Erinnerungen eines Langensalzaer sechsten Ulanen an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Heinrich Ziehn

Erinnerungen eines Langensalzaer sechsten Ulanen an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 - Heinrich  Ziehn


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      Unser Rittmeister von Stockhausen hatte uns für die Tage des Schützenfestes die besseren Sonntagsanzüge belassen, und wir imponierten deshalb hierdurch den Festgästen und unseren Fabrik-Schönen nicht wenig.

      Aber schon nach der Abreise meines Besuches lag vom Dienstag ab auf dem Volksfeste ein sonderbarer Druck, man munkelte von politischen Zerwürfnissen zwischen Preußen resp. Norddeutschland und Frankreich, meinte, der Zwist wegen der spanischen Königskrone könne Folgen haben usw. und diese Schwüle vermehrte sich mehr und mehr. Schon am Mittwoch reiste ein Teil der Schützen ab, trotzdem der Festschluß erst am Freitag sein sollte; am Donnerstag sprach man schon von geheimen Befehlen zur Einleitung der Mobilmachung des 7., 8. und 11. Armeekorps ganz offen.

      Wenn der 19. Juli der Tag der offiziellen Kriegserklärung geworden ist, so hatte ich doch schon in diesen Tagen die Auffassung, daß man sich auf den Krieg vorbereitete, alle die gewissenhaften Inspektionen von Pferden, Waffen und Zaumzeug deuteten darauf hin.

      Daß uns jungen, frischen Ulanen dabei das Herz natürlich höher schlug und wir die uns gegebene Freiheit weidlich nutzten, beweist folgender Vorfall: Am Mittwoch Abend saßen wir noch 20—30 Mann in einer von andern Gästen leeren Laubhütte auf dem Festplatz, natürlich in Aussicht auf das bevorstehende Feldzugsvergnügen tüchtig trinkend, daß der Tisch schwamm. Da kein aufwischender Kellner vorhanden war, nahm eben der Kamerad Steuding den schönen roten Aufschlag seines Ulankaärmels in die Hand und wischte mit diesem Dienstkleid frischweg die Sauce des Tisches auf. Im Augenblick sah durch die Eingangsöffnung das Gesicht unseres nicht immer liebenswürdigen „Vetters“ herein mit der Frage, was ist denn hier um 11 Uhr eigentlich noch los? und prompt erwidert Steuding: „Da wird eben gesoffen, Herr Wachtmeister.“ Nur der Mobilmachungsrummel hat es wohl vergessen lassen, daß Freund Steuding nicht strengen Arrest und sonstige Bestrafung büßen mußte, denn bei der Abgabe der Sonntagsanzüge flog auch sein Rock auf denselben Haufen wie die andern.

      Am Sonnabend, den 16. Juli, kam die Entscheidung. Wir waren um 7 Uhr auf dem Schloßhof angetreten, um aus den Kammerbeständen marschmäßiges Gepäck (d. i. Mantel, Packtaschen, Futtersack usw.) zu empfangen, da am Montag ein größerer Uebungsmarsch (jedenfalls nicht ohne Grund) gemacht werden sollte.

      Mit schnellen Schritten, gerötetem Gesicht und hintenaus gerückter Mütze erschien unser Rittmeister, sofort mit lauter Stimme „stillgestanden“ kommandierend, uns, die wir erwartungsvoll wie die Säulen standen, die Mobilmachungsordre für das Regiment vorlas und am Schlusse ein Hurra auf Sr. Majestät den König, welchem wir alle dienten, ausbrachte. Wie feurig dieses klang, ist nicht zu beschreiben.

      Vom Augenblick an begann nun eine ganz andere Tätigkeit, Alle bereits empfangenen Sachen wurden auf Haufen geworfen, dafür die funkelneue Uniform der Kriegsgarnitur, welche jedem einzelnen Mann bereits vorher verpaßt ist, ausgegeben, Sättel, Zaumzeug und andere Gepäckteile genau nachgesehen und durch neue ersetzt, Waffen zum Kriegsgebrauch hergerichtet, die Pferde vollständig neu beschlagen, alles auf das sorgfältigste.

      Daß wir hierbei in der freudigsten Stimmung waren, dafür ist Beweis, daß von den 10 Talern welche mein Bruder mir 8 Tage vorher überließ, nach wenig Tagen nichts mehr zu sehen war.

      Es kamen nach ein paar Tagen schon Reserven, zuerst 25 Mann mit Pferden der als „Ersatzschwadron“ zu Haus bleibenden 2. Eskadron, wofür einige kränkelnde Mannschaften und nicht kriegsbrauchbare Pferde sowie die jungen Remonten an dieselbe abgegeben wurden. Dann erschienen die Königsurlauber, sodann Reservisten, welche zum Lanzendienst ausgebildete Kurhessische Husaren wären, während die gerade eine Uebung durchmachenden Gardeulanen sogleich dableiben mußten und zuletzt auch alle aus Frankreich ausgewiesenen Reservisten, soweit dieselben Ulanen waren. Diese Letzteren haben uns später, weil sie der französischen Sprache mächtig waren, sehr gute Dienste getan.

      Nach 3 Tagen gingen verschiedene Pferdeaushebungskommandos ab, je 1 Offizier und za. 6 Mann stark. Ich wurde mit für Apolda bezw. Camburg bestimmt. Wir mußten das Gepäck im Futtersack mit uns nehmen, um für den Fall, daß das Regiment vor unserer Rückkunft abgerückt wäre, per Bahn nachfolgen zu können.

      Als wir am Dienstag, den 19. Juli abfuhren, traf ich in Gotha am Bahnhof meinen Vater, welcher mich noch einmal besuchen wollte. Er fuhr nun wieder mit mir bis Vieselbach zurück und daß mir beim Abschied von ihm und als ich auf der Weiterfahrt meinen Heimatort, vielleicht zum letztenmal, liegen sah, Tränen in den Augen standen, dessen brauche ich mich wohl nicht zu schämen.

      In Apolda war alles in Aufregung, da auch dort die Reservisten zu den Fahnen abgingen. Die Stadt gab denselben am Abend ein Abschiedsessen, und wir waren dazu eingeladen. Frei essend, frei trinkend, als Gäste hochgeehrt, begleiteten wir mit der Bewohnerschaft nachts 2 Uhr mit Musik 200 Reservisten zur Bahn.

      Schon am Nachmittag hatten mich, als ich mit einem Bekannten das bekannte Lokal „Die Zwecke“ betrat, einige anwesende Fabrikherren mit Essen und 1 Flasche Wein traktiert, was ich natürlich alles dankend annahm. In Bezug auf Gastfreundschaft gibt es eben nur ein Apolda, das habe ich später noch mehrmals erfahren.

      Am folgenden Tage hatten wir in Apolda 60 Stück Pferde auszuheben, 24 für Artillerie nach Cassel, 20 für das Bataillon Jena, die übrigen für Weimar und Eisenach.

      Da der Pferdebestand des ganzen Bezirks zur Stelle war und nicht jedes Tier gemustert werden konnte, gab mir der Leutnant v. Langermann den Auftrag, die Reihen durchzugehen und nur die voraussichtlich tauglichen Pferde vorführen zu lassen; Hierbei fielen mir ein paar wunderschöne Apfelschimmel auf, dieselben hatten, wie ich später erfuhr, dem Bürgermeister Pfeiffer in Lachstedt gehört, dessen Sohn mit mir zusammen diente und einer meiner besten Freunde war. Wenn der Mann bei den Pferden doch nur etwas gesagt hätte, ich hätte ohne große Bedenken die Tiere gewiß stehen lassen, so aber kamen die Schimmel nach Jena und haben dort den „Pflasterkasten“ gezogen, den Sohn aber haben die tückischen Franctireurs in Illieres erschossen, hart für den mir persönlich bekannten Vater.

      Leider habe ich an Apolda auch eine recht unangenehme Erinnerung. Es war aus Versehen für Artillerie ein Pferd ausgehoben worden, welches hinten keine Eisen hatte und zwar darum, weil es sich nicht beschlagen ließ. Ein unbeschlagenes Pferd durfte es aber nicht geben, und so gab mir mein Leutnant den Auftrag, mit unserm Hufschmied in einer Schmiede dem Tiere Eisen zu geben, Leichter gesagt als getan. Wir haben das rabiate Tier zwar gezwungen, leider trat mich dasselbe so auf die große Zehe, daß dieselbe lange sehr entzündet war und ich um ein Haar nicht mit ausrücken konnte, es ist mir auch erst za. 4 Wochen danach der Nagel abgegangen, nachdem ich anfangs oft vor Schmerz die Zähne zusammengebissen hatte.

      Am Nachmittag desselben Tages mußte ich mit dem Einjährigen Schilling die 20 Pferde nach Jena abliefern. Wir beiden hatten uns Sättel geborgt und ritten. Für den Transport der Tiere aber mußte uns die Stadt Apolda 6 Leute stellen, und das waren Fabrikarbeiter ohne jede Pferdekenntnis, dabei erschienen sie in Plüschschuhen und waren stark angeheitert. Nun wurde es heiter! Wir hatten je 3 Pferde zusammengekoppelt und setzten auf das Sattelpferd den Mann (alle wollten nämlich reiten) hinauf. Kaum zur Stadt hinaus, purzelte natürlich der eine hüben, der andere drüben herunter und wir hatten Mühe, die Tiere, welche ins Feld schwenkten, wieder einzufangen. Nun mußten wir freilich die Leute anrasseln und zu Fuß laufen lassen, zuletzt aber ritten doch alle wieder.

      In Jena standen vor der „Rose“ eine Anzahl Studenten, welche wir nach der Wohnung des Batallionskommandeurs fragten. Ohne weiteres führten uns dieselben im Zuge dahin, nahmen uns nach Erledigung unserer Pflichten wieder mit zur „Rose“, und trotz ziemlicher Zeche waren wir doch zahlfreie Gäste der Herren.

      Da ich beim Bataillon mehrere Bekannte hatte, war es nicht auffällig, daß, als wir mit den Pferden an der zum Brotempfang stehenden 10. Kompagnie vorbeizogen, aus dem Glied mein Cousin, „der Utz“ aus Utzberg, heraussprang, mich anrufend: „Aber Freund! wie kommst denn du hierher.“ Dann hat es Urlaub gegeben, und mit noch mehreren Freunden haben wir den Abend verbracht, bis wir in von der Stadt Jena zur Verfügung gestellten Landauern 3 Uhr Nachts wieder nach Apolda kamen.

      Am Abend des 21. kamen wir beide, der Einjährige und ich, wieder nach Langensalza zurück und bat ich am andern Morgen den Wachtmeister himmelhoch, mich wegen meines Fußes


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