Das Intrigenlabyrinth. Gaby Peer

Das Intrigenlabyrinth - Gaby Peer


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musste. Oh Gott, es tat alles weh, aber ganz besonders der Kopf und das unsichtbare Brett davor waren dick – sehr, sehr dick! Aber er schimpfte mit sich: „Jetzt reiß dich zusammen, Jens Dornbach, wer sich so sehr betrinken kann, der kann sich nicht so anstellen und bemitleiden.“

      Er rief sich den gestrigen Tag, beginnend beim Frühstück, ins Gedächtnis. Es war wie immer: ein großes Tohuwabohu. Alle – das waren seine Frau Celine, die Töchter Magdalena und Marilena, sein Sohn Jonas und der Golden Retriever Max – waren anwesend und jeder sorgte auf seine Art und Weise für Unruhe. Magdalena jammerte wieder einmal herzzerreißend wegen der anstehenden Mathearbeit, die sie selbstverständlich wieder vermasseln, und wegen Mathe auch das Abi sicherlich nicht schaffen werde. Großes Kino – sie konnte sich dermaßen in Szene setzen. Wieder einmal dachte Jens, dass sie sowieso lieber Schauspielerin werden sollte, als sonst irgendetwas zu studieren. Sie war ein Naturtalent. Dann sprang Marilena, die Chaotin, wie von der Tarantel gestochen auf und schüttete dabei ihre noch volle Tasse mit Kakao in den Brotkorb. Celine sprang ebenfalls auf, warf dabei den Stuhl um und begrub den Hund Max darunter, der jaulend davonrannte.

      „Ich brauch rote Wolle, gaaanz, ganz dringend. Wenn ich heute keine dabeihabe, werde ich eine Sechs bekommen.“

      „Wir haben keine rote Wolle“, sagte Celine „das hättest du gestern Oma sagen müssen, die hat so viel Wolle, dass sie drei Schulen damit versorgen könnte. Warum denkst du nicht am Abend vorher nach oder schreibst dir solche Sachen endlich ins Hausaufgabenheft?!“

      Jonas, der jüngste Spross, zwölf Jahre alt, und ein echter Streber, musste auch seinen Senf dazugeben, was die Stimmung nicht wirklich verbesserte. Ja, so weit also alles ganz normal … Aber was ist mit mir?

      Da war doch was – ich war extrem aufgeregt. Na klar, gestern war der große Tag, auf den ich jahrelang hingearbeitet habe und für den ich so viel einstecken musste, ohne mich groß wehren zu können. Ja, es waren verdammt harte Jahre, aber man muss es dem Alten echt lassen, er hat es voll drauf und ich hätte an keiner Uni der Welt so viel lernen können wie von ihm.

      Der Alte – das war Herr Melzer, der Geschäftsführer des deutschen Teilbereichs eines weltweit tätigen Cateringkonzerns. Er hatte ganz klein angefangen, mit relativ wenig Hilfe von der französischen Konzernspitze. Für die war das nur ein zaghafter Versuch gewesen, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen. Dass Herr Melzer in kürzester Zeit so viele lukrative Aufträge an Land ziehen würde und der Konzern in einem Affentempo das ganze Bundesgebiet wie ein Spinnennetz überziehen sollte, konnte keiner ahnen. Und Jens war fast von Anfang an dabei und hat mit großem Staunen als Herr Melzers Assistent schnell gelernt und unglaublich profitiert. Viel musste er sich von dem Choleriker allerdings gefallen lassen. So manches Mal war er so verletzt und wütend gewesen, dass er sich immer wieder anderweitig beworben hatte. Letztendlich entschied er sich aber bei jeder sich ihm bietenden Chance zum Bleiben. Er war immerhin der Kronprinz und der Melzer schon so alt, dass es absehbar war, dass er bald seine Position übernehmen würde. Als der Melzer vor zwei Jahren auch noch vorgeschlagen hatte, dass Jens sich selbst eine Assistenz zulegen sollte, war ihm klar gewesen, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis er der Big Boss sein würde. Zum Leidwesen seiner Celine hatte er sich für Charlene entschieden, eine wunderschöne und äußerst gewiefte Blondine. Charlene hatte wahnsinnig schnell gelernt und wurde für Jens schon bald unentbehrlich.

      Gestern war der Personalchef der Gesamtkonzernleitung, Herr Arnauld, für zwölf Uhr angekündigt, um die sowieso schon entschiedene Tatsache amtlich zu machen, dass Herr Melzer in den Ruhestand entlassen und er, Jens Dornbach, seine Position übernehmen würde. Der Nebel in seinem Gehirn lichtete sich endlich spürbar! Jens erinnerte sich jetzt ganz deutlich, dass er um neun Uhr in einem extra neu gekauften, unglaublich schicken Anzug mit einer extravaganten und ins Auge stechenden Krawatte, den teuersten Schuhen, die er sich in seinem bisherigen Leben geleistet hatte, und selbstverständlich mit einem frischen Haarschnitt bestens gelaunt ins Büro stolzierte. Auf seinem Schreibtisch saß Charlene in einem umwerfenden, sexy Kleid, perfekt geschminkt und mit einer fantastischen Frisur vor einem Laptop. Jens dachte noch stolz, was für einen genialen, frischen und professionellen Eindruck sie zusammen machen würden. Sie würden sehr erfolgreich zusammen arbeiten. Charlene war eine hervorragende Wahl gewesen und sie hatte sich nie, wie Celine befürchtet hatte, an Jens herangemacht.

      „Guten Morgen, Schönheit“, hörte Jens sich in Gedanken noch fröhlich rufen, doch mit Charlenes Antwort war seine kleine, heile, wunderbare, schon beängstigend perfekte Welt zusammengebrochen.

      „Schau mal, was ich hier habe, Jens!“ Sie drückte auf eine Taste ihres Laptops. Was Jens da sah, konnte er einfach nicht glauben. Da war er selbst splitterfasernackt zu sehen. Er ging wie ein wild gewordener Stier auf Charlene los – riss ihr die Kleider vom Leib und wenn man es nicht besser wusste, vergewaltigte er sie auf brutalste Art und Weise. Er war wie von Sinnen, richtig primitiv und grob.

      „Was ist das, Charlene?“

      „Erkennst du dich etwa nicht?“, fragte sie mit einem bösen Lachen. Es schien ein komplett fremder Mensch vor ihm zu stehen.

      „Was mache ich da?“

      „Das ist doch nicht schwer zu erraten, du hast drei Kinder, du musst doch wissen, was du da tust!“

      „Ja, aber wann, wann um Himmels willen ist das passiert?“

      „Kannst du dich an Nürnberg erinnern – es wurde dir plötzlich so schlecht und ich habe dich ins Zimmer bringen müssen. Es war wirklich peinlich.“

      „Und dann habe ich mich so aufgeführt?“

      „Ja, du hattest einen furchtbaren Filmriss!“

      „Aber wer hat das gefilmt?“

      „Ich natürlich!“

      „Warum denn das und warum hast du nie was gesagt?“

      „Weil ich diesen Film exakt für den heutigen Tag gebraucht habe. Ich habe ihn sozusagen für heute produziert!“

      „Charlene, was soll das Ganze, heute ist so ein wichtiger Tag!“

      „Eben, und wenn du nicht willst, dass deine ach so geniale, einmalige Ehefrau diesen Film sieht, wirst du nachher um zwölf Uhr bekannt geben, dass du die Leitung der deutschen CaDe nicht übernehmen wirst, weil du dich überfordert fühlst und der Meinung bist, dass ich die geeignetere Person für diese Position bin. Du wirst mir selbstverständlich als Assistent weiterhin gerne zur Seite stehen.“

      Jens fühlte auch jetzt, einen Tag später, dass er immer noch nicht wirklich verstehen konnte, was da passiert war. Es kam ihm wie ein ganz böser Traum vor – die immer gut gelaunte, freundliche, professionelle, hochintelligente Charlene hatte sich in ein echtes Monster verwandelt. Sie hatte zwei Jahre lang ihre Rolle so wunderbar gespielt und er hatte ihr einfach sein gesamtes Wissen vermittelt und sie in alles eingebunden, über alle Entscheidungen gesprochen, sie einfach so fit gemacht für den Assistentinnenjob, wie es der alte Melzer mit ihm gemacht hatte. Und er hatte blindes Vertrauen zu Charlene gehabt. Es gab keine Geheimnisse und er lobte sie auch gegenüber der Konzernspitze, wann immer sich eine Gelegenheit bot. Wie konnte er mit so was rechnen?

      Ab dem Moment hatte er keinen klaren Gedanken mehr fassen können. Zuerst wollte er den Laptop vernichten. Charlene hielt ihn mit dem Hinweis davon ab, dass der nette Film auf zig Datenträgern vervielfältigt und gesichert sei. Dann überlegte er, ob Celine ihm glauben würde, dass er mit irgendwelchen Drogen und Alkohol so zugedröhnt worden war, dass er sich an wirklich nichts aus den gesehenen Szenen erinnern konnte. Aber er wusste zu gut, dass Celine ihm so etwas nicht verzeihen würde, und sie und die Kinder waren nun einmal das Allerwichtigste auf der Welt.

      Zu allem Überfluss rief Celine in diesem Moment auch noch an. Jens war nicht imstande, das Gespräch auf seinem Handy anzunehmen. Dann versuchte sie es über das Sekretariat. Er wollte die Schreibkraft abwimmeln, die aufgeregt zur Tür hereinkam, aber die machte ihm klar, dass es einen sehr wichtigen Grund für den Anruf seiner Frau geben müsse. Sie weine und wolle Jens auf der Stelle sprechen. Erschrocken nahm er sein Handy, ging auf den Balkon und rief Celine an.

      Aufgelöst erzählte


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