Standort Bananenrepublik. Hans Christoph Buch
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Die schamlose Bereicherung, gekoppelt mit einer selbst für damalige Verhältnisse rücksichtslosen Ausplünderung der Ressourcen, einschließlich menschlicher Arbeitskraft, rief mächtige Widersacher auf den Plan. Belgien galt als Emporkömmling unter den imperialistischen Staaten, deren Monopole gnadenlos miteinander konkurrierten. Britische Abolitionisten, die nicht der anglikanischen Staatskirche, sondern protestantischen Sekten nahestanden, hatten schon im 19. Jahrhundert lautstark und mit Erfolg die Abschaffung des Sklavenhandels propagiert. Anknüpfend an diese humanitäre Tradition, organisierte Edmund D. Morel, der als Liverpooler Schiffahrtsagent von den Kongo-Greueln erfahren hatte, eine internationale Pressekampagne, die in England und den USA prominente Fürsprecher fand. Zu Morels Unterstützern gehörte der mit Conrad befreundete britische Konsul in Matadi, Sir Roger Casement, dessen schockierende Berichte die Öffentlichkeit wachrüttelten, sowie Mark Twain, der den amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt über die Vorgänge im Kongo informierte. 1905 veröffentlichte er ein Pamphlet mit dem Titel King Leopold’s Soliloquy (König Leopolds Selbstgespräch), das mehrfach neu aufgelegt wurde und dessen Erlös der Congo Reform Association zugute kam. In Mark Twains Text ereifert sich der belgische König über die neueste Errungenschaft der modernen Technik, »die unbestechliche Kodakkamera […] Der einzige Augenzeuge in all diesen Jahren, den ich nicht bestechen konnte.«8
Obwohl er Millionen ausgab, um Abgeordnete und Journalisten zu kaufen – auch im deutschen Reich, dessen Kaiser ihm nicht wohlgesonnen war – mußte Leopold II. klein beigeben und das Kongogebiet, bisher Privatbesitz der Krone, 1908 an den belgischen Staat abtreten, der dafür seine Schulden in Höhe von 110 Millionen übernahm: Ein lukratives Geschäft, aber doch ein Prestigeverlust für den Monarchen. Ausschlaggebend für dessen Niederlage im Public-Relations-Streit war nicht etwa Joseph Conrads Erzählung, die damals schon gedruckt vorlag, sondern die bei Mark Twain erwähnten Fotos, auf denen Augenzeugen, zumeist protestantische Missionare, die Kongo-Greuel dokumentierten: Bilder von Auspeitschungen oder Hinrichtungen, Kindern mit abgehackten Händen etc. Ein fernes Echo dieser Grausamkeiten findet sich in Conrads Schilderung des mit abgeschlagenen Köpfen verzierten Zauns, der das Anwesen von Kurtz umgibt: »Ich hätte überhaupt keine Vorstellung von den hiesigen Verhältnissen, sagte er: Dies seien die Köpfe von Rebellen. Er war über alle Maßen erschrocken, als ich laut auflachte. Rebellen! Welche Bezeichnung würde ich als nächstes zu hören bekommen? Man hatte sie Feinde genannt, Verbrecher, Arbeiter – und dies waren nun – Rebellen. Mir kamen diese rebellischen Köpfe auf ihren Stecken ziemlich unterwürfig vor.«9
Joseph Conrads Zeugnis wiegt umso schwerer, da seine Erzählung vor der von Morel intitiierten Pressekampagne entstanden ist. Daß der koloniale Raubbau auch nach Übernahme des Kongogebiets durch den belgischen Staat nicht beendet war, sondern nur in eine neue Phase eintrat, zeigt der Bericht eines anderen Schriftstellers aus Äquatorial-Afrika. Nach der Genesung von seiner Kriegsverletzung, die ihm einen kaputten Arm und einen Orden eintrug, reiste Louis-Ferdinand Céline, der mit bürgerlichem Namen Destouches hieß, im Mai 1916 nach Kamerun. Von Bikobimbo an der Grenze zu Spanisch-Guinea, wo er sich als Handelsagent niederließ, schrieb er seiner Verlobten Simone Saintu nach Paris: »Der Handel, den ich treibe, ist von himmlischer Einfachheit, er besteht darin, Elefantenzähne gegen Tabak zu kaufen – 2 Päckchen Maryland für einen Stoßzahn, […] der einzige Grund, der mich verleitet, noch in diesem charmanten Land zu verweilen, (um) es mit Tabak zu überschütten, bis der letzte Elefant tot ist.« Und in einem Brief an seinen Freund Albert Milon zieht Céline ein Fazit, das an zynischer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt: »Man geht in die Kolonien, insbesondere nach Äquatorial-Afrika, um Geld zu machen und nicht um sich dort niederzulassen.«10
Célines desillusionierende Erfahrungen in Afrika sind in seinen 1932 erschienenen Roman Reise ans Ende der Nacht eingegangen, dessen Titel eine versteckte Hommage an Joseph Conrad enthält. Ähnlich wie im eine Generation zuvor entstandenen Herz der Finsternis deckt Céline die hinter humanitären Phrasen verborgene Realität des Imperialismus auf, dessen Herrschaft buchstäblich auf Leichenbergen errichtet war. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn beide Autoren blieben befangen in den kolonialen Vorurteilen ihrer Zeit. Céline machte keinen Hehl aus seiner Verachtung für die »primitiven« Afrikaner, denen er alle nur möglichen negativen Eigenschaften zuschrieb, vom Kannibalismus bis zum Körpergeruch – ein Arsenal rassistischer Klischees, das voll ausgebildet schon bei Joseph Conrad in Erscheinung tritt: »ein Gewirbel schwarzer Glieder, gellendes Geschrei, eine Unmenge klatschender Hände, rollender Augen, stampfender Füße, sich wiegender Leiber […] Der prähistorische Mensch verfluchte uns, betete uns an, hieß uns willkommen – wer konnte das sagen? Wir […] glitten vorüber wie ein Phantom, verwundert und insgeheim entsetzt, wie Gesunde angesichts eines Ausbruchs von Raserei in einem Irrenhaus.«11
Die Flußfahrt auf dem Kongo wird zu einer Zeitreise in die Ur- und Frühgeschichte der Menschheit, und der Autor projiziert sein Unbehagen an der europäischen Kultur auf zu Geisteskranken erklärte »Primitive«– eine Gleichsetzung, die nicht erst im NS-Staat ihre mörderischen Konsequenzen offenbart hat. Der nigerianische Romancier Chinua Achebe hat am vehementesten Einspruch erhoben gegen derartige Rassenvorurteile und Klischees, und seine Stimme hat doppeltes Gewicht, weil er dem durch einen grausamen Bürgerkrieg dezimierten Volk der Ibos entstammt: »Der wesentliche Punkt meiner Beobachtungen dürfte nunmehr ziemlich klar sein, nämlich daß Conrad durch und durch Rassist war […] Aber das ist nicht einmal der Punkt. Die eigentliche Frage ist die Entmenschlichung Afrikas und der Afrikaner, die von dieser althergebrachten, weitverbreiteten Haltung nach wie vor begünstigt wird. Und die Frage ist, ob ein Roman, der diese Entmenschlichung feiert und einen Teil der Gattung Mensch depersonalisiert, ein großes Kunstwerk genannt werden kann. Meine Antwort: Nein, kann er nicht.«12
Dieser Frontalangriff gegen Joseph Conrad ist umso bemerkenswerter, als er zu einer Zeit formuliert wurde, da die Political Correctness noch nicht erfunden war. Andererseits war Chinua Achebe literarisch viel zu sensibel und kompetent, um nicht zwei mögliche Gegenargumente anzuführen: Erstens, »daß es nicht die Aufgabe fiktionaler Literatur ist, den Leuten zu gefallen, von denen sie handelt«, und zweitens, daß »Conrad […] 1890 den Kongo hinabgesegelt« ist. Nicht nur Heart of Darkness, auch Achebes Einspruch gegen Conrads Text hat inzwischen historische Patina angesetzt. Er stammt aus der heroischen Phase der Entkolonialisierung, als, im Zeichen der Kulturrevolution von 1968, die bürgerliche Geschichtsschreibung in ihr diametrales Gegenteil verkehrt wurde. So hat Chinua Achebe die dogmatische Behauptung, an allen Fehlentwicklungen der Dritten Welt sei der Kolonialismus schuld, in späteren Schriften revidiert. Trotzdem blieb er bei seinem Verdammungsurteil über ein Buch, »das in höchst vulgärer Weise Vorurteile und Beleidigungen auffährt, unter denen ein Teil der Menschheit […] unsägliche Qualen und Scheußlichkeiten erlitten hat und bis zum heutigen Tag erleidet«.13
Dieses Argument ist durchaus nachzuvollziehen, und doch geht es am literarischen Kern der Sache vorbei, nämlich an der Ambivalenz, die jedes Kunstwerk, das diesen Namen verdient, reicher und vielschichtiger macht als die manifesten Absichten seines Autors. Das gilt für Joseph Conrads Herz der Finsternis ebenso wie für die Romane von Achebe, Kafka oder Céline, deren ästhetischer Mehrwert gerade in ihrer Mehrdeutigkeit liegt, die den Zeithorizont ihrer Entstehung überschreitet und sie auch unter völlig anderen Bedingungen rezipierbar macht. So läßt sich ohne Schwierigkeit nachweisen – und dies ist auch geschehen –, daß es im Werk von Joseph Conrad sowohl antisemitische als auch frauenfeindliche Tendenzen gibt, sowie eine dem Autor unbewußte, latente Homosexualität. Conrads literarischer Bedeutung tut dies keinen Abbruch, genausowenig wie Célines spätere Wendung zum Antisemitismus den Rang der Reise ans Ende der Nacht zu schmälern