr aus Deutschland beschwor seinen Kollegen, die Offensive im fernen Osten nicht ruhen zu lassen und machte ihm ein anderes Angebot. Japan sollte seine Truppen mit Hilfe der Kriegsflotte durch das Nordmeer, entlang der sibirischen Küste, bis nach Europa transportieren.
Akira Mori fiel angesichts dieses kühnen Vorschlages fast vom Stuhl und winkte energisch ab. Einen Angriff mit Bodentruppen, die per Schiff Tausende von Kilometer durch das eisige Meer Sibiriens bis nach Murmansk transportiert werden sollten, hielt er zunächst für eine vollkommene Schnapsidee seines verzweifelten Kollegen aus Weißrussland.
Doch Wilden redete wieder und wieder auf ihn ein und versuchte ihm klar zu machen, wie wichtig es war, dass Japan in Westrussland direkt vor Ort eingriff. Der japanische Außenminister reagierte verhalten und verwirrt, schüttelte häufig einfach nur den Kopf, seinen Gast aus Europa ungläubig anstarrend.
Das Gespräch führte schließlich zu keinem für Wilden befriedigenden Ergebnis, aber Mori versprach ihm zumindest, Präsident Matsumoto seinen strategischen Plan in allen Einzelheiten darzulegen.
„I will ask him!“, gelobte der Japaner und verabschiedete den Deutschen mit einem verstörten Lächeln.
Japan hatte ohnehin schon in den Krieg eingegriffen, obwohl Mori zuvor auch eine Landinvasion Sibiriens abgelehnt hatte. Würden sich Präsident Matsumoto und er erneut von Wilden umstimmen lassen?
Gestern hatten GCF-Bomber Nowgorod angegriffen und einige Fabrikanlagen zerstört. Dann waren sie in Richtung Innenstadt geflogen und hatten die Wohnhäuser mit einem furchtbaren Bombenhagel überschüttet. Die wenigen Flugabwehrgeschütze und Kampfjets, welche Tschistokjows Streitmacht zur Verfügung gehabt hatte, waren nach kurzem Kampf vernichtet worden. Jetzt besaß der Feind auch hier die Lufthoheit.
Die Front war in den letzten Tagen weiter nach Westen verschoben worden und die Kollektivisten arbeiten sich schrittweise vor.