Die Venusische Trilogie / Engel weinen nicht. Omnec Onec

Die Venusische Trilogie / Engel weinen nicht - Omnec Onec


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      „Okay“, sagte ich ruhig mit einem Anflug von Traurigkeit. Peggy war wirklich lieb und drehte mir das Haar auf. Sie war so wunderschön mit ihren blauen Augen, der wunderschönen Haut und dem langen, welligen, braunen Pferdeschwanz. Ich würde sie vermissen.

      „Montag müssen wir mit dir zur Schule gehen oder eine Nachricht schicken und ihnen sagen, daß du Ende der Woche gehen wirst. Dann können sie dir die Zeugnisse zur neuen Schule schicken.“

      „Okay.“

      Aber anstatt Montag zur Schule zu gehen, mußte ich Daddy und Peggy Aufwiedersehen sagen. Tränen füllten meine Augen. Großmutter wollte, daß ich früh nach Hause kam, um ihr beim Auspacken behilflich zu sein und das Haus herzurichten. Ich war noch nicht einmal in der Lage, meinen Freunden Aufwiedersehen zu sagen.

      Großmutter erwartete mich, als ich wieder einmal in der Southern Street Nummer 1821 anklopfte. Drinnen war alles in Unordnung, und trotz der Hilfe von Merle und Ben gab es nicht viel, was wir tun konnten, um den Ort schön zu gestalten. Die Wohnung selbst sah neu und glänzend aus, aber Großmutters Einrichtung war so alt und wirkte so schrecklich, daß ich schnell deprimiert war.

      Großmutter, so hatte ich von Vonic gelernt, hatte sich von ihrem Ehemann wegen seiner Trinkerei getrennt und lebte mit den beiden Jungen allein.

      Wenn man von den Hügeln von Chattanooga hinuntersah, hatten die Appartements unseres Wohnbauprojekts gegenüber dem Eisenbahnhof die Form eines riesigen Hufeisens. Die Southern Street grenzte an das eine Ende des Projekts und hinter uns befanden sich Reihen von zweigeschossigen Ziegelsteingebäuden mit flachen, weißen Kiesdächern. Jede Familie verfügte über einen eigenen Hinterhof, ein Ober- und ein Untergeschoß und mit der Hausnummer beschriftete Mülltonnen.

      Die Innenwände unserer Wohnung bestanden aus ebenmäßigen, pfefferminzgrün gestrichenen Mauersteinen, und die Böden waren mit dunkelbraunen Asphaltfliesen bedeckt. Vorn war das Wohnzimmer, ein Flur rechts führte zur Küche, und die Betontreppe hinauf zu den Schlafzimmern ging links vom Flur ab.

      Alles war elektrisch; unsere Wohnung hatte einen neuen Kühlschrank, einen Herd und in die Wände eingelassene Heizkörper. Neben der Küche und hinter dem Wohnzimmer lag die Speisekammer. Hier befanden sich zwei große Spülbecken und eine Menge Regale und Schränke. Die obere Etage bestand aus drei Schlafzimmern und einem modernen Badezimmer mit einer eingebauten Badewanne.

      Für die 25 Dollar, die Großmutter monatlich zahlte, war dies sogar für moderne Verhältnisse luxuriös. Jeden Monat kamen Kammerjäger, die Ungeziefer beseitigten, ein Service, den viele Leute in großen Städten nicht hatten, wie ich erfuhr.

      Ein paar Tage nachdem wir uns eingerichtet hatten, schleppte Großmutter uns in ein schönes weißes Holzgebäude in der Nähe unseres Hauses. Ich verstand bald, was Vonic gemeint hatte, als er sagte, daß sie eine ergebene Christin in der Kirche Gottes war.

      Die Neuheit, in die Kirche zu gehen, war bald keine mehr, weil wir jeden Montag, Mittwoch, Freitag und Sonntag dorthin gingen. Die Sonntagsschule war lustig. Wir lasen Geschichten und sangen Lieder. Genauso lustig war es, in der Kirche zu singen und den Gitarren und dem Piano zuzuhören. Ein junger Mann, der manchmal vor der Gemeinde sang, war besonders beliebt. Sein Name war Elvis Presley.

      Meine übrigen Erfahrungen in der Kirche bestanden aus Lektionen in Toleranz und Verständnis. Die Kirche Gottes machte es einem sehr schwer, ein Individuum zu bleiben. Genau wie Vonic erklärt hatte, durften Frauen keine Hosen, keine kurzen Haare, keine Dauerwelle, Makeup oder Schmuck tragen. Es schien, als wären die meisten Regeln für Frauen gemacht.

      Den Männern war es verboten zu trinken oder zu rauchen, was ja eigentlich gut für ihre Gesundheit war. Doch es störte mich, daß sie dies nur befolgten, weil es eine Vorschrift war.

      Die Predigt störte am meisten. Die Geistlichen predigten immer direkt aus der Bibel, sie begannen mit einer Geschichte und erklärten dann die Moral. Oft wiederholten sie dieselbe Idee vier oder fünf Mal, wobei sie verschiedene Beispiele benutzten. Und es war immer eine höchst emotionale und manchmal laut geschriene Art von Predigt.

      Immer wenn ein Wanderprediger in der Stadt war, erreichte das Predigen und Singen einen absoluten Höhepunkt. Großmutter bestand darauf, mich zu diesen Erweckungen mitzunehmen; die Versammlungen wurden jeden Abend abgehalten.

      Die Gemeindemitglieder brachten Neulinge mit, die gerettet werden sollten und demjenigen, der die meisten Konvertiten mitbrachte, wurden Preise verliehen. Ich wußte nicht, was ich von all dem halten sollte.

      Der Wanderprediger flehte und bettelte die Neulinge an, heraufzukommen, um jetzt gerettet zu werden, bevor es zu spät sei. Seine aufgeheizte Stimme mischte sich mit Hymnen aus dem Hintergrund. In der Zwischenzeit entstand in der Kirche oft eine sonderbare Atmosphäre. Menschen fingen an zu weinen und knieten nieder. Andere begannen, auf und ab zu springen, mit hoher Stimme zu rufen und in fremden Zungen zu reden. Die Bibel an einer bestimmten Stelle aufgeschlagen, gingen sie emotionsgeladen herum, zeigten sie anderen und redeten in einer mysteriösen Sprache.

      Diejenigen, die gerettet wurden, fielen weinend und wehklagend vor der langen Holzbank auf die Knie, die als Altar diente.

      Der Prediger und seine Mitarbeiter eilten prompt herbei und knieten bei jedem neuen Anwärter. „Bist du gewillt, Gott um die Vergebung deiner Sünden zu bitten? Bist du gewillt, ein heiliger Mensch zu sein und deine Sünden vom Blute Jesu wegwaschen zu lassen?“

      Dieses Geschäft mit dem Blute Jesu beunruhigte mich oft, weil ich die Dinge wörtlich nahm.

      Als alles vorüber war, standen die geretteten Leute vorn, und alle kamen, um ihnen die Hände zu schütteln und sie als Mitglieder der Kirche willkommen zu heißen.

      Die Erweckungen schläferten mich gewöhnlich ein, wenn ich nicht zeichnen oder spielen konnte. Manchmal versuchte ich, dem zuzuhören, was vor sich ging, doch mein Interesse hielt nie lange an. Ich mochte das Singen und das Klatschen, das war alles.

      Ich sah und verstand, daß diese Leute sehr aufrichtig waren, und all das hatte für sie eine sehr tiefe spirituelle Bedeutung. Meine Reaktionen basierten auf meinen eigenen Erfahrungen und Lehren.

      Auf der Venus hatte ich gelernt, daß die Bibel ein Tagebuch besonderer Menschen war, die vor langer Zeit auf der Erde lebten. Sie war kaum mehr als ein Geschichtsbuch. Das ist für die Leute auf der Erde schwer zu akzeptieren. Es gab eine Zeit, als in den Reden der religiösen Führer große Wahrheiten lagen, aber nach Jahrhunderten der Überarbeitung und Rückübersetzung können die Worte der Bibel nicht mehr als absolute Wahrheit angenommen werden. Den Geboten stimme ich jedoch zu.

      Auf der Venus ist es bekannt, daß viele Individuen die Schriften spiritueller Führer für ihre eigenen Zwecke verwendet haben oder dazu, eine bestimmte Aussage einzubringen. Wenn es eine andere Meinung über das gab, was geschrieben stand, oder wenn etwas nicht verstanden wurde, dann wurde dieser Abschnitt der Bibel umgeschrieben.

      Verschiedene Gruppierungen haben aus diesem Grund unterschiedliche Bibeln. Die Schriften wurden ihrem Verständnis von Wahrheit entsprechend verändert.

      Das Wort Gottes oder der Wahrheit muß erfahren, nicht in einem Buch gelesen werden. Dies geschieht durch das wirkliche Sehen der Höchsten Gottheit und durch die Kommunikation mit ihr in der namenlosen Welt jenseits der Seelenebene. Nur die Seele selbst kann sie erfahren. Es ist keine physische Erfahrung.

      Um die Menschen zu beherrschen, haben religiöse Führer das „Glaube-oder-sei-verdammt-Evangelium“ geschaffen – eine Religion der Angst. Es wurde ein Postulat aufgestellt, daß eine bestimmte Sammlung von Schriften das Wort Gottes sei. Durch Manipulation und Interpretation des Buches können die Menschen beherrscht werden. Dies sind die Werke von Kal, der negativen Kraft, obwohl die meisten sich gar nicht bewußt sind, darin verwickelt zu sein.

      Das menschengemachte Gesetz ärgerte mich, und oft bekam ich Streit mit Großmutter darüber, warum Frauen keinen Lippenstift auflegen oder Hosen tragen durften. Es ergab für mich einfach keinen Sinn, daß eine Kirche in der Lage war, den Leuten vorzuschreiben, das eine zu tun und das andere zu lassen.

      Gemäß


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