Schwarzes Gold. Dominique Manotti

Schwarzes Gold - Dominique  Manotti


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Bistro, über das er in dem alten Viertel gleich hinter seinem Haus stolpert, schlingt ein Sandwich hinunter und eilt zum Évêché, dem ehemaligen Bischofspalast, heute Sitz des Zentralkommissariats von Marseille. Der Bau beherbergt auch den SRPJ, die Regionaldienststelle der Kriminalpolizei, der er zugeteilt ist, er hat es eilig, Kontakt aufzunehmen, die Luft dort zu schnuppern. Zehn Minuten Fußweg durch ein Labyrinth aus steil ansteigenden, ärmlichen Gassen, dann kommt er bei einem Ensemble imposanter Gebäude heraus, in dem sich das eher Moderne mit dem sehr Alten mischt. Nach einigem Umherirren in einem Netz wenig frequentierter Flure und Treppen findet er schließlich die Büros der Kriminalpolizei, im dritten Stock des einstigen Palasts, wo eine Handvoll Inspektoren in nahezu menschenleeren Räumen zugange sind. Daquin wendet sich an einen, der ihm ein wenig Autorität zu haben scheint, stellt sich vor. »Commissaire Daquin, ich bin frisch hierher versetzt, ich trete meine Stelle morgen an und wollte mich schon mal umhören …«

      »Sie kommen gerade recht. Ich bin Inspecteur Principal Courbet von der Kriminalabteilung. Wir hatten gerade einen Anruf von der Quartierspolizei, Schießerei im Viertel Belle de Mai, zwei Tote, wir müssen hin. An einem Sonntag zur Mittagsessenszeit, bei sonnigem Wetter und gutem Schnee in den nahen Bergen sind wir nicht viele, wie Sie sehen. Ich lasse zwei Inspektoren hier, um die Erreichbarkeit zu gewährleisten, und nehme Sie im Patrouillenwagen mit zum Tatort. Passt Ihnen das?«

      »Das passt mir sehr gut.«

      Im Wagen, der mit angemessener Geschwindigkeit fährt, heulende Sirenen fürs Standing, ist die Stimmung entspannt und der Pariser wird freundlich aufgenommen. Schüsse, zwei Tote, das scheint niemanden groß zu beunruhigen. Daquin sieht das Belle de Mai-Viertel vorüberziehen. Breite Durchgangsstraßen, quasi ausgestorben, Zeilen mit ärmlichen Einfamilienhäusern, hier und da durchbrochen von schnell hochgezogenen Sozialwohnungsblocks, Brachflächen, ein paar wenige Billigläden, er hat das Gefühl, ein Katastrophengebiet zu durchqueren. Ein ganz anderes Gesicht von Marseille.

      Die Kreuzung der Boulevards Guigou und Burel ist blockiert durch einen Auflauf von Polizisten und Schaulustigen. Auf der Fahrbahn ein roter Simca mit zersplitterten Scheiben und verschrammter Karosserie.

      Courbet parkt den Wagen und geht zu den Polizisten, die den Évêché alarmiert haben. Der stellvertretende Staatsanwalt und der Gerichtsmediziner sind noch nicht eingetroffen, die Kriminalpolizei ist als Erste vor Ort, sie hat Reaktionsschnelligkeit bewiesen, darum geht’s. Daquin nähert sich dem Kantstein, beugt sich hinunter. Im Innenraum zwei von Kugeln durchsiebte Körper, alles zerfetzt, blutgetränkt, übersät mit Glasscherben und Blechstücken. Der Fahrer, oder was von ihm übrig ist, wirkt wie ein eher reifer Mann, seinem Beifahrer wurde das halbe Gesicht weggeschossen, sein lebloser Körper hat die Anmut der Jugend. Die Quartierspolizisten erstatten Bericht. Ihren Verletzungen nach zu urteilen, wurden die beiden Opfer mit einem abgesägten Gewehr, wahrscheinlich einer Schrotflinte, unter Beschuss genommen und dann aus nächster Nähe mit einer großkalibrigen Kugel in den Kopf getötet. Die Zeugen, nicht viele, haben wenig gesehen: Der Simca sei gemächlich den Boulevard Guigou entlanggerollt, vom Boulevard Burel kam ein anderer Wagen, schnitt ihm den Weg ab, der Simca hielt an, dann näherten sich zwei Fußgänger, die wohl auf dem Gehweg gewartet hatten, schossen und fuhren mit dem Wagen weg, der die Kreuzung blockierte.

      Marke? Farbe? Niemand weiß es. Wie die beiden Fußgänger ausgesehen haben? Durchschnittliche Größe, Regenmäntel, Hosen, ansonsten … Der Gerichtsmediziner trifft ein. Er hilft zwei Inspektoren bei der Durchsuchung der Leichen, wobei er es möglichst vermeidet, sich mit Blut zu besudeln. In der Gesäßtasche des Fahrers sein Führerschein.

      Ein Inspektor verkündet mit lauter Stimme: »Marcel Ceccaldi.«

      »Ceccaldi!« Courbet stößt einen langen Seufzer der Erleichterung aus. »Den sind wir also los …« An Daquin gewandt: »Ein Mann von Francis le Belge, wir hatten ihn ein Dutzend Mal bei uns. Es handelt sich demnach um eine Abrechnung innerhalb des Milieus. Ich warte auf den stellvertretenden Staatsanwalt, aber damit ist die Sache erledigt. Der Fall wird Richter Bonnefoy übertragen, der uns mit der Ermittlung betraut. Die Täter werden wir nicht finden, es dürften italienische Auftragsmörder sein, die längst wieder zu Hause sind. Und niemand wird sich darum scheren.«

      »Und der Junge?«

      »Unbekannt, fürs Erste. Wahrscheinlich ein Kollateralopfer. Soll ich Sie zurückbringen lassen?«

      »Nicht sofort. Ich würde mich gern in der Gegend umsehen. Ich fahre dann mit Ihnen zurück zum Évêché.«

      »Wie Sie wollen.«

      Daquin geht einmal um die Kreuzung herum. Die Ecke ist verwaist, keine Läden, keine Bars. Erst hundert Meter weiter oben auf dem Boulevard Burel sichtet er den Parkplatz eines Gebäudes, ein paar Wagen, die vor einem Sozialwohnungsblock parken, und auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig eine Telefonzelle. Auf der Fährte des roten Simcas läuft er den Boulevard Burel etwas mehr als einen Kilometer hoch. Er kommt an einer einzigen Bar vorbei, etwa achthundert Meter von der Kreuzung entfernt. Als er eine weitere Telefonzelle erreicht, dreht er um und kehrt zurück zu seinen Kollegen am Ort des Massakers.

      Als Daquin am Montagmorgen im Évêché eintrifft, erwartet ihn Contrôleur Général Payet, der Direktor der Kriminalpolizei. Er empfängt ihn stehend hinter seinem Schreibtisch, weist ihm mit einer Handbewegung einen Stuhl zu und nimmt Platz. »Commissaire Daquin, erfreut, Sie bei uns zu haben, Sie sind uns herzlich willkommen.«

      Die beiden Männer sitzen sich gegenüber. Payet ist schlank, geradezu mager, grauer Anzug, knochiges Gesicht, sehr kurzer Bürstenschnitt, erstarrt in der ständigen Furcht, die Kontrolle zu verlieren. Daquin, groß, athletisch, ein Tier, das auf Gefühlsregungen und Überraschungen lauert. Es funkt nicht zwischen ihnen.

      »Regeln wir zunächst das Administrative. Ihr Posten: die Ermittlungsabteilung, Gruppe zur Bekämpfung der Bandenkriminalität, Sie sind zweiter Stellvertreter des Gruppenchefs. Ihnen untersteht ein kleines Team: Inspecteur Grimbert, ein hervorragender Kenner der Marseiller Situation, er ist seit über zehn Jahren hier im Évêché, und Inspecteur Delmas, ein Jungspund, frisch aus dem Südwesten. Büro 301 ist Ihrem Team zugeteilt. Alles klar?«

      »Vollkommen klar, Herr Direktor.«

      »Kommen Sie heute Mittag her, dann stelle ich Sie dem Leiter der Kriminalabteilung und dem Chef der Gruppe zur Bekämpfung der Bandenkriminalität vor. Und ich betraue Sie mit dem ersten Fall, um Sie einzuarbeiten. Courbet erzählte mir, dass er Sie gestern mit zum Tatort im Belle de Mai-Viertel genommen hat.«

      »Das ist richtig.«

      »Ein guter Einstieg in die Materie. Leider sind solche Vorkommnisse in unserer Gegend nicht selten. In letzter Zeit wurden sämtliche Fälle von Abrechnungen im Milieu gebündelt und die Ermittlungsverfahren Richter Bonnefoy übertragen. Sie werden das Team der Kriminalpolizei verstärken, das mit Bonnefoy zusammenarbeitet, und sich speziell um den Fall Belle de Mai kümmern. Ist Ihnen das recht?«

      »Sehr recht, Herr Direktor.«

      »Dann bleibt mir nur noch, Ihnen gute Arbeit und viel Glück zu wünschen.«

      »Danke, Herr Direktor.«

      Daquin sucht das ihm zugewiesene Büro, findet es bald am Ende eines Flurs, abseits der großen Verkehrsströme innerhalb des SRPJ. Der Raum ist zu klein, aber hell und ruhig, hastig eingerichtet, drei Stühle und drei Schreibtische, bunt zusammengewürfelt, zwei Schreibmaschinen, zwei Telefonapparate und zwei Metallschränke. Er wählt seinen Schreibtisch, gegenüber der Tür, Fenster im Rücken, und liest die regionale Berichterstattung über die Morde im Belle de Mai-Viertel, während er auf seine Teamkollegen wartet.

      Die beiden Inspektoren treffen eine halbe Stunde später zusammen ein. Daquin steht auf und begrüßt zuerst den Älteren, Grimbert, den guten Kenner des Marseiller Lebens, den Mann, den der Chef, wie er annimmt, ebenso zu seiner Unterstützung wie zu seiner Überwachung abgestellt hat, den Mann, dessen Vertrauen er gewinnen muss. Seine Physis überrascht Daquin. Um die dreißig, ein großer Blonder


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