Erinnerungen eines Langensalzaer sechsten Ulanen an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Heinrich Ziehn
ehe es wegginge, die Bouillon abtrinken, das Fleisch aber als Frühstück mitnehmen wollten. Als wir beim Aufwecken um 4 Uhr aber einen gewaltigen Katzenjammer spürten, stahl ich die ganze schöne Fleischbrühe für uns und schüttete helles Wasser über daß Fleisch.
Um 5 Uhr wurde alarmiert. Nachdem wir ein Stück geritten waren, erkundigte sich der Bursche bei einem Kameraden, ob sein Fleisch auch eine so schlechte Bouillon gegeben habe wie das ihre. Allgemeines Hohngelächter der Schwadron, von denen die meisten diesen Streich bereits erfahren hatten, war die Antwort.
Am 16. August wurde der Weitermarsch angetreten, und unsere Schwadron bekam einen sehr ehrenvollen aber auch anstrengenden Auftrag, der nicht ohne Gefahr war.
Wir bildeten die äußerste linke Seitendeckung der ganzen III. Armee bei dem Vormarsche nach Chalnus, wo, wie man glaubte, die Franzosen sich festsetzen würden. Wir hatten dieses Kommando bis zum 24. August, also 10 Tage lang, bekamen einen andern deutschen Soldaten nur sehr selten zu sehen, und durchstreiften lauter Ortschaften, wo noch kein Deutscher gewesen war. Die halbe Schwadron mußte aber stets den Sicherheitsdienst für uns und die Armee mit besorgen, d. h. Patrouillen reiten und Feldwachen aussetzen nach allen Richtungen hin, umsomehr, als Franktireursbanden sich mehr und mehr zu bilden schienen.
Zunächst noch etwas näheres über diese Herren.
Es waren mit Militärgewehren bewaffnete freiwillig zusammengeschaarte, meist zweifelhafte Elemente der Bevölkerung ohne Uniform im blauen Kittel. Dieselben belästigten nicht nur uns, sie raubten und stahlen auch im eigenen Lande. Es sind Fälle vorgekommen, daß die Einwohner der Dörfer und Städte froh waren, als wir kamen und die Gesellschaft verjagten. Von uns wurden sie anfangs nicht als Soldaten, sondern als Räuber behandelt, waren für uns jedoch gefährlicher als das Militär. Später wurden sie infolge diplomatischer Einmischung Englands als Soldaten anerkannt, mußten aber uniformiert werden und trugen Käppis und blaue Litewkas, wie jetzt unsere Landwehr hat.
Größere Requisitionen für die Armee an Hafer, Schlachtvieh usw. mußten wir in den einzelnen Ortschaften alltäglich vornehmen und dieselben absenden. Hierdurch entstanden fast alle Tage Mißhelligkeiten mit den Behörden, und vielmals mußte Gewalt angewendet werden. Dieses vorausgeschickt. Wir marschierten am 16. August also zunächt durch Nancy. Wie schon gesagt, ist dieses eine der schönsten Städte Frankreichs. Wunderhübsche Plätze und ein prachtvolles Mairygebäude fielen uns besonders auf.
Dann ging es nach Point St. Vincent bis Colombey, wo biwakiert wurde. Hier mußten wir die ersten 2 Pferde erschießen, weil dieselben nicht mehr weiter konnten wegen Ueberanstrengung. Die Leute kamen auf einen requirierten Wagen.
Am 17. August kamen wir bis Champagny an der Maas, Quartier für die halbe Schwadron, die andere Hälfte auf Patrouille und Feldwache, ich natürlich wie immer bei den letzteren.
Während bis Nancy die Bevölkerung uns noch verstanden hatte, da wenigstens ein Teil derselben deutsch sprechen konnte, war dies hier nicht mehr möglich, und es mußten die ersten Brocken französisch eingepaukt werden. Ich erinnere mich noch, das mein erstes Wort le feu (Feuer) war, weiter lernte ich am ersten Tage noch de la viande (Fleisch), du sel (Salz) und du pain (Brot).
Ich hatte eine schöne geschnitzte Tabakspfeife mitgenommen. Im Quartier, beim Instandsetzen unserer Sachen, rauchte ich dieselbe. Der Sohn des Hauses, ein hübscher schlanker, za. 18jähriger Bursche, hatte seinen Narren an derselben gefressen, weil man Pfeifen mit so großen Köpfen in Frankreich nicht kennt, sondern nur die kleinen Checkpfeifchen aus Ton.
Der junge Mensch bat mich, ihn doch einmal rauchen zu lassen und als ich es ihm gestattete, trat er nun mit meiner Pfeife im Munde auf die Straße und wurde von den Einwohnern nicht wenig begafft. Ich hatte mich nicht weiter um ihn gekümmert und war er die Straße hinaufgewandert.
Mit einem Male wird alarmiert, wir müssen schnell fort und meine Pfeife war ich los, denn wer nicht wiederkam war unser Bursche. Ich habe den ganzen Ort verwünscht aus Aerger, zumal ich noch ausgelacht wurde.
Am 18. August in derselben Weise Marsch der Eskadron über Goudrecourt bis Bonneé und am 19. bis Hevilliers.
Als am Mittag dieses sehr heißen Tages im freien Feld ein Biwak bezogen wurde, um den überanstrengten Pferden etwas Ruhe zu gönnen, ging der Herr Rittmeister die Pferdereihen entlang. Vor meinem Apfelschimmel, welcher sich der Länge nach auf den Erdboden gelegt hatte, blieb er stehen, ihn aufmerksam betrachtend. Dann fragte er mich, ob das Tier krank sei; ich erklärte, daß ihm gar nichts fehle, daß er sich blos nach dem Absitzen immer gern ein wenig niederlege, um sich auszuruhen, dann sei er wieder frisch.
Nun, dann soll er heute eine Extratour machen, machen Sie sich zurecht. Sofort schrieb er eine längere Meldung und überreichte mir das Kuvert mit dem Auftrag, dasselbe an den Stabschef der Division nach dem Divisionsquartier zu überbringen und auf Antwort zu warten. Alsdann sollte ich wieder nach hier zurückreiten und der Eskadron, welche westwärts weiter gehen werde, zu folgen. Er nannte mir den Ort, wo ich den Stab treffen würde, teilte mir etwas über die Entfernung, za. 18— 20 Kilometer, mit und mahnte mich noch zur Vorsicht, da in den Dörfern, welche unbesetzt von unsern Truppen waren, sehr viel auf einzelne Reiter geschossen würde. Besorgt ritt ich ab, mein Schimmel, welcher „klebte“, d. h. nicht gern von andern Pferden wegging, schien auch keine rechte Lust zu haben. Aber als ich ein Stück hinweg war, trabte er tüchtig drauf los. Nach za. 1/2 Stunden bemerkte ich seitlich eine 6 Mann starke Reiterpatrouille und glaubte zuerst, es seien französische Chasseurs. 2 Mann kamen sofort auf mich zugesprengt und schon machte ich mich kampffertig, als sich herausstellte, daß sie von unsern grünen Husaren, 9. Regiment Schleswig, waren. Die Patrouille, welche einer andern Division angehörte, wunderte sich, daß hier noch deutsche Truppen seien.
Der freundliche Leutnant aber, welcher die Patrouille führte und ebenfalls herangekommen war, zeigte mir den Ort in weiter Ferne, wohin ich zu reiten hätte; das erleichterte mich sehr. Im Stabsquartier angekommen übergab ich dem Major v. Versen, unserm Stabschef, meine Meldung, bat um Futter für mein Pferd und Essen für mich. Beides wurde mir sofort angewiesen, und nach einer Stunde mußte ich mich wieder melden. Als ich dies in Anwesenheit einer ganzen Anzahl von Offizieren unserer Division tat, bekam ich ein Schreiben an unsern Rittmeister und empfing auch Mitteilung davon, daß nach einer mörderischen Schlacht am gestrigen Tage bei Gravelotte und St. Privat die ganze französische Nordarmee in der Festung Metz eingeschlossen sei. Ebenfalls erfuhr ich von dem Todesritt unseres Schwesterregiments, den 16. Ulanen, bei welchem eine Anzahl Bekannter als Reservisten eingestellt waren. Als ich aber nach langem Ritte wieder dahin zurück kam, wo ich um 1 Uhr abgeritten war, sah ich natürlich von der Eskadron nichts mehr, die Nacht brach herein und ich konnte nur den zurückgelassenen Spuren folgen. Nach fast 2 Stunden kam ich an den Ort wo sie sich eben einquartieren wollten.
Ich gab meine Meldung ab, machte auch Mitteilung von dem großen Siege bei Metz, wovon der Rittmeister sofort dem noch anwesenden Teil der Eskadron Kenntnis gab. Auch ich erhielt ausnahmsweise ein Lob. Meinem Pferde habe ich nun noch ein Eisen aufschlagen lassen, gefüttert, dann haben wir beide im Stalle wie tot gelegen bis zum Morgen.
Am 20. August gab es einen kleinen Marsch bis nach Saronniere en pertais, woselbst als Ersatz für die vorgestern erschossenen Pferde 2 andere für uns requiriert wurden.
Am 21. August hatten wir Ruhetag, an welchem ich mit Rücksicht auf meinen vorgestrigen anstrengenden Ritt vom Patrouillen- und Feldwachendienst verschont blieb.
Am 22. August bis Mittag blieben wir noch in diesem Quartier, dann rückten wir nach dem Städtchen Vassy, wo sich eine kaiserliche Tabaksmanufaktur befand. Dort wurden za. 80.000 Stück Zigarren requiriert und der Division übersandt Aber auch wir alle hatten uns von Zigarren und Tabak so viel zugelegt, als wir nur unterbringen konnten, es wa ja französisches Staatsgut.
Wir marschierten dann noch bis Magneux, wo wir einquartiert wurden. In diesem Quartier sah ich in der Stube ein einfaches kleines Tabakspfeifchen hängen.
Im Aerger noch über meine mir abgeschwindelte Pfeife, und weil wir mit Tabak reichlich versehen waren, hatte ich sofort den Gedanken: „Die muß dein werden“. Und beim Ausrücken andern morgens gelang mir