Was würde Jesus tun. Markus Schlagnitweit
die unabdingbare Menschenwürde genügen. Das Christentum verankert sie noch zusätzlich in seiner Rede davon, dass alle Menschen – ob getauft oder nicht – Gottes Geschöpfe, seine geliebten Töchter und Söhne und sein Abbild sind. Einen interessanten Zugang bietet darüber hinaus eine Formulierung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde von Korinth. Paulus fragt darin seine Adressaten: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“, und antwortet gleich selbst: „Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr.“ (1 Kor 3,16 f.) – Auch diese Worte sind eine Überforderung, wenngleich eine ungleich „angenehmere“ als die Rede von der Feindesliebe: Tempel, Wohnung Gottes sein – welcher Mensch vermag das? Unfertig, unvollkommen und ungenügend, wie wir alle sind! Eher noch ein Rohbau, eher eine ewige Baustelle als eine Wohnung, ein Tempel gar! Und dann auch noch: heilig – nicht als Forderung, sondern als Feststellung: „Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr“! – Nein, wenn diese Zusage gilt, dann muss sie für alle Menschen gelten. Welche Vorzüge hätte ein Einzelner schon vorzuweisen, dass sie diese Titulierung rechtfertigten in Unterscheidung zu anderen Menschen? – Nein, wenn schon „heiliger Tempel“, wenn schon „Wohnung Gottes“ – dann heißen alle Menschen so und sind alle heilig! – Heilig: also verehrungswürdig, unantastbar, unbedingt liebenswert. – Alle: also auch die ganz Anderen, letztendlich sogar die eigenen Feinde.
Vielleicht sind diese so zu lieben, wie man eben das Heilige liebt: nicht unbedingt mit derselben Wärme und Zärtlichkeit, mit der man Freunde oder gar Lebenspartner liebt – aber jedenfalls in unbedingter Ehrfurcht und Respekt und im Bewusstsein, dass dieser Andere, dass dieser Feind von unbedingter Bedeutung und Würde ist: Heilig auch er; auch er ein Tempel Gottes – selbst noch im brennendsten Konflikt!
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