Was würde Jesus tun. Markus Schlagnitweit
zu fragen: Was würde Jesus tun? Wie würde er den Bedürfnissen der Zeit begegnen?
Das führt zur dritten Schwierigkeit: Was bedeutet es, im Sinne Jesu nützlich und pfiffig zu sein? Bei Vorträgen und in Gesprächen stoße ich noch im innersten Kreis der kirchlich Engagierten auf Unwissenheit in religiösen Belangen, auch was die Person Jesu angeht. Selbst fromme Kirchgängerinnen und Kirchgänger wissen zum Teil nicht, ob man mit Sicherheit sagen kann, dass Jesus überhaupt gelebt hat. 2 Manchmal schicken sie dann nach, es sei ihnen auch gar nicht so wichtig. Falls die Unkenntnis der Fakten nicht nur Jesus, sondern auch die zuvor genannten Themen von Umwelt bis Geschlecht betrifft, weiß ich nicht, wer hier wie Salz sein soll. Was bleibt dann vom Evangelium übrig außer: Seid nett zueinander?
Das Bild vom Salz ist Teil der Einleitung der Bergpredigt. Nachdem Jesus jene Teile der Bevölkerung seliggepriesen hat, die eigentlich nichts Gutes erwarten, sagt er den Zuhörerinnen und Zuhörern auf den Kopf zu: Ihr seid das Salz der Erde! Ihr seid das Licht der Welt! Ihr seid die Stadt auf dem Berg! Eines der letzten beiden Bilder für sich genommen könnte gedeutet werden als: Ihr seid die Stars! Aber in Verbindung mit der Rede vom Salz geht es um Nutzen, Schlichtheit und Alltag. Heute sind dem Christentum in Europa die Möglichkeiten genommen, die ganz großen Suppen nachzuwürzen oder zu versalzen. Die Macht ist schlicht und ergreifend weg. Christinnen und Christen sind vereinzelt und können sich auf keinen gemeinsamen Kurs einigen. Innerhalb der eigenen Reihen findet sich das gesamte Spektrum der Meinungen, das sich auch außerhalb findet. Ob Abtreibung, Homo-Ehe oder Sonntagsöffnungszeiten im Handel: Von Pro bis Kontra ist alles dabei. Daran ändern auch offizielle Lehrmeinungen nichts.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine Chirurgin, an der die Rede vom Salz konkret wird. In einer Dokumentation über geschlechtsangleichende Operationen erzählte sie von ihrer anfänglichen Unsicherheit: Pfuschte sie Gott damit nicht ins Handwerk? Aber dann sah sie das Leid dieser Menschen und wie sehr sie es durch die Eingriffe lindern konnte. – Nicht alle werden meinen, dass die Ärztin das Evangelium richtig versteht, wenn sie aus der Haut des Unterarms einen Penis oder aus Teilen des Glieds eine Vagina formt. Allerdings ist Heilung ein Wesensmerkmal des Gottesreiches, um dessen Kommen wir jedes Mal im Vaterunser bitten. Jesus sagt nichts über transidente Menschen – wir können es ihm als Kind seiner Zeit nicht vorwerfen. Ich muss heute die Fakten kennen, die wissenschaftlichen Einsichten und die Lebensgeschichten der Menschen, um zu verstehen, dass ein solcher chirurgischer Eingriff für eine transidente Person Teil einer Heilungsgeschichte sein kann.
Jesus und seine Botschaft sind weder das Vehikel für meine eigene Unsicherheit und Unkenntnis noch für meine politische Agenda und Empörung. Jesus zeichnet sich durch einen nüchternen Blick aus: Er kennt die illegalen Machenschaften seiner Zeit, die sozialen Spannungen, die Gegebenheiten. In der Wirklichkeit bricht durch sein Handeln das Gottesreich an. Was das Reich Gottes ist – das ist die Frage, von der her klar wird, auf welche Weise wir Salz sein sollen.
Feinde lieben
oder
Wie man sich mit Wasser abtrocknet
Matthäus 5,38–45
Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin! Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel! Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm! Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab! Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
DANIELA FEICHTINGER
Gewaltloses Handeln hält den absoluten Wert des Friedens hoch
Um das Ende gleich vorwegzunehmen: Der Held der Bergpredigt stirbt. Die Rede geht für ihren Sprecher nicht gut aus. Wie Mahatma Gandhi und Martin Luther King, die von der Bergpredigt inspiriert sind, wird auch Jesus, der Urheber, letztendlich ermordet. Nach einem kurzen Prozess wird er zum Tode verurteilt und findet als politischer Aufwiegler den Tod am Kreuz: „König der Juden“ lautet der Tatbestand – ein zynisches Fazit seines Wirkens, das gerade nicht an weltlicher Herrschaft interessiert ist, sondern am Reich Gottes.
Die Feinde Jesu stammen vorwiegend aus den Reihen religiöser Gruppierungen wie der Pharisäer und Sadduzäer. Während die Pharisäer ihre Frömmigkeit betonen und sich um die exakte Auslegung der Tora bemühen, rekrutieren sich die Sadduzäer aus den herrschenden Priesterfamilien und der einflussreichen Oberschicht. Wiederholt gerät Jesus mit ihnen in Konflikt, beispielsweise, als er am Sabbat Kranke heilt oder kurz vor seinem Tod die Händler aus dem Tempel jagt. Oberflächlich betrachtet handelt es sich bei diesen Auseinandersetzungen um theologische Dispute. De facto betreffen sie jedoch die öffentliche Sphäre und im Fall des Tempels die ökonomische Lebensgrundlage der Sadduzäer und Hohepriester.
Hingerichtet wird Jesus dann allerdings durch die Schergen des römischen Präfekten Pontius Pilatus. Er ist als Statthalter der Repräsentant der Besatzungsmacht, die seit 63 v. Chr. das Gebiet beherrscht und es seit 6 n. Chr. autonom verwaltet. Aus sozialen, ökonomischen und religiösen Gründen lehnt ein Teil der palästinischen Bevölkerung die Fremdherrscher ab. Letztendlich kommt es nicht einfach zum Sturz der römischen Verwaltung, sondern zum Bürgerkrieg unter der Führung gewalttätiger Splittergruppen, genannt Zeloten („Eiferer“) und Sikarier („Dolchmänner“). Ihren Wurzeln nach sind sie Sozialrevolutionäre und Banditen, die besonders in der verarmten Landbevölkerung großen Rückhalt haben. Aus religiöser Sicht stellen sie eine radikale Abspaltung der Pharisäer dar. Nach vier Jahren gipfelt der Krieg 70 n. Chr. schließlich in der Zerstörung des Jerusalemer Tempels.
Auch unter den Jüngern Jesu findet sich bereits ein früher Anhänger der gewalttätigen Bewegung: Simon, genannt „der Zelot“ (Lk 6,15). Die Bergpredigt ist vor dem Hintergrund der beschriebenen politischen Spannungen und dem Aufruf zu Gewalt durch gewisse Gruppen zu verstehen: Tut nichts dergleichen. Liebt eure Feinde. Nicht nur die Römer, sondern eure Feinde generell. Schlagt nicht einmal zurück, wenn ihr geschlagen werdet. – Erstaunliche, aber sicherlich keine todeswürdigen Aussagen. Schlussendlich werden es die politischen Mühlen der Zeit sein, die Jesus das Leben kosten: ein Statthalter, der zu Pessach keine Unruhen brauchen kann, einige einflussreiche Persönlichkeiten, die sich durch Jesus gefährdet sehen, und der Verräter in den eigenen Reihen: Judas.
Es scheint so, als hätten Menschen im wohlgeordneten Rechts- und Sozialstaat keine Feinde dieser Größenordnung. Glaubt man TV-Sendungen wie Schauplatz Gericht, sind Feinde in Österreich weder Fremdherrscher noch geniale James-Bond-Bösewichte, sondern querulantische Nachbarinnen und Nachbarn, die einen vor Gericht zerren, oder die eigenen Geschwister, die sich im Streit über das Testament der verstorbenen Matriarchin zu Hyänen entwickeln. Was hieße es, diese Feinde im Sinne Jesu zu lieben? Soll man ihnen die drei Quadratmeter Grund kampflos überlassen ohne Gewähr, dass sie nicht morgen drei weitere wollen? Soll man ihnen zum Sparbuch der Mutter auch noch das Tafelsilber dazugeben? – Die Bergpredigt durchbricht die Logik, die Feinde an einen herantragen, durch ein Verhalten, das sich Feinde nicht leisten können: durch Großzügigkeit, Selbsthingabe und Verletzlichkeit.
Ein solches Verhalten ist wahnsinnig und könnte niemals staatstragend werden. Dementsprechend wurde die Bergpredigt durch die Jahrtausende hindurch auch relativiert: Sie gelte nur bis zum Ende der Welt, das Jesus in naher Zukunft erwartete. Da es noch aussteht, sei sie nicht mehr ganz ernst zu nehmen. Oder: Die Bergpredigt sei nur für eine gewisse Elite, deren Lebensumstände es zuließen, tatsächlich umsetzbar, beispielsweise für Priester und Ordensleute. Oder aber die Bergpredigt sei bloß ein Ideal, an dem