Was würde Jesus tun. Markus Schlagnitweit
ja gerade zum Dahinvegetieren und oft nicht einmal das; ihre Suppe ist bitter geworden vor Sorge oder schal vor Einsamkeit oder Eingespannt-Sein in eine Tretmühle, und die Einlage besteht aus würgenden Brocken der Angst. Vielen ist die Suppe auch fade geworden, wenn sie plötzlich merken, dass die glänzenden Fettaugen an der Oberfläche nur die Blasen täuschender Glücksverheißungen sind. Das Leben bietet vielen Menschen wenig, woran sie Geschmack und Freude finden können. Dafür zu sorgen, dass solches Leben schmackhafter wird, dass es gerne gelöffelt wird, könnte also „Salz der Erde sein“ bedeuten – und hat auf der anderen Seite einen unvermeidlichen Nebeneffekt: Es gibt immer auch Menschen und Gruppen, denen die bestehenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse gerade so, wie sie sind, hervorragend passen, denen ihre „Lebenssuppe“ also herrlich mundet. Salz der Erde sein bedeutet auf dieser Seite dann aber unvermeidlich, bereits ausreichend und hervorragend gewürzte Suppen zu versalzen – nicht mutwillig: aus Missgunst, Bosheit oder moralinsaurer Besserwisserei! Aber das Salz, das die Geschmacksverhältnisse in dieser Welt zugunsten derjenigen verändert, deren Leben nach zu wenig schmeckt, wird für die Genießer ebendieser Welt unvermeidlich ein Zuviel an Salz bedeuten. Salz ist eben nie neutral, sondern salzig und deshalb parteiisch: Zugunsten jener, denen es (noch) nicht schmeckt und zulasten jener, denen es dessen ungeachtet allzu gut geht. Und wehe, das Salz wollte geschmacksneutral sein! Es taugte dann zu nichts mehr, würde verworfen und von den Leuten zertreten – so das Bibelwort.
Als Salz neutral sein zu wollen, ist aber nur die eine Gefahr, vor der das biblische Wort warnt. Der andere Graben droht dort, wo etwa christliche Fundamentalisten und Fanatiker sich nicht damit begnügen wollen, „nur“ Salz der Erde zu sein. In der Geschichte des Christentums taucht immer wieder der totalitäre Traum einer durch und durch „christlichen“ Gesellschafts- oder gar Weltordnung auf: christliche Wirtschaft und Geldordnung, christliche Gesellschaft, christliche Politik – und wie sie alle heißen mögen, diese verlockenden Visionen eines institutionalisierten Gottesreiches auf dieser Welt. Was dabei vergessen wird: Salz ist nur ein Gewürz, nicht die ganze Speise. Ein Zuviel an Salz macht alles ungenießbar und ist in letzter Konsequenz sogar mörderisch. Das Tote Meer heißt nicht zufällig so. Die christliche Wirtschafts-, Gesellschafts- und Weltordnung gibt es also nicht – allenfalls in den Köpfen von Ideologen. Aber solch totalitäre Ideologien sind immer tödlich – wie eine Handvoll reines Salz. Salz ist eben „nur“ Gewürz, kein Nahrungsmittel. Nirgends mutet Christus seiner Jüngerschaft zu, selbst Nahrung zu sein für diese Welt. Das Brot, die Nahrung und Speise für diese Welt zu sein, das kommt nach christlichem Glauben einem Anderen zu.
Dennoch: Salz ist auch lebensnotwendig. Der menschliche Organismus braucht es. Vielleicht ist dem Menschen der Moderne die Verfügbarkeit von Salz allzu selbstverständlich und sein Wert deshalb allzu gering geworden, weshalb es zuweilen auch in gesundheitsschädlichem Ausmaß Verwendung findet oder im Winter tonnenweise auf Straßen und Wege gekippt wird. In früheren Zeiten galt Salz dagegen als „weißes Gold“. Entlang der alten Salzstraßen brachte dieses wertvolle Gut den Städten, die damit Handel trieben, beträchtlichen Wohlstand. Der Handel mit Salz unterstand rigorosen gesetzlichen Regelungen und galt als besonderes Privileg. Und in den Wüstengebieten des Orients wird heute noch – uraltem, heiligem Brauch entsprechend – dem Gast zum Willkommen Brot und Salz gereicht: Ausdruck der Wertschätzung des Gastes und zugleich der Lebensnotwendigkeit des Salzes. Man muss sich diesen ursprünglichen Wert des Salzes vor Augen halten, will man das biblische Wort recht verstehen. Letztlich sagt es auch: Christsein ist lebensnotwendig für diese Welt. Sie braucht es. Ob sie sich dessen bewusst ist oder es sogar ablehnt, ist sekundär. Die entscheidende Frage, die zugleich Auftrag und Mahnung an alle Getauften ist, lautet: Wie würde diese Welt aussehen ohne Christentum – ohne das liebevolle Menschen- und Weltbild, ohne den positiven Gestaltungsauftrag und auch ohne die prophetische Kraft, das heißt ohne die kritische Würze der christlichen Botschaft?
Keine Frage: Der enorme Substanz- und Glaubwürdigkeitsverlust der christlichen Kirchen in den Gesellschaften der Moderne und Postmoderne ist nicht wegzuleugnen. Ich vermute, dass dieser Bedeutungsverlust u. a. mit der bewussten oder unbewussten Weigerung vieler Christen und Christinnen zu tun hat, wirklich Salz dieser Erde sein zu wollen. Vielen Menschen ist das christliche Glaubenszeugnis deshalb zu geschmacksneutral – also belanglos, manchen vielleicht sogar zu zuckersüß geworden. Dennoch: Das Salz der jesuanischen Botschaft und ihrer Gefolgsleute ist auch weiterhin lebensnotwendig – sofern es wirklich salzig ist und nur Gewürz.
DANIELA FEICHTINGER
Drei Gründe, warum es schwierig ist, Salz zu sein
Ich bin gerne pfiffig. Wer möchte schließlich nicht die Grundzutat sein, auf die es ankommt und die allem ihren Geschmack verleiht? Das ist aber aus drei Gründen gar nicht einfach:
Erstens bin ich für die Welt als Christin eher der weiße Pfeffer als das Salz. Vor einiger Zeit habe ich bei einem Rezept den geforderten weißen gegen schwarzen Pfeffer getauscht. Ich konnte geschmacklich keine Verschlechterung feststellen. So sieht die Lage häufig aus: Christentum ist bestenfalls nice to have, aber ersetzbar. Sofern ich mich nicht in explizit christlichen Kreisen bewege, bringen mir die Leute Toleranz entgegen, oder – wie den meisten Tolerierten – Neugier. Schließlich bin ich exotisch: Schau an, weißer Pfeffer! Was es nicht alles gibt! Oder im Fall des Christentums: Was es doch immer noch gibt! Mit der Ausstrahlung der „Letzten ihrer Art“ führe ich Gespräche über die Jungfrauengeburt, die Missbrauchsskandale oder die manchmal sehr unrühmlichen Erfahrungen mit den eigenen Religionslehrerinnen und -lehrern. Sofern ich schlagfertig reagiere, peppe ich damit zwar die Gesellschaft auf. Aber noch nie hatte ich den Eindruck, dass jemand auf meinesgleichen gewartet hätte. Den Leuten, auf die ich treffe, fehlt weder ein substanzieller Mineralstoff noch die richtige Würze.
Was also hat diese Welt so nötig wie Salz? Ihr fehlt nichts, das aktuell unter dem Label „Christentum“ firmiert. Jetzt könnte man natürlich einwenden, das Christentum werde von diesen Leuten missverstanden. Wenn sie wüssten, worum es bei der Sache Jesu wirklich geht, wenn sie wüssten, wie ich diese Sache verstehe, würde es ihnen schon fehlen. Damit bin ich aus dem Schneider: Ich werde missverstanden – was soll ich machen?
Ich könnte zu verstehen versuchen, auf welcher Erde ich lebe. Damit kommen wir zur zweiten Schwierigkeit, denn das war zu keinem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte dringender und komplizierter als heute. Die großen Schlagwörter – Ökologie und Klimawandel, Technisierung und künstliche Intelligenz, Religion und Säkularisierung, Migration, Geschlechterverhältnisse – wer versteht schon wirklich die Zusammenhänge, auf die sie verweisen? Selbst wer sich ernsthaft bemüht, eine informierte Erdenbürgerin zu sein, wird am Ende mit Sokrates bekennen: Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Aber das Ringen um Fakten ist lohnend. Meinungen und Ahnungen füllen die Lücken sonst von selbst und erzeugen ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit. Wer sein (Halb-)Wissen testen möchte, dem sei Factfulness (2018) von Hans Rosling empfohlen. Was meinen Sie: Hat sich der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, in den letzten zwanzig Jahren nahezu verdoppelt, deutlich mehr als halbiert oder ist er gleichgeblieben? Unabhängig von Bildungsgrad und sozialem Status der Befragten tippen hier viele auf die besorgniserregenderen Varianten eins und drei. Tatsächlich hat sich die extreme Armut jedoch weltweit halbiert. Wir Menschen neigen zu Schwarzmalerei und bedienen uns undifferenzierter Begriffe. (Ist Armut deshalb ausgestorben? Leider nein. Aber sie hat sich verändert.)
Im Fall der Christenheit unterstelle ich noch ein Vorurteil: Wir hätten gern, dass die Welt auf uns wartet und uns wie das Salz zum Leben braucht. Wenn dem aber nicht so ist und sich die Probleme dieser Welt anders und vielleicht sogar effizienter ohne uns lösen lassen – wie gehen wir um mit der eigenen Überflüssigkeit? Wie sieht unsere Expertise aus?
„Freude, Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen heute sind auch Freude, Hoffnung, Trauer und Angst der Jüngerinnen und Jünger Jesu.“ Als Teil der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils (1965) hat dieser Satz für die katholische Kirche Verfassungsrang und erhebt einen stattlichen Anspruch: Wir sollen miteinander vertraut sein. Wenn ich nützlich sein will, muss ich wissen, was gebraucht wird. Das gelingt nur durch aufmerksames Zuhören, das keine Mängel unterstellt, um sie dann