Terror. D. J. Franzen
blieb abrupt stehen. »Was? Niemals! Die beiden sind die besten Freunde!«
Annegret Hengsten blieb stehen. Sehnsüchtig sah sie zur Aufzugtür. Nur noch etwa sechs oder sieben schnelle Schritte, dann wären sie in Sicherheit. Sie wandte sich mit flehendem Blick an Edith. »Du musst mir glauben! Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er dem Neger die Kehle durchgeschnitten hat.«
Edith starrte die ältere Frau fassungslos an. Ihre Augen wurden immer größer, ihr Gesicht verlor alle Farbe.
»Edith, ich weiß wie das für dich klingen muss, aber es ist wahr, Kind!«
Edith schüttelte den Kopf.
»Edith, bitte!«
Die junge Frau hob wie in Trance den Arm, deutete auf etwas hinter Annegret. Genervt seufzend drehte diese sich um. Und dann schrie sie aus Leibeskräften.
Holger Dresen – oder zumindest das, was von ihm zurückgekehrt war – wankte langsam aus dem Aufzug auf die beiden Frauen zu, die Arme nach vorne ausgestreckt, als sei er das fleischgewordene Klischee eines Schlafwandlers. Sein Hals war an der rechten Seite vollkommen zerfetzt, sein Körper und sein Gesicht mit Blut besudelt.
Uralte Überlebensinstinkte erwachten in Annegret Hengsten, längst vergessene Kraftreserven pumpten Adrenalin durch ihre Adern. Mit einem wilden Aufschrei stürmte sie auf den Zombie los und erwischte ihn mit einem Tackle, der einem gestanden Linebacker der amerikanischen NFL zur Ehre gereicht hätte.
Der Untote hatte der Wucht, der Masse ihres Körpers und ihrer angsterfüllten Wut nichts entgegenzusetzen. Wie ein Sack voller Herbstlaub flog er etwa zwei Meter durch die Luft, bevor er mit einem knochenerschütternden Krachen auf den glatten Korridorboden prallte und noch einige Schritte weit darüberschlitterte.
Annegret nutzte ihren Schwung und hastete in die Aufzugkabine. Edith, die das Geschehen mit großen Augen verfolgt hatte, kam mit unsicheren Schritten auf die Tür zu.
»Jetzt mach schon!«, herrschte Annegret die jüngere Frau an.
Der Zombie setzte sich auf. Verwirrt blickte er umher. Als Edith nah genug heran war, griff Annegret nach deren Arm und zerrte sie in die Kabine. Hektisch drückte sie auf den Knopf für die oberste Ebene des Bunkers.
»Machschonmachschonmachschon!«, herrschte sie die Schließautomatik der Tür an.
Das Holgerding kam näher. Dann glitten die Türen des Aufzugs zu.
Mit einem zittrigen Laut ließ sich Annegret Hengsten auf den Boden fallen und weinte. Sie sah auf, wollte Edith sagen, dass sie beide in Sicherheit seien, als der Aufzug mit einem Ruck zum Stehen kam und die Alarmsirenen losheulten.
***
Kurz bevor Annegret Hengsten ihre sportliche Seite entdeckte, ging Erich ziellos durch die Korridore. Das Messer lag vergessen in seiner Hand. Er wusste nur, dass er dringend Frau Hengsten sprechen musste, alles andere war unwichtig. Wohin war sie gelaufen? Erich rief nach ihr, aber außer einem heiseren Krächzen kam kein Ton aus seiner Kehle. War das hier ein Albtraum, in dem man lief, aber nicht von der Stelle kam? Diese Frage ließ Erich stehenbleiben. Hinter ihm erklang ein tonloses Stöhnen. Verwirrt sah er sich um und runzelte die Stirn.
»Gora?«
Erich wurde sich bewusst, dass er ein Messer in der Hand hielt – ein blutiges Messer. Und mit der Wucht eines gebrochenen Staudamms schossen die Ereignisse der letzten Minuten in sein Denken und spülten eine kalte Erkenntnis in seinem Empfinden hoch.
Gora war tot! Jemand hatte ihm die Kehle aufgeschlitzt! Und er, Erich, hielt vermutlich das Tatwerkzeug in der Hand!
Wieder dieses Stöhnen. Ein Schatten an der Ecke, die Erich eben passiert hatte.
»Gora?«
Es war Gora – oder zumindest das, was das Virus aus ihm gemacht hatte, nachdem er gestorben war. Der Reanimierte stolperte unsicher um die Ecke des Ganges.
Tränen schossen in Erichs Augen. Ein leiser Laut der Angst und der Trauer kroch seinen Hals hoch. Jetzt musste er seinen Freund wirklich töten. Gora war immer noch sein Freund, gleich ob tot oder untot, und es würde Erich seine ganze Kraft kosten, das zu tun, was zu tun war. Erst dann würde er versuchen können, den wahren Mörder zu finden.
Mit weichen Knien und tränennassem Gesicht wankte Erich auf den Zombie zu, wappnete sich für das Unausweichliche. »Gora, mein Freund. Du hast mir in Bonn den Arsch gerettet. Und jetzt habe ich dich im Stich gelassen.«
Der Zombie stöhnte. Seine Augen wurden größer, seine unbeholfenen Schritte schneller und zielstrebiger, als er das warme Fleisch Erichs sah.
Erich blieb stehen, unfähig sich zu rühren oder etwas zu sagen. Er schluchzte leise.
Der Zombie kam auf Armlänge an ihn heran, und Erich fasste sich ein Herz. »Es tut mir so unendlich leid, mein Freund. Leb wohl.«
Bei den letzten Worten hob Erich das Messer, überwand die restliche Distanz zwischen sich und dem Zombie mit zwei schnellen Schritten und rammte ihm das Messer bis zum Heft ins linke Auge.
Als der Zombie mit einem Ächzen hinfiel, riss er Erich dabei das Messer aus der kraftlos gewordenen Hand. Der blonde Hüne stolperte ein paar Schritte rücklings, dann setzte er sich langsam auf den Boden. Weinend sah er auf den leblosen Körper Goras, unfähig sich zu rühren.
Plötzlich wechselte das Licht im Gang von einem bleichen Weiß zu einem unheilvollen Rot, und die Alarmsirenen heulten durch den Bunker.
Kapitel II
Drinnen
Mühsam einen Schrei unterdrückend schreckte Tom hoch, kalten Schweiß auf der Stirn. Verwirrt und orientierungslos versuchte er zu erfassen, wo er sich befand. Er saß auf einem Bett, knapp unter einer weiß getünchten Decke, an der eine schmucklose Neonlampe hing. Obwohl er senkrecht nach oben blickte, konnte er die Wände des kleinen Zimmers sehen, also war es nicht allzu groß.
Tom schaute sich um. In dem Zimmer waren vier Hochbetten, alle mit anderen Kindern belegt, und es war gerade noch genug Platz für einen kleinen Tisch und vier schmale Spinde.
Langsam fand er in die Realität zurück. Er befand sich in der »Suite 12/26«, wie Jörg den Bunker genannt hatte. Er war an einem sicheren Ort, an dem es keine Zombies und keinen ständigen Kampf ums Überleben gab. Er hatte nur einen Albtraum gehabt, aber der war jetzt vorbei. Nach einem gemeinsamen Essen in der großen Mannschaftsmesse auf der ersten Ebene des Bunkers hatten er und die anderen Kinder sich in ihre Zimmer verzogen. Die Ruhe, die sie hier nach den Wochen voller Angst und Flucht plötzlich erlebten, wirkte. Der zurückliegende Stress forderte nun seinen Tribut, und ihre Körper nahmen sich, was sie benötigten. Der schlechte Traum kam bestimmt von dem ungewohnt guten Essen sowie der Menge, die er davon in sich hineingestopft hatte.
Er war in Sicherheit.
Das Tröstliche an diesem einfachen Wort ließ Tom leise seufzen. Wann hatte er sich zuletzt sicher gefühlt? Trotzdem war da noch etwas in ihm, ein schaler Nachhall seines Traums, der ihn nicht loslassen wollte. Tom hatte gelernt, auf diese Gefühle zu vertrauen.
Er griff nach seiner Armprothese, die neben ihm in dem schmalen Bett lag, zog sie an und kletterte vom oberen Bett herunter. Die dumpfe Ahnung drohenden Unheils wich nicht, sondern verstärkte sich noch. Tom rüttelte heftig an der Schulter des Jungen, der auf dem unteren Bett immer noch fest schlief. »Kurt! Wach auf! Es ist was im Busch!«
Kurt blinzelte verschlafen und mit schweren Lidern.
Tom wartete nicht ab, ob er wirklich aufwachen würde, sondern drehte sich zu dem anderen Bett um, in dem Kurts Zwillingsbruder Karl schlief. Diesen rüttelte er ebenfalls heftig an der Schulter.
Die Zwillinge setzten sich gähnend auf. Tom wollte sie gerade über seine Ahnung ins Bild setzen, als der Alarm des Lockdown losging.
Rufe hallten durch die Gänge des Bunkers, der Alarm heulte, und das dumpfe Knallen und Rumsen von sich