Standort Bananenrepublik. Hans Christoph Buch

Standort Bananenrepublik - Hans Christoph Buch


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oder wurden von Janjaweed-Milizen umgebracht. Ihre Familien, die in der Zeltstadt untergekommen sind, haben das Schlimmste überstanden. Sie werden medizinisch betreut und mit Lebensmitteln und Wasser versorgt, wenn auch nur unzureichend, und sie haben ein Dach über dem Kopf. Aber außerhalb des Lagers warten noch einmal soviele Flüchtlinge, die seit Tagen, Wochen, Monaten in der Savanne umherirren, ohne Wasser und Lebensmittel unter sengender Sonne in einer der menschenfeindlichsten Regionen der Welt. Rinder und Pferde sind auf der Flucht verendet oder wurden von Janjaweeds gestohlen, nur Esel und Ziegen haben den langen Marsch überlebt. Die Flüchtlinge verkaufen ihr letztes Vieh – für Nomaden Lebensversicherung und Sparkonto zugleich – und mit dem mageren Erlös bezahlen sie die Mitfahrgelegenheit auf der Pritsche eines LKW, der sie am Lagertor absetzt, wo sie vergeblich auf Einlaß warten. Vor der Aufnahme ins gelobte Land steht eine bürokratische Prozedur, die sich lange hinziehen kann: Die Neuankömmlinge werden von Flüchtlingskomitees der tschadischen Regierung registriert, um sicherzustellen, daß sie keine Einheimischen sind, die von der Gratisausgabe von Lebensmitteln profitieren wollen; Familienzugehörigkeit, Herkunft und Namen werden sorgfältig überprüft, und erst wenn diese Hürden genommen sind, bekommen sie vom UNHCR Plastikfolien, Wasser und Nahrung zugeteilt. Bis dahin vergeht viel Zeit, und die Flüchtlinge leiden Hunger und Durst, während vor ihren Augen mit Lebensmitteln beladene LKW ins Lager ein- und ausfahren. Von den Hilfsgütern fällt wenig für sie ab: Nur Säuglinge und schwangere Frauen, Alte und Kranke werden mit Milchpulver und proteinhaltigen Keksen versorgt, die selbst ein Gesunder nur mit Mühe kauen kann.

      Der Flüchtling, das unbekannte Wesen: Auf einer Karikatur der Zeitung Le Progrès ist ein Verdurstender in der Wüste zu sehen, der von Reporterteams mit Kameras und Mikrophonen umlagert und gefragt wird, wie er sich fühlt. Hier ist es umgekehrt: Als ich aus dem Auto steige, kommen von allen Seiten Flüchtlinge auf mich zu. Zuerst Kinder, dann Frauen in leuchtend bunten Gewändern, zuletzt die Männer, von denen einer, ein grauhaariger Alter im langen Kaftan, fließend englisch spricht. Er ist Lehrer von Beruf und trägt einen Kugelschreiber in der Brusttasche. Der Junge, der ihn an der Hand führt, schreibt mir seinen Namen auf den Oberarm: Er heißt Yakub Abdallah und stammt aus einem Dorf im Innern von Darfur. Berittene Janjaweed-Milizen zündeten die Hütten an und töteten seine blinde Mutter, weil sie nicht schnell genug weglaufen konnte, und ein »Antonow«-Flugzeug der sudanesischen Luftwaffe warf mit Schrappnells gefüllte Bomben ab und nahm die Fliehenden unter Beschuß. Yakub Abdallah gehört zum Volk der Saghawas und hat Englisch und Arabisch unterrichtet; sein Freund Adam Mussah ist 45 Jahre alt, Schuldirektor vom Stamm der Fur. Er bestätigt die Angaben des Alten: Der Krieg in Darfur habe 1984 begonnen mit Viehdiebstählen und Überfällen, bei denen 800 Dörfer zerstört und viele Angehörige des Fur- und Zaghawa-Volks massakriert worden seien. 1989 habe Präsident Baschir Frieden mit ihnen geschlossen und die Bewohner von Darfur aufgerufen, ihre Waffen abzugeben. Als Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht habe er ihnen eine Eisenbahnladung mit Zucker geschickt, aber die Aufständischen hätten, durch Schaden klug geworden, den Zucker gegen Waffen eingetauscht – Zucker ist in Afrika ein Grundnahrungsmittel. »Bitte lassen Sie uns nicht allein«, mit diesen Worten beschließt Adam Mussah seinen Bericht. »Unsere Brunnen und Felder werden mit Chemikalien vergiftet, und ganz Darfur ist ein einziges Massengrab. This is genocide

      Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Es sind immer nur Männer, die sprechen, und die meisten sind Lehrer von Beruf – der Kugelschreiber am Revers ist ein Statussymbol wie bei den Funktionären der SPLA im Südsudan. Ihre Berichte stimmen wörtlich miteinander überein. Was die Beurteilung zusätzlich erschwert, ist, daß man keine wandelnden Skelette vor sich sieht wie bei den Hungersnöten in Äthiopien oder Somalia. Das Elend der Flüchtlinge aus Darfur ist nicht monoton, sondern pittoresk: Die Frauen sind buntgekleidet, und die Männer strahlen eine Würde aus, die durch Hunger und Armut noch nicht gebrochen ist. Nur in den Nasenlöchern der Kinder herumkriechende Fliegen deuten darauf hin, daß sich eine Katastrophe anbahnt – und mit Plastikfetzen und Stoffresten behängte Dornbüsche, unter denen sich zehnköpfige Familien auf der Fläche eines Zweimannzelts zusammendrängen. Die meisten Flüchtlinge sind unterernährt, viele haben Husten und Durchfall: Es gibt keine Latrinen, und nachts wird es kühl, bis zu 5 Grad nach Einsetzen der Regenzeit, die Bronchitis und Tuberkulose nach sich ziehen wird.

      Guéréda, im Grenzgebiet zum Sudan. Früh um sieben machen wir dem Sultan der Zaghawas unsere Aufwartung. Er residiert in einem Lehmpalast, in Sichtweite eines Lebensmitteldepots von WFP, ein riesiges Zelt, bis unters Dach mit aufeinandergestapelten Säcken gefüllt. Der Sultanspalast ähnelt einem Bauerngut, im Innenhof scheppert eine Maschine, die Hirse drischt, und nur der mit Teppichen ausgelegte Empfangsraum, vor dessen Betreten ich die Schuhe ausziehen muß, weist auf den hohen Rang seines Bewohners hin. Mahamat Bakhil Hagar ist das traditionelle Oberhaupt des Zaghawa-Volks, aber er hat keine politische Macht, lediglich eine symbolische und religiöse Funktion. Der Sultan sitzt unter gekreuzten Lanzen und Schwertern auf einem erhöhten Thron; an der Wand hängt ein Lederharnisch, über und über beschrieben mit Suren aus dem Koran, die den Träger vor Dolchen und Gewehrkugeln schützen sollen, und als ich seinen Namen notiere, runzelt er mißbilligend die Stirn. Der Dialog ist mehr als einseitig – selbst die Führer der Roten Khmer sind gesprächiger als der Fürst des Zaghawa-Volks, der auf keine ihm gestellte Frage antwortet und erst nach mehrfachem Insistieren die einsilbige Auskunft gibt, wenn wir etwas über Darfur wissen wollten, müßten wir selbst dorthin fahren. Erst später erfahre ich den Grund seiner Zurückhaltung: Der Sultan habe Angst, etwas Falsches zu sagen, meint Emmanuel, der örtliche Mitarbeiter der SECADEV: »Es ist unhöflich, ihm direkte Fragen zu stellen, denn er hat keine Erfahrung im Umgang mit Reportern, die in seinen Augen Spione sind.« Als traditioneller Herrscher sitze er zwischen allen Stühlen und werde von der Regierung des Tschad ebenso mißtrauisch beäugt wie von lokalen Behörden und rivalisierenden Clans – nicht zu vergessen die Machthaber im Sudan. »Der Sultan verläßt niemals seinen Palast«, mit diesem Satz bringt Emmanuel die Sache auf den Punkt: »Er weiß alles, aber er sagt nichts.«

      Touloum, Tiné, Bahai: Der Besuch der Flüchtlingslager entlang der sudanesischen Grenze gleicht einem quälend langsamen Abstieg durch verschiedene Kreise der Hölle, wobei es jedesmal, wenn ich glaube, der Tiefpunkt sei erreicht, noch schlimmer kommt. In Touloum sind 6 000 Flüchtlinge in Zelten untergebracht, noch einmal soviele hocken apathisch in der kochendheißen Savanne, die keine Handbreit Schatten wirft, und warten darauf, registriert und ins Lager aufgenommen zu werden. Einer von ihnen ist Mohamed Harun, 48, ein Zaghawa-Bauer, dem eine von einer »Antonow« abgeworfene Bombe den Fuß abriß. Er zeichnet mit der Krücke den Fluchtweg in den Sand, den er auf einem Esel reitend zurückgelegt hat. Sein Freund Abdallah Mahmud, 29, wurde von einer Kugel ins Bein getroffen und zeigt mir die schlecht verheilte Schußwunde. Beim Angriff der Milizen wurden sechs Mitglieder seiner zehnköpfigen Familie getötet, unter ihnen ein Säugling, und der einzige Unterschied war, daß die Janjaweeds nicht zu Pferde, sondern mit Pickup-Trucks in das grenznahe Dorf einfielen.

      Aber auch die in Zelten untergebrachten Flüchtlinge sind aus dem Gröbsten nicht heraus. 400 Gramm Sorghum, 50 Gramm getrocknete Bohnen oder angereicherter Mais und 20 Gramm Speiseöl beträgt die Lebensmittelzuteilung pro Tag und Person, aber derzeit fehlt das Speiseöl zum Kochen, und statt der notwendigen fünfzehn Liter werden nur fünf Liter Wasser pro Familie zugeteilt, weil die Wasservorräte erschöpft und Pumpen ausgefallen sind. Trotzdem ist kein Klagelaut zu hören, und junge Mütter mit Kindern auf dem Arm, die stundenlang in der prallen Sonne anstehen, nehmen dankbar die von Hilfsorganisationen verteilten Plastikplanen und Wasserbehälter in Empfang.

      An diesem Tag ist James Morris nach Touloum eingeflogen, der Präsident des Welternährungsprogramms, der als Leiter einer hochrangigen UN-Delegation das für Journalisten gesperrte Kriegsgebiet in Darfur besucht hat und, unter einem Kameldornbaum stehend, die Presse informiert. Morris ist ein korpulenter Mann; er trägt ein Polohemd mit dem Logo eines Golfclubs und berichtet mit schleppendem Südstaatenakzent, was er in Darfur gesehen hat: Zerstörte Dörfer und Flüchtlinge, die selbst in Lagern nicht vor Nachstellungen der Janjaweeds sicher seien. »Politik der verbrannten Erde, ethnische Vertreibung bis hin zum Genozid«, murmelt Morris mit stockender Stimme und hält sich an dem mit Dornen gespickten Baumstamm fest, als habe er einen Schwächeanfall – kein Wunder bei der Hitze und dem Elend um ihn herum. Sein Beispiel wirkt ansteckend, denn auf dem Weg


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