50 Dinge, die ein Steirer getan haben muss. Reinhard M. Czar
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WO DER WILDBACH RAUSCHT
Ennstal, Gesäuse
Zwischen Admont und Hieflau gibt die Enns so richtig Gas. Im Gesäuse, dem einzigen steirischen Nationalpark, zeigt der obersteirische Fluss, was Wasser alles kann, wenn es einmal losgelassen ist.
Gesäuse – schon der Name ist Programm. Denn das Zischen, Sausen und Brausen, das die Enns knapp nach Admont im rund 16 Kilometer langen, teils extrem engen Tal namens Gesäuse aufnimmt und bis Hieflau nicht mehr bleiben lässt, wird mit der Lautmalerei bestens beschrieben. Da der Fluss auf den wenigen Kilometern beachtliche 150 Höhenmeter überwindet, tost er dementsprechend wild durch das eng eingeschnittene Tal, dessen Felswände links und rechts bis zu 1800 Meter in die Höhe ragen. Die Charakterisierungsversuche des Gesäuses sind reich an Superlativen und erstrecken sich von der „größten Felsschlucht Europas“ bis hin zur „tiefsten“; von urgewaltigen Felswänden ist auf den unzähligen Seiten, die dem Gesäuse gewidmet sind, die Rede, von wilden Bächen, aber auch von atemberaubender Schönheit, die mit unbändiger Natur einherzugehen pflegt.
Heute kann man die Schlucht auf einer Straße durchfahren, die – wie ein Schienenstrang – gerade noch neben dem Wasser Platz gefunden hat. Das Gesäuse ist also auch für Ausflügler und Wanderer, die es lieber gemütlich angehen, bestens geeignet. Zumindest bei schönem Wetter, das als Voraussetzung für einen Besuch anzuraten ist. Wenn nämlich die Elemente umschlagen, dann tun sie dies im Gesäuse doppelt stark, und es wird rasch ungemütlich.
Bis 2009 fuhr noch die Eisenbahn tagtäglich durchs Gesäuse, bevor der Betrieb eingestellt wurde. An schneereichen Wintertagen mussten wir früher des Öfteren erfahren: Nichts geht mehr. Lawinengefahr machte ein Weiterkommen unmöglich. Bergtourengeher können ebenfalls ein Lied von den Wetterkapriolen im Gesäuse singen. Und die Extremfolgen des Versuchs, die wilde Natur in den Gesäusebergen auf Biegen und Brechen bezwingen zu wollen, sind auf drastische Weise im Bergsteigerfriedhof in Johnsbach dokumentiert, wo viele verunglückte Bergfexe ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Oben rechts: Die Enns als Wildbach,
unten rechts: Gesäuseeingang
Zeitgleich mit der Entdeckung der Gesäuseberge für den Alpinismus begannen die zivilisatorischen Zähmungsversuche der Schlucht. Es war um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als man sich in etlichen Regionen der k. u. k. Monarchie mit dem Gedanken trug, eine Erschließung mittels Eisenbahnstrecke zu versuchen. So auch im Gesäuse, das als schwierigster Abschnitt der Kronprinz-Rudolf-Bahn angesehen wurde, die als eine von mehreren Alpenüberquerungen von St. Valentin nach Tarvisio geführt werden sollte. Im Jahr 1872 war es so weit, die Bahnstrecke durch die wilde Gebirgsschlucht wurde eröffnet, und plötzlich war das Gesäuse auch von Wien aus relativ leicht zu erreichen. Nicht von ungefähr stammte einer der bedeutendsten Alpinisten, die sich an die bis dato mehr oder weniger unberührten Gesäuseberge heranwagten, aus Wien: Heinrich Heß. Ihm gelangen etliche Erstbesteigungen im Gesäuse, er verfasste einen Reiseführer zum Gebiet, und ihm zu Ehren hat man eine Hütte benannt: die Ende des 19. Jahrhunderts erbaute Heßhütte in der Hochtorgruppe.
Seit dem Jahr 2002 ist das Gesäuse ein Nationalpark, wobei die Grenzen des Nationalparks Gesäuse weiter gefasst sind als das eigentliche Durchbruchstal des Flusses ausmachen würde. So gehören auch die Gesäuseberge zu dem mit über 11 000 Hektar drittgrößten österreichischen Nationalpark, übrigens der einzige der Steiermark. Naturschutz und die Erhaltung der landschaftlichen Urtümlichkeit sind Hauptgegenstand im Nationalpark, es gibt zudem etliche Attraktionen, in deren Rahmen den Besuchern der Reiz der unberührten Natur vermittelt wird. Zentrum diesbezüglicher Aktivitäten ist der sogenannte Weidendom, direkt an der Gesäusestraße bei der Abzweigung Richtung Johnsbach gelegen. Von dort aus erstrecken sich einige frei begehbare Themenwege, auf denen Aulandschaft, die Problematik der Bachregulierung und Besonderheiten der Gesäuse-Vegetation auf anschauliche Art und Weise nähergebracht werden. Dort lädt außerdem der begehbare ökologische Fußabdruck ein, etwas über das eigene Verhalten nachzudenken. Für individuelle Touren lassen sich Nationalpark-Ranger buchen, die seltene Tiere und Pflanzen gerne gemeinsam mit den Besuchern aufspüren.
Zurück zum Wildbach! Von einem äußerst ungewöhnlichen Versuch, die Enns im Gesäuse zu zähmen, berichtete Peter Rosegger in seiner Zeitschrift. Anfang des 20. Jahrhunderts habe es Bestrebungen gegeben, die Enns ab dem Gesäuseeingang unterirdisch durch den Buchstein bis nach St. Gallen zu führen, wo sie im Ortsteil Weißenbach wieder in ihr ursprüngliches Bett münden sollte. Dort würde sie in einem Wasserfall 200 Meter in die Tiefe stürzen (dieser rechnerische Wert dürfte sich aus den 150 Metern Höhenunterschied im Gesäuse sowie weiteren 50 Metern Höhenunterschied auf ihrer Fließstrecke von Hieflau bis Weißenbach ergeben haben). Mit dem Wasserfall wollte man ein Kraftwerk betreiben, das den Strom für die Eisenbahn liefern sollte. Roseggers prophetisch anmutende Einschätzung damals: „Ehe die Enns durch den Buchstein rinnt, wird noch viel Wasser durchs Gesäuse rinnen.“ Wie wahr, wie wahr, der abenteuerliche Plan wurde Gott sei Dank nie in die Tat umgesetzt, und mittlerweile fährt wie gesagt auch die Eisenbahn nicht mehr, für die man den Strom benötigt hätte …
Das Gesäuse erreicht man ab Admont bzw. Hieflau über die Gesäusestraße B146. Informationen zum Nationalpark und seinen Angeboten:
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IM WASSERREICH
Krakau, Günster Wasserfall
Er ist der höchste Wasserfall der Steiermark. Grund genug, dieser unbekannten Perle einen erfrischenden Besuch abzustatten.
Bereits während des kurzen Anmarsches durch die schmale Birkenallee hin zum Günster Wasserfall hört man sein Rauschen, zuerst noch ohne ihn zu sehen. Nach ein paar Hundert Metern auf dem Schotterweg, der von der asphaltierten Straße zwischen Schöder und Krakaudorf abzweigt, geht es an einem stattlichen Gehöft mit kleinem Gehege vorbei, in dem sich Kaninchen, Ziegen und Enten tummeln – der Auftakt unseres Ausflugs in ein richtiges steirisches Wasserreich präsentiert sich also wildromantisch. Und dann steht man auch schon am Fuß des höchsten Wasserfalls der Steiermark, über den sich die zischenden und brausenden Wassermassen des Schöderbachs weißgischtig herunterstürzen. Mit einer Fallhöhe von 65 Metern stellt der Günster Wasserfall nicht nur den einschlägigen Höhenrekord in unserem Bundesland auf, sondern er könnte es auch locker mit so manchem Kirchturm aufnehmen. Zur weiteren Veranschaulichung: Die Türme der Admonter Stiftskirche beispielsweise sind mit 76 Metern nur unwesentlich höher.
Weniger deutlich als die Informationen zur Höhe zeigen sich übrigens die Angaben zum Namen des Wasserfalls. Günster Wasserfall findet man in gleicher Weise wie Günstner Wasserfall, also mit einem „n“, und manchmal sogar unmittelbar nebeneinander. So weist ihn die Hinweistafel an der Abzweigung der Zufahrtsstraße auf der einen Straßenseite als Günster aus, jene auf der gegenüberliegenden Straßenseite hingegen jedoch als Günstner, die Bushaltestelle am selben Platz wird wiederum als Günster bezeichnet … Egal, Name ist laut Goethes „Faust“ sowieso nur Schall und Rauch. Und den Schall hört man am Günster Wasserfall ohnehin nicht, weil das ins Tal donnernde Wasser einen derartigen Höllenlärm verursacht, dass man nicht einmal das eigene Wort versteht.