Terror. D. J. Franzen

Terror - D. J. Franzen


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er ihr auch sagen? Dass alles wieder gut werden würde? Dass die Zeit alle Wunden und Verfehlungen der Vergangenheit vernarben und am Ende verblassen lassen würde?

      Nachdenklich legte er sein Gesicht auf ihren Kopf, roch an ihrem Haar, das sich aus der Kapuze ihres Anzugs den Weg in die Freiheit gesucht hatte. Sie drehte sich um und schmiegte sich in seine Umarmung. Jörg wiegte sie sanft.

      »Sandra?«

      »Ja?«

      »Ich glaube, da ist etwas zwischen uns.«

      Sandra kicherte in den Stoff seines Anzugs. »Meinst du deine oder meinst du meine Knarre?«

      Jörg küsste sie auf die Stirn, schloss die Augen und genoss den Duft ihrer Haut. »Weder noch.«

      Sandra nickte ohne aufzusehen. »Ich weiß, was du meinst. Ich fühle mich zu Hause. Verstehst du, was ich sagen will? Jetzt, in diesem Moment, wo wir beide hier draußen stehen, bin ich mir sicher, dass mir nichts passieren kann.« Sie löste sich sanft aus seiner Umarmung, hielt ihn aber an den Armen fest. »Ich fühle mich geborgen bei dir.«

      Jörg schluckte. Er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. »Und ich fühle mich sicher und geborgen, wenn du in der Nähe bist.«

      »Ist das Liebe?«

      Jörg neigte den Kopf ein wenig zur Seite. In Sandras Blick lagen Unsicherheit und ein Hauch von Misstrauen oder Angst. Klar, schoss es ihm durch den Kopf. Bei der Vergangenheit, die ich bisher von ihr erfahren habe. Der Vater ein Ex-Söldner und Trinker auf dem Abstellgleis, die Mutter manisch-depressiv. Ihre Kindheit und ihre Jugend dürften nicht gerade das reine Paradies gewesen sein.

      Er strich ihr sanft eine Haarsträhne unter die Kapuze, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie. Als sich ihre Lippen voneinander lösten, sah er sie ernst an. »Ich werde dir niemals wehtun oder zulassen, dass dir jemand etwas antut. Eher würde ich sterben.«

      Der Anflug von Angst und Misstrauen verschwand aus Sandras Blick. »Ich glaube dir, mein Hauptmann.«

      Sie lächelte und drehte sich in seinen Armen, schmiegte ihren Rücken gegen seine Brust. Dann neigte sie ihren Kopf verträumt zur Seite, während sie seine Arme, die er ihr um den Oberkörper geschlungen hatte, festhielt.

      Jörg schloss die Augen und genoss diesen kostbaren Moment. Sie hatten sich gegenseitig ihre Gefühle gestanden. Jetzt musste die Zeit zeigen, was aus ihnen werden würde.

      Plötzlich spürte er, wie Sandra sich versteifte.

      »Scheiße!«, entfuhr es ihr.

      »Was?«

      »Da hinten kommt jemand!«

      Jörg sah auf und spähte in den Schneefall. Dann sah er es auch. Etwa hundert Meter vom Bunkereingang entfernt wankten mehrere Schatten durch das Schneetreiben. Wenn sie ihre Richtung beibehielten, würden sie knapp an der als Hügel getarnten Einfahrt des unterirdischen Bunkers vorbeiziehen. Er entließ Sandra aus seiner Umarmung und fasste sie am Arm. »Los! Rein!«

      ***

      Holger Dresen lächelte versonnen. Er wippte leicht im Takt der Musik, die er hörte. Der Bunker war wie eine Schatzkammer. In einem der Spinde der ehemaligen Besatzung hatte Holger einen funktionstüchtigen MP3-Player und ein ganzes Paket mit passenden Batterien entdeckt. Und das Beste war, dass der Vorbesitzer des kleinen Geräts es auch noch mit Holgers Lieblingsmusik bespielt hatte: vier Gigabyte besten Old-School-Rock’n’Rolls.

      Holgers Lächeln wuchs in die Breite, als die ersten Takte von »Bad moon rising« erklangen. Ausgerechnet seine Lieblingsband Creedence Clearwater Revival? Das Leben war für ihn wieder in Ordnung, auch wenn er hier am Aufzug Wache stehen musste. Draußen war es kalt und tödlich, weil die Welt und alle Gesetze der Biologie auf den Kopf gestellt waren. Es schneite wie verrückt, und Tote standen wieder auf, um die Lebenden zu fressen. Aber hier unten im Bunker war es warm und sicher. Keine Zombies, kein Schnee. Es gab genug zu essen, ordentliche Matratzen und Duschen. Das Leben kam wieder auf die Reihe. Ganz bestimmt. Sie würden hier unten einen Neunanfang wagen können, und er war dabei. Er hatte die Apokalypse überlebt.

      Holger war so sehr von der Musik und seinen hoffnungsvollen Tagträumen eingenommen, dass er nicht bemerkte, wie sich die Aufzugtür hinter ihm öffnete. Er bemerkte auch nicht, dass ihn jemand neugierig beobachtete und sich langsam eine blutige Hand nach ihm ausstreckte. Erst als sich zwei Reihen strahlend weißer Zähne in seinen Hals gruben, einen stechend heißen Schmerz durch seine Nervenbahnen jagten und eine Hand sich auf seinen Mund legte, um jeden Schrei zu ersticken, wurde ihm mit erschreckender Klarheit bewusst, dass es auch hier unten nicht sicher war.

      Der Schock und der plötzliche Blutverlust sorgten für einen schnellen Tod. Holger bekam nicht mehr mit, wie seine sterblichen Überreste in den Aufzug gezogen wurden und sich die Türen wieder schlossen, als wäre nie etwas geschehen.

      ***

      Gregor saß an der Konsole mit den Monitoren für die Überwachungskameras. Martin und Roland hatten ihr Herumgealbere eingestellt und arbeiteten konzentriert an der Reparatur, mit der sie den Kontakt zu den Überwachungskameras in den unteren Bereichen der Suite wiederherstellen wollten. Gregor hatte die Momente genossen, in denen Martin herumgeblödelt hatte. Es war für einen kurzen Augenblick so gewesen, als seien sie Kollegen, die einer ganz normalen Arbeit von sieben bis vier nachgingen, um danach vielleicht noch einen trinken zu gehen, bevor sie zu Frau und Kind heimkehrten. Ein flüchtiger Blick auf ein Leben, das so nie wieder sein würde.

      »Okay!«, drang Rolands Stimme dumpf unter der Konsole hervor. »Jetzt müssten wir aber Bild haben. Wenn nicht, gebe ich mein Diplom ab.«

      In diesem Augenblick stürmte Levi in die Zentrale. »Alarm!«, rief er. »Vor Aufzug 3 ist eine riesige Blutlache, und die Wache ist verschwunden!«

      Gregors Kopf ruckte zu dem Arzt herum. Dann erklang Marions keuchendes Ächzen, und Gregor sah, dass sie auf die Bildschirme hinter ihm deutete. Er drehte sich wieder um – genau in dem Moment, als Erich Gora ein Messer ins Auge rammte.

      Ohne nachzudenken hieb Gregor auf den großen roten Knopf, der das Absperren aller Aufzüge und Türen innerhalb des Bunkers auslöste.

      ***

      Kurz zuvor

      Annegret Hengsten hatte sich total verlaufen. Keuchend blieb sie an einer Kreuzung stehen und blickte die beiden seitlich abzweigenden Korridore entlang. Dann drehte sich sich um und sah in den Gang hinter sich.

      Offenbar hatte sie Erich abgeschüttelt, der Mörder war nicht mehr zu sehen. Aber wo um Gottes Willen waren der Aufzug oder das Treppenhaus?

      Vorsichtig wandte sie sich nach links. War das nicht der Gang, der zu den Unterkünften führte? Doch, ja! Da hinten würde sie sich erneut links halten müssen und dann zu einem der Aufzüge gelangen, der sie nach ob...

      Schnelle Schritte!

      Annegret Hengsten erstarrte, als wäre sie ein Reh, das auf einer nächtlichen Landstraße die grellen Speere eines Scheinwerferpaars auf sich zurasen sieht. Unfähig sich zu rühren, wimmerte sie leise ein Gebet und wartete auf das Unvermeidliche.

      »Frau Hengsten?«

      Edith?

      »Frau Hengsten, was ist los? Wo sind sie?«

      Annegret erwachte aus ihrer Erstarrung, schrie vor Erleichterung und lief auf die Stimme zu. »Edith! Ich komme! Sei vorsichtig!«

      Als sie um die Ecke bog, wäre sie auf dem blanken Boden beinahe ausgerutscht. Sie fing sich und lief auf die kleinere Frau zu, ergriff diese am Arm und zog sie mit sich. »Schnell! Wir müssen hoch!«

      »Abe...«

      »Keine Zeit, mein Liebes!«, fuhr Annegret der kleineren Frau dazwischen. »Wir haben einen Mörder in unserer Mitte!«

      »Einen Mörder?«, fragte Edith ungläubig, während sie versuchte, mit der älteren Frau Schritt zu halten, die sie am Arm hinter sich herzog,


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