Erinnerungen eines Langensalzaer sechsten Ulanen an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Heinrich Ziehn
recht sonderbares Gefühl. In Gunstedt war jedes Haus ein Lazarett. Vor dem Dorfe war ein großer Verbandsplatz. Zum größten Teil auf bloßer Erde lagen da Tote und schwer Verwundete alle untereinander, die letzteren vielmals laut aufschreiend vor Schmerzen. Die Aerzte aber, mit aufgestreiften Hemdärmeln, hantierten mit Messer und Verbandszeug darunter.
Das war der Krieg und der Tod in Wirklichkeit, nicht wie er in schwungvollen Festreden und Festliedern vielmals geschildert wird. Alle diese gesundheitstrotzenden, jungen Leute hatten kurz vorher noch gejubelt, und nun lagen sie hilflos da und rangen mit dem Tode, wollten nicht sterben in ihrer Jugend und Kraft und mußtens doch. — Wir aber, die wir noch gesund waren, wir wären gern zu ihnen gegangen, denn alle waren vom 11. Korps und mancher Freund vielleicht darunter, konnten und durften es aber nicht, denn unsere Pflicht war eine andere. Von diesem Bilde waren wir alle tief ergriffen, später freilich, da wurde das Herz hart, die Macht die Gewohnheit ändert eben vieles.
Es war mittlerweile Nacht geworden, als wir durch Gunstedt hindurchkamen. Auf einem Kirschbaume der Chaussee saß oben ein angeschossener Turko und schrie vor Schmerzen laut auf, niemand bekümmerte sich um ihn. Dann ging es bei der Brückmühle, wo unsere 11. Jäger so furchtbar gelitten hatten, über die Sauer auf der Straße bis Eberbach vor, wo wir der Dunkelheit wegen um 10 Uhr Biwak aufschlugen. Vorher jedoch sahen wir an einem Hügel eine große Anzahl weißer Punkte und glaubten erst es seien Gänse, es waren aber tote französische Kürassiere, welche bei einer Attacke auf unsere Infanterie, hauptsächlich auf das Eisenacher Batallion, gefallen waren. Da es zu regnen anfing, holten wir uns aus den Gehöften von Eberbach, welches ebenfalls voller Verwundeten, meist Franzosen, lag, Stroh, Türen und alles mögliche heraus und hieran knüpfte sich für mich später folgendes Erlebnis: Als ich vor mehreren Jahren mit einer Anzahl 94er zur Denkmalsweihe nach Wörth fuhr, stiegen wir bereits bei Gunstedt aus und mich drängte es, die Stelle, auf welcher in der Nacht des 6. August mein Haupt gelegen, noch einmal zu sehen. Da schloß sich uns ein Mann an, welcher aus Ebersbach war. Ich fragte denselben, ob er etwas darüber wisse, wie es während der Schlacht bei ihnen zugegangen sei. Er erzählte hierauf, daß er selbst ein kleiner Junge gewesen und im Keller gesteckt habe, sein noch lebender Vater aber rede heute noch oft davon, daß zwar im Orte selbst nicht gekämpft worden wäre, trotzdem aber alles voller Verwundeter gelegen habe. In der Nacht aber seien vor dem Orte so viel preußische Ulanen eingetroffen, daß es ihnen Angst und Bange geworden sei. Alles hätten dieselben hinausgeschleppt, Betten, Stroh, Türen, Holz und Lebensmittel und früh, als es Tag geworden, seien dieselben eben so plötzlich verschwunden gewesen wie sie gekommen seien.
Ich sagte dem Manne, er möge seinem alten Vater berichten, wie er mit einem von diesen greulichen Ulanen gesprochen und dieser ihn herzlich um Verzeihung bitten ließe, weil es eben damals Krieg gewesen, wo sich jeder helfen müsse so gut es ginge: „Not kenne kein Gebot.“
4. Die Verfolgung des Feindes nach Wörth.
Um 4 Uhr früh am 7. August war die Kavallerie, unser Regiment als Avantgarde, wieder an der Arbeit, und nun haben wir fast 2 Tage den Sattel auf dem Pferde gehabt, sind auch nicht viel aus demselben herausgekommen. Es ging zunächst über Reichshofen und Niederbronn auf Buxweiler zu.
Allerwärts standen in der Eile des Rückzuges stehengelassene französische Wagen, welche alle untersucht wurden und dann, um die Straßen freizubekommen, einfach umgeworfen werden mußten.
Ich selbst habe mich damit beschäftigt, z. B. an einem Wagen mit Bisquit und Konfekt, natürlich wurde der eigene Vorteil dabei wahrgenommen. Von einem Wagen voller Noten und Instrumente, entnahm ich einen hübschen Taktierstab. Das größte Vergnügen aber boten einige Wagen mit wunderschöner Damengarderobe. Da gab es zierliche Hütchen, seidene Kleider und Jacketts, feine zierliche Lackschuhe, Unterröcke und sogar — ich bitte das nur zu ahnen — diskrete Spitzenhöschen, auch allerhand schöne Parfüms, Seifen usw. Donnerwetter! dachte da wohl mancher von uns Barbaren, hätten wir doch die jedenfalls schöne Besitzerin dieser Sächelchen leibhaftig darin gehabt. Gerochen hat man uns einige Tage schon von weitem, so hatten wir uns einparfümiert.
Ja, die Herren Franzosen waren, wie es schien, recht sehr mit Damen intim, welche es sich jedenfalls vorgenommen hatten, in Berlin eine Rolle mitzuspielen. Ja andernteils hatte auch jeder einzelne Mann für den zu erwartenden Einzug eine nagelneue Uniform im Tornister, wie festgestellt wurde. Da waren wir freilich im Gegensatz dazu recht armselig.
Was aber eine verlorene Schlacht für Folgen hat, bewiesen die vielen an diesem und den folgenden Tagen eingebrachten Gefangenen. Zumeist waren es von ihren Truppenteilen abgekommene Versprengte ohne Führung. Ich selbst habe mit 4 Kameraden 6 Franzosen aus einem Haus herausgeholt, welche sich uns ergaben ohne einen Schuß zu tun, trotz geladener Gewehre. Resolut wurden sie gepackt, die Gewehre zum Fenster hinausgeworfen, beim Kragen genommen und abgeführt. Immer freilich ging es so glücklich nicht ab. Als wir immer weiter vordrangen, stießen wir auf größere Trupps und weil unsere Infanterie nicht zur Hand war, mußte öfters zurückgegangen werden.
Alle Ortschaften waren noch vom Feind besetzt, die Straßen lagen voll von zerbrochenen Fuhrwerken, Tornistern, Gewehren usw.
Buxweiler zu besetzen war nur unter Zuhilfenahme der Artillerie möglich. Das Regiment mußte dann aber noch bis Steinburg vordringen, was bis abends 9 Uhr gelang. Aber bald darauf mußte, nachdem größere feindliche Truppenmassen eingetroffen waren, der Rückmarsch angetreten und bei Buxweiler um 2 Uhr nachts ein Biwak bezogen werden. Abermals heftiger Regen. 32 Stunden hatten wir fast ununterbrochen im Sattel gesessen.
Da der Einmarsch in die Gebirge der Vogesen nur durch Infanterie erzwungen werden konnte, mußten wir auf dieselbe warten.
Während die Kavalleriedivision von 8. bis 10. August in ihrer Stellung verblieb und Ruhe hatte, wurde unsere 4. Eskadron der 22. Infanteriedivision zugeteilt, mit welcher sie als Spitze derselben in die hohen Berge einmarschierte.
Die Wohnungen waren dort teilweise in die Felsen eingebaut und mir ist erinnerlich, daß einmal die ganze Schwadron, einer hinter dem andern, das Pferd am Zügel führend, einen hohen Berg hinaufklettern mußte, die Mannschaften sich an den Bäumen festhaltend.
Daß die Franzosen uns hier ruhig durchziehen ließen, wo sie uns doch sozusagen mit Steinen hätten totwerfen können, war uns allen unerklärlich. Nachdem wir in dem romantischen Ingetal alles abgesucht hatten, wurde bei Dassenheim biwakiert, natürlich wieder im Regen.
Am 10. August früh 6 Uhr wurde aufgebrochen, wieder das Tal der Inge entlang bis vor Pfalzburg, einer Festung, welche von der Artillerie der 22. Division beschossen wurde. Unsere Schwadron, 1 Schwadron 13er Husaren und 94er lagen dicht nebeneinander im Biwak.
Die Nacht vom 10. zum 11. August ist wohl jedem von uns unvergeßlich. Es fing schon am Nachmittag infolge eines Gewitters an mit regnen, und es regnete weiter die ganze Nacht bis zum Morgen, aber wie! Man höre. Die an der nahen Straße stehenden hohen Pappeln waren in kurzer Zeit bis zur höchsten Spitze von den Aesten befreit, um von dem Reisig Hütten zu bauen. Nun werden bekanntlich im Biwak die Pferde, jedes Glied für sich, mit den Köpfen nach außen gestellt. Für je 12—14 Pferde wird eine Leine gezogen, welche an beiden Enden an in die Erde geschlagene Piquetpfähle angebunden wird. An diese gezogenen Leinen werden wieder die Pferde angebunden.
In der zwischen beiden Reihen gebildeten Gasse werden geordnet die Sättel hineingelegt, die Lanze daneben mit dem Schaft in den Boden eingesteckt. Das gibt im Manöver bei schönem Wetter ein hübsches Bild. Für jedes Glied eines einzelnen Zuges muß ein Mann Wache stehen, um Ordnung zu halten. Diese Wachen lösen sich ab.
Wir hatten uns also ca. 13 Mann eine Laubhütte gebaut und dicht nebeneinander hingelegt auf den nassen Boden. Jeder sollte 1/2 Stunde Wache stehen. Den Pferden waren die Decken abgenommen und diese, um sie etwas trocken zu erhalten, unter die dahinter liegenden Sättel geschoben. Wir schliefen natürlich trotz aller Nässe vor Müdigkeit ohne weiteres ein. Die Pferde aber, welche zitterten wie Espenlaub, wurden unruhig und schwenkten, weil die Piquetpfähle ausgerissen waren, die einzelnen Zugglieder für sich, nicht nur einmal, sondern fortwährend herum immer über Sättel und Lanzen hinweg, sodaß dieselben förmlich in den