Die Unworte. Horst Hartleib

Die Unworte - Horst Hartleib


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Schöne, sie sicher entsorgt, weil es ihnen an Unansehnlichkeit mangelte. Sie wären ihm „zu wenig hässlich“. Ein Teil davon ist mir verhungert, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes zu dumm zum Fressen waren. Aber vor allem die Frauen waren von ihnen ganz hingerissen. „Sind die süß!“ Als pflichtbewusster Händler, der seinen guten Ruf nicht durch Verkauf mangelhafter Ware verderben will, habe ich wider meine Gewohnheiten darauf hingewiesen, dass es mangelhafte Ware ist, die ich ungern abgebe. Aber das hat die Kaufwut der Leute nur angestachelt. Die haben das vielleicht für Bückware gehalten, aber heutzutage ist ja die Bückware das Preiswerte. Mir war nicht wohl dabei. Ich dachte, falls die Käufer überhaupt wiederkommen, dann mit einer Beschwerde. Du ruinierst dir deinen Kundenstamm und deinen guten Ruf, habe ich gedacht, wie Joseph Roths Korallenhändler Nissen Pitschenik, nachdem er billige Imitate in sein Sortiment aufgenommen hatte. Aber ganz im Gegenteil. Viele kamen bald wieder. Sie wollten mal wieder vorbei schauen. Ich hätte immer so interessante Sachen. Ich sage es nicht gerne und Sie kennen vielleicht auch den üblen Spruch der Handwerker „Was lange hält, das bringt kein Geld“, aber die Mehrzahl der Leute will überhaupt nicht das langlebige Haustier, für das sie dann Jahrzehnte lang verantwortlich sind. Sie wollen öfter mal was Neues und sind nicht böse darüber, wenn kurzlebige Tiere freiwillig das Feld räumen, ohne sie in Gewissensnöte zu treiben. Einmal brachte er mir „Kleine Süßwasser-Meerjungfrauen für der Hausmissbrauch“ und bestand darauf, dass ich sie unter diesem frauenfeindlichen Sortennamen anbieten soll. Süße Süßwasser-Úndinen. Die sahen fast so aus wie Seepferdchen, aber oben Girl, ganz sexy, nur unten mit Fischschwanz. Sogar bei denen, die etwas üppigere Brüste hatten, sah das noch gut aus, denn die hingen im Wasser nicht so runter wie an der Luft. Vor allem die Pädophilen waren ganz verrückt danach und auch ein paar gewerbliche Zierfischzüchter, die damit das große Geld zu machen hofften. Aber niemand konnte sie nachzüchten, weil der Schöne keine Männchen rausgerückt hat. Es gab angeblich keine. Die Männchen gehören zu einer anderen BeGattung, hat er gesagt und die Jungfrauen wären gepfropft. Jungfrau auf Fischunterlage. Da fragt man sich, ob der nur die Leute verarscht, oder auch sich. Dass er sich selber verarscht hat wurde bald klar, nur wusste man bei ihm nie, ob er es selber bemerkt hat. Und was machen Sie mit den Jungfrauen-Unterleibern aufgepfropften Fischköpfen, Sie Ferkel, habe ich zu fragen mir besser verkniffen. Er hat endlos mit mir herumgestritten, ob es sich bei diesen Kre(tin)ationen und Undingern um Undinen oder Melusinen handelt. Ich habe ihm natürlich Recht gegeben, weil man Idioten bekanntlich besser nicht widersprechen soll, aber das hat ihn nur noch mehr aufgeregt. Er hat sich ja ständig selbst widersprochen und wenn zwei Idioten in einer Unperson stecken wird die Zustimmung zum Widerspruch. (Hoch)Seejungfrauen seien nur die mari(in)timen Melusinen, hat er gesagt, wogegen feuchtgebieterisch be(nieder)trachtet die Úndinen (un)rein limnischen Ursprungs wären.

      Überlassen Sie mir die Handelsbezeichnung und bringen Sie mehr davon, hab ich gesagt. Das tue er ungern, nur weil er dazu gezwungen sei und das Geld brauche. Und was er verkaufe wäre doch nur der nicht dem Unzuchtziel entsprechende Ausschuss, die am wenigsten unschönen, die bei der Unschönheitsprüfung Durchgefallenen, ihm zu wenig ungefallenden. Die unzüchtigen charakterlos Gefallsüchtigen. Die mangelhaft unschönen Schönen hätten sein Unzuchtziel verfehlt, welches mit dem ihren nicht übereinstimme. Die hätten zu wenig Vorentstellungen von ihren Nachverkommen, pointierte es der UnSchöne ma©kaber. Seine verbalen Gehässigkeiten haben seine Häßlichkeitsliebe oder Pulchrophobie, wie er das nannte, durchaus glaubhaft erscheinen lassen.

      Wie auch immer, der Umsatz stieg deutlich an und die befürchteten Probleme blieben, abgesehen von Einzelfällen, weitgehend aus. Der Schöne hat immer neue Unzuchten gebracht, nicht mehr nur Fische. Nun da er Geld für seine Kreationen bekomme, um die Unzuchten zu finanzieren, könne er sie erheblich ausweiten und sich auch an in der Anschaffung und Haltung teurere Tiergruppen wie Vögel und Säugetiere wagen. Was er mir bringe seien eigentlich nur die Nebenprodukte seiner Unzuchten, der zur Weiterzucht nicht verwendbare Ausschuss seiner Erschöpfungen, hat dieser Dummkopf seine eigene Ware schlechtgeredet. Das kam mir natürlich sehr entgegen. Er war in pekuniären Dingen geradezu uninteressiert, ein sogenannter Idealist, ein Spinner, der in diesem Unfall muss man mit seinen Unworten (ver)sagen, seinen UnIdealen sich nachvergeht. Ich habe mit ihm einen exklusiven Alleinvertretungsvertrag gemacht, dass er nur mir die Produkte seiner Unschönheitsfarm anbietet und ich alles für den Absatz geeignete für ihn verkaufe. Er brachte immer mehr und immer ausgefallenere Sachen und sagte, er baue gerade den elterlichen Hof für seine Zwecke aus, „jetzt, da die Eltern nicht mehr sind“. Dabei hat sich sein Gesicht zu einer blasphemischen Grimasse, zu einer grimmigen Masse, zur faustischen Faust verzogen. Da ich mich verpflichtet hatte, alles abzusetzen musste ich heftig expandieren, Leute einstellen. Ich habe mit den schnell wachsenden Einnahmen nach und nach Filiale auf Filiale eröffnet oder aufgekauft, sozusagen feindliche Übernahmen gemacht. Die geradezu wuchernden Einnahmen haben das ermöglicht, ja ungeratenzu erzwungen. Dazu kam ein Vertrieb im Fernhandel, beim Lebendversand solcher, pardon Krepierer, ein heikles Geschäft. Sogar Chimären „on Demand“, auf Unbedarf habe der UnSchöne herentstellt, etwa kürbisköpfige Ungeister für Halloweenparties. Aus der kleinen Zoohandlung sei schnell eine weithin berühmte, um nicht zu sagen berüchtigte Firma mit vielen Filialen geworden, schwärmte Hölzel. Er habe sogar Unschöne Melusinen nach China exportiert, ungewissermaßen in das Mutterland der Qualzuchten, das Vaterland der Unzuchten, und wollte wie verüblich, sich mit (N)Aktien an der Börse vergehen. Den Leuten an die Börse gehen, wie es der Blasphemiker Schöne genannt habe. Protestierende Tierschützer habe seine Firma in die Stadt gelockt, wovon wiederum die Hotellerie profitiert habe. Wir waren zunehmen wichtige Arbeitgeber, sagte Hölzel stolz. Ich weiß gar nicht, was diese selbsternannten Tierschützer von mir wollten. Das waren andere Zeiten und die beste Möglichkeit, diese armen Tiere vor dem UnSchöne zu retten war doch, sie ihm abzukaufen. Als Vermittler ihres Freikaufes habe ich einer guten Sache gedient! Der UnSchöne, pardon Schöne, hat gesagt, er wäre ein Künstler, ein Kreationist - ich glaube den Begriff gab es damals noch gar nicht, soll ja eine Weltanschauung sein -, aber ich habe ihn einen Kretinisten genannt. Sein Sarkasmus war sehr ansteckend, ungewissermaßen hoch virulent. Und insgeunheimlich, muss ich zugeben, sah er selbst aus wie ein Produkt seiner eigenen Unzuchten. Fürwahr kein schöner Mensch, dieser Herr Schöne! Physisch und erst (un)recht psychisch betrachtet. Das ist ein Triebtäter, hab ich gedacht. Der kennt keine Skrupel. Der rächt sich für die ihm von Ungeschicksal (auch so ein für ihn typisches Unwort) zugeteilte Hässlichkeit an der unschuldigen Kreatur, an den Schwächeren, den Tieren. Er hat sich vielleicht als eine Unart pikaresker Picasso der (Un)Tierzucht gewähnt und damit ebenfalls kräftig Kasse gemacht. Ich sei sein Galerist, der seine geunheiligten Unwerke aus(ent)stellt. Meinen galligen Galeristen, der seine beungnadeten Unwerke ausentstellt, zur S(ch)au entstellt, hat er mich unwortwörtlich genannt, um mich zu provozieren. Er wechsele mit seinen Unhappenings genannten Unzuchten gerade von einer dadaistischen in eine surrealistische Sich(ab)Schaffensphase. So lag es nahe, dass er mich eines unschönen Tages zur Besichtigung seiner Unschönheitsfarm und seines Raritätlichkeitenkabinetts eingeladen hat. Auch meine Frau sollte mitkommen, aber sie wollte sich das nicht antun. Wie sich herausentstellt hat eine kluge Entscheidung. Wie soll man diese Unperson beschreiben? (Un)Friedemann Schöne, genannt UnSchöne, Nomen est omen. Er hatte unter seinem Schnurrbart offenbar eine schlecht operierte Hasenscharte, ein sogenanntes Labium leporinum. Daher dieses ungeradezu Lindenberg’sche, allerdings unsympathische schnoddrige Nuscheln. Insgesamt gesehen eine sehr ungepflegte, minderwertigkeitskompexe Erscheinung. Ein Absonderling. Er muss in seiner Jugend viel gemobbt worden sein. Jaja, der UnSchöne. Ein hoffnungsloser VerFall! Ein seinen Kreationen fatal ähnlicher Verbrecher-Kretin, zum Glück zu noch größeren Untaten unfähig! Ein dafür zu spät, zur Unzeit am falschen Ort, Gott sei Dank in für größere Untaten ungeeigneter historischer Unsittuation Missgeborener!

      Die Misanthropie des UnSchöne schließt erübrigens die eigene eigen(un)artige Unperson ein, ist vielunleicht sogar ein Vermissanthropie, eine Miss-Vermiss-Anthropie, ein vermissgestaltetes Leiden des jungen Werther, ein auf sich selbst nicht leiden können erweitertes Unkönnen. Eine unversehentliche Selbstaussperrung aus der Menschheit, ohne verrück zu können. Oder, im UnSchöne’schen Sargkasmus versagt: Die Leiden eines sich selbst einsperrenden Wärters. Mit seinem Fehlbetragen, seinem Unarten-VerFehlbetrag, hat er sich die Tür zur Rückkehr


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