Gefundenes Fressen. Stephan Hähnel
die verchromte Stoßstange gratis holen. McCormik schmunzelte bei dem Vergleich. Er fixierte sein Gegenüber und zog noch einmal an dem Zigarillo. »Alles hängt davon ab, ob der alte Mann Ihnen seinen Anteil überschreibt. Bisher scheint er sich ja noch zu sträuben. Gibt es einen neuen Stand?«, fragte McCormik und blies den Rauch in die Luft.
»Was das Unternehmen angeht, ist er äußerst misstrauisch. Ich muss den richtigen Moment abwarten, um ihm die Pläne vorzulegen, und bitte Sie daher noch um etwas Geduld.«
Der Amerikaner verdrehte die Augen. »Kann er nicht einfach abtreten? Ihr Großvater hat ein biblisches Alter!«
»Es ist sein Werk. Er hat die Firma aus dem Nichts aufgebaut und behandelt sie wie sein Kind.«
»Zeit ist Geld! Wenn es um finanzielles Engagement geht, sind Kapitalanleger hochgradig gläubig. Nächstenliebe ist garantiert keine Option. Geduld auch nicht. Ich muss dem Vorstand nach meiner Rückkehr Rede und Antwort stehen. Und nur zur Erinnerung: LuckyAnimals hat bereits in Sie investiert!«
Der Mann, der eben noch einen perfekten Seemannsknoten zu binden verstanden hatte, wirkte plötzlich nervös. Tatsächlich hatte er einen Vorschuss erhalten. McCormik entging weder seine Anspannung noch der unruhige Blick, den er der Frau auf dem Sonnendeck zuwarf.
»Ohne die Zusage meines Großvaters sind mir die Hände gebunden. Das war von Anfang an klar. Ich habe das Ihren Anwälten auch gesagt. Entweder er überträgt mir die Firma, oder wir müssen warten, bis er das Zeitliche segnet.«
McCormik kannte die Problematik, aber die Zeit lief ihnen davon. LuckyAnimals hatte in den vergangenen Jahren eine Menge Geld in den europäischen Markt und in Imagekampagnen gesteckt – mit wenig Erfolg. Streng genommen war die Situation katastrophal. Die Werbeplakate für ein Spezialfutter, die mit Geruchsstoffen imprägniert gewesen waren, hatten ihnen zwar Aufmerksamkeit eingebracht, allerdings nicht mit dem gewünschten Ergebnis. Hunde hatte der Duft wie erwartet geradezu magisch angezogen, die mediale Reaktion darauf war jedoch einer Katastrophe gleichgekommen. Die Presse hatte sich über die Manipulation der hechelnden Gassi-Gänger köstlich amüsiert und die LuckyAnimals-Läden als Schnüffelshops bezeichnet.
Nicht erst seit diesem Fehlschlag war in der Vorstandsetage in Virginia klar, dass sie einen Katalysator brauchten, wenn sie im lukrativen Old-Europe-Markt Erfolg haben wollten. Die Investoren an der Börse wurden langsam unruhig. Nach dem Fiasko mit den präparierten Plakaten hatte ein Gerücht auf dem Finanzparkett die Runde gemacht: Der Konzern sei angeschlagen. Erste Experten sprachen inzwischen von einer Gewinnwarnung. LuckyAnimals sei ernüchternd phantasielos. Noch ließen sich die Anleger mit ein paar Bilanzierungstricks beruhigen. Aber wenn keine Aussicht bestand, erfolgreich auf dem europäischen Markt zu wachsen, würde die Börse sie gnadenlos abstrafen.
Der Name einer alteingesessenen, renommierten deutschen Firma würde ihnen ermöglichen, durch die Hintertür Einlass zu bekommen. LuckyAnimals brauchte Tibur. McCormik wusste das.
»Es ist schön hier«, sagte er und ergänzte, nachdem er den letzten Zug seiner Schimmelpenninck genossen hatte: »In vierzehn Tagen eröffne ich die Europazentrale in München. Bis dahin gibt es einiges zu tun. Es wäre wirklich schade, wenn wir das hier nicht wiederholen könnten.«
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»In zehn Minuten im Beratungsraum«, informierte Kriminalhauptkommissar Hans Morgenstern seinen Kollegen Bruno Biondi, der auf dem Weg zur Küche war, um sich einen Tee zu kochen. »Sag Paul Brenecke Bescheid!«
Im Landeskriminalamt waren um diese Zeit die meisten Bürotüren abgeschlossen. Nur wenige Mitarbeiter hatten am Sonntag Dienst. Morgenstern hielt es zum jetzigen Zeitpunkt der Ermittlungen für ausreichend, mit einigen bewährten Kollegen die Lage zu sondieren.
Seit dem Morgen hatte er nichts gegessen. Jetzt war es 17 Uhr. Er spürte einen unangenehmen Druck im Magen. Auch wenn noch einiges vorzubereiten war, musste er vor der Besprechung unbedingt eine Kleinigkeit zu sich nehmen.
Während er energisch von seiner Frühstücksschrippe abbiss, die Anna ihm kommentarlos gemacht hatte, suchte er ein paar Unterlagen zusammen. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Freundin statt Butter einen vegetarischen Aufstrich verwendet hatte. Leberwurst auf Grünkernpaste war ihre kleine Rache für das verpatzte Frühstück. Dennoch ließ Morgenstern es sich nun schmecken.
Kriminalrat Max Herting übertrug seinem besten Mann mit Vorliebe Tötungsdelikte, auf die sich die Presse gierig stürzte. Der Leiter des LKA 1 setzte den Chef der Mordkommission für den aktuellen Fall bewusst ein, um sich von Kritikern nicht unterstellen lassen zu müssen, er nehme den Tod des Jungen nicht ernst. Morgenstern hatte einen tadellosen Ruf und verfügte über umfangreiche kriminalistische Erfahrung.
Tatsächlich standen die sieben Berliner Mordkommissionen unter massivem Druck. Ralf Kuhnert hatte den Posten des Polizeipräsidenten übertragen bekommen, schwammig über Synergieeffekte philosophiert und pressewirksam verkündet, dass man ihn an der Verbrechensstatistik messen solle.
Seitdem predigte Herting bei jeder Dienstberatung, dass bei mangelhafter Erfolgsquote die Auflösung ihrer Abteilung drohe. Seine Bemühungen, sich gegen derartige Bestrebungen zu wehren, bestanden ausschließlich darin, die Wünsche aus dem Büro des Polizeipräsidenten kommentarlos umzusetzen. Nur so war zu erklären, warum eine Absolventin ohne Erfahrung der Mordkommission zugeteilt worden war.
Paul Brenecke und Bruno Biondi, die Morgenstern im Fall Eichner zur Seite standen, waren erfahrene Kollegen, mit denen er gern zusammenarbeitete. Beide Kommissare pflegten einen hoffnungslosen Widerstreit, bei dem es im Kern um die Frage ging, was mehr Effizienz besaß: Bleistift oder Tastatur. Brenecke, 55 Jahre alt, ehemaliger Kunststudent und bekennender Bleistiftfetischist, der nur angesichts eines chronisch leeren Kühlschranks zur Polizei gegangen war, fühlte sich durch Biondis omnipotentes Computerwissen regelrecht aufs Altenteil abgeschoben. Tatsächlich hätte Biondi mit seinen 33 Jahren Breneckes Sohn sein können. Ein Sohn, der den Vater ständig provozierte und vieles in Frage stellte, was dessen Generation für wichtig erachtete. Morgenstern hielt sich aus den Streitigkeiten heraus, brachte die Rivalität der beiden Kollegen doch im besten Fall die Ermittlungen voran.
Nachdem alle im Besprechungsraum saßen, stellte der Chef der Mordkommission Linda Mörike vor. Erstaunt und skeptisch wurde sie beäugt.
»Kommissarin Linda Mörike ist uns als Unterstützung zugeteilt worden. Sie wird vollständig und ohne Abstriche in die Ermittlungen eingebunden«, informierte Morgenstern.
Konzentriert sortierte er seine Notizen und schien sich zu sammeln. Tatsächlich hoffte er, dass niemand sein Unverständnis zu dem Sachverhalt äußerte. Eine Diskussion über die Personalpolitik der Berliner Polizei konnte er momentan am wenigsten gebrauchen. Es blieb ruhig.
Er legte ein paar Kopien auf den Tisch und wechselte mit Biondi einen kurzen Blick. Ohne ein Wort zu sagen, nahm dieser die Blätter und reichte sie weiter.
»Wir haben ein totes Kind. Morgen wird die Presse erbarmungslos jeden unserer Schritte kommentieren.« Erneut machte er eine kleine Pause. »Das übliche Programm. Gibt es Fingerabdrücke? Wenn ja, sind sie registriert? Fußabdrücke? Größe, Typ, Besonderheiten. Ihr kennt das. Die Jungs von der Spurensicherung sollen so schnell wie möglich liefern.«
An einer Berlin-Karte, die an der Wand hing, deutete er mit dem Kugelschreiber auf vier Punkte. »Ihr prüft bitte alle vorhandenen Außenkameras zwischen U-Bahnhof Eberswalder Straße, U-Bahnhof Bernauer Straße, Gleimtunnel und dem Kino Colosseum! Einige Läden haben garantiert die Fußgängerzone im Bild. Versucht auch, Zeugen ausfindig zu machen! Oberhalb des Mauerparks gibt es eine Graffitiwand. Vielleicht ist einem Sprayer etwas Ungewöhnliches aufgefallen.«
Brenecke und Biondi kannten ihre Aufgaben.
»Wenn die Obduktion abgeschlossen ist, wissen wir genau, um welches Gift es sich handelt. Sobald Moabit Ergebnisse hat, auf meinen Tisch damit!«
Das Institut für Rechtsmedizin der Charité befand sich in Moabit. Dorthin war die Leiche des Jungen gebracht worden. Mit Resultaten war jedoch frühestens am Montagmorgen zu rechnen.
Brenecke