Herzensöffnung (3): Später. Hero Leander
ihres Vaters. Julia bedauerte das etwas, da sie sich dadurch nicht so oft sehen konnten. Wogegen sich Michaels Vati diesmal riesig freute, dass ihn seine Kinder auch mal außer der Reihe besuchten.
Nach dem Abendbrot trafen sich alle Kinder der Familien Aglund, Kosch, Jansen und Schulze. Das war bei ihnen schon zur Tradition geworden. Nur Gerda ging inzwischen ihre eigenen Wege, seit sie einen Freund hatte. Die anderen hielten immer noch zusammen, egal ob sie in Sonnenberg waren oder in Håp Land. Sie unternahmen auch weiterhin fast alles gemeinsam, wenn sie zusammen waren.
Manuela und Wolfram Junior gehörten nicht zu dieser Runde. Sie waren einfach zu jung. So spielten sie oft zusammen, weil Manuela kein fließendes Norwegisch sprach und Junior auch kaum Freunde im Dorf hatte.
Doch diesmal gingen sie mit den Großen mit, um die Karussells und Schaustellerbuden auf der Festwiese zu besuchen. Alle hatten schon geöffnet. Sie testeten erst mal alle Karussells und blieben am Schluss bei denen, die ihnen am meisten gefielen. Am liebsten fuhren sie mit den Berg-und-Tal-Bahnen. Im Autoskooter testeten die Jungs ihre Fahrkünste und zeigten den Mädchen, wie gut sie doch waren. Hier hätten sie Stunden verbringen können. Alle hatten von ihren Eltern Geld bekommen. Doch das war auch schnell verbraucht, wenn sie nicht aufpassten.
„Eva, willst du nicht auch mal mit dem Autoskooter fahren? Da kannst du schon etwas für den Führerschein trainieren“, sagte Knut, der seinen Führerschein schon hatte.
Doch Eva winkte ab: „Ihr Jungs werdet das nie lernen, dass das für uns Mädchen nicht so wichtig ist. Wir sind nun mal keine Jungs.“
„Ich dachte nur …“, fügte Knut kleinlaut hinzu. „Ach wo! Ich fahre viel lieber mit dir mit.“
„Mit mir? Na, dann komm.“
Sie stiegen zusammen in einen Skooter und Knut zeigte ihr sein Können. Eva lächelte. Nur wenn es eng wurde, hielt sie die Luft an. Im Grunde genommen fuhr Knut auch nicht besser als Arne oder Michael, stellte Eva fest. Nur Junior hatte seinen Skooter nicht richtig im Griff. Aber das lag sicher daran, dass er erst neun Jahre alt war. Manuela, die immer neben ihm saß, war trotzdem stolz auf ihn.
Gegen 22.00 Uhr schlossen die Karussells und die Großen brachten die Kleinen nach Hause. Am meisten protestierte Julia, dass sie nun zu Hause bleiben sollte, obwohl sie doch schon vierzehn war. Aber ihre Eltern sahen das eben anders und so durfte sie erst einmal nicht weiter mit den Großen rumziehen. Kai war zwar schon fünfzehn, aber er blieb freiwillig zu Hause – hatten ihm seine Eltern doch mehrfach gesagt, dass er jetzt besonders vorbildlich sein müsse, seit sein Vater Bürgermeister sei.
Die Großen von Koschs und Schulzens wollten den Abend aber noch nicht beenden. Knut fragte: „Woll’n wir mal rüber ins Hotel gucken? Da ist heute wohl auch Tanz.“
Laura horchte auf. „Tanz? Wieso sagst du das erst jetzt? Was stehen wir dann noch hier rum?“
Und die sechsköpfige Gruppe setzte sich in Richtung Hotel in Bewegung. Auf dem Weg zum Hotel begann Laura vorsichtig ein Gespräch mit Michael und ließ sich etwas zurückfallen. „Hast du gesehen, dass Julia auch mitwollte? Leider darf sie noch nicht. Da machen unsere Eltern keine Ausnahme. Dabei ist sie nun wirklich kein Kind mehr.“
„Na ja. Aber sie ist doch erst vierzehn.“
Da verteidigte Laura ihre Schwester: „Stimmt! Aber du musst ihr mal zuhören. Dann merkst du ganz schnell, dass sie eben kein Kind mehr ist. Außerdem bist du ja auch nur drei Jahre älter und willst trotzdem für voll genommen werden.“
„Du doch auch“, erwiderte Michael lachend.
„Ja, und Julia auch. Unsere Altersgruppe nennt man sinnigerweise Jugendliche! Ein blöder Begriff, aber zu denen zählt Julia auch schon. Ich verstehe nicht, warum meine Eltern trotzdem solche Unterschiede machen.“
Michael wurde nachdenklich. „Eigentlich hast du recht. Julia ist wirklich schon eine Jugendliche. Und wenn ich das recht bedenke, sieht sie auch nicht mehr wie ein Kind aus. Da hast du völlig recht. Und ich habe sie vorhin noch wie ein Kind behandelt. Hoffentlich ist sie jetzt nicht sauer auf mich.“
„Das glaube ich nicht. Und wenn du sie ab morgen wie eine von uns behandelst, wird sie das andere sicher schnell vergessen.“
„Als ich vierzehn war, hat es mich immer maßlos geärgert, wenn mich jemand wie ein Kind behandelte. Und jetzt bin ich auch nicht besser. Ich glaube, ich muss morgen mal mit Julia reden. Sie soll wissen, dass ich sie nicht mehr als die Kleine sehe“, entschied Michael.
„Das tu mal“, bekräftige Laura ihn. Im Stillen dache sie, dass das Gespräch doch ganz gut gelaufen war. Mehr konnte sie für Julia im Moment nicht tun. Aber sie musste ihr auf jeden Fall noch Bescheid sagen, bevor Michael mir ihr sprach, damit sie seinen Wandel nicht in den falschen Hals bekam.
Inzwischen waren die Freunde im Hotel angekommen. Sie hielten sich aber nicht allzu lange auf, denn die Musik, die hier gespielt wurde, war nicht so ihr Geschmack. Alles nur alte Hüte! Also gingen sie bald wieder zurück ins Dorf und trennten sich bis zum nächsten Tag. Am Vormittag zur Rede des Bürgermeisters wollten sie sich auf der Festwiese treffen.
Als sie zu Hause waren, lief Laura schnell zu Julia. Die war gerade am Einschlafen. Da rüttelte Laura sie und sagte: „Ich habe vorhin mit Michael gesprochen.“
„Was …? Warum weckst du mich …? Was, mit Michael?“ Julia war hellwach.
„Ja. Er hat festgestellt, dass er dich zu Unrecht immer noch wie ein Kind behandelt hat. Morgen will er sich dafür bei dir entschuldigen.“
„Das hast du wirklich geschafft? Oh, Laura, wenn ich dich nicht hätte.“ Julia umarmte ihre Schwester.
Da sagte Laura: „Aber fall ihm nicht gleich um den Hals. Bleib ganz locker. Dann wird er dich schon beachten.“
„Ach, Laura“, seufzte Julia. „Bei dir klingt das immer so einfach.“
„Weil es einfach ist“, erwiderte Laura. „Aber glaub mir, ich habe auch meine Fehler gemacht und daraus gelernt. Deshalb sag ich es dir ja, damit du nicht die gleichen Fehler machen musst. Jetzt gehe ich aber wieder runter zu den anderen. Schlaf schön und träum vor allem etwas Schönes.“
„Das mache ich jetzt bestimmt.“ Julia sank zurück in ihr Bett und schloss die Augen.
Sonnabends gleich nach dem Frühstück ging Eva allein zur Festwiese. Hier wollte Olaf als Bürgermeister 10.00 Uhr seine Rede halten. Sie ging deshalb eher, weil sie mit sich allein sein wollte. Ihr Verehrer in Sonnenberg ging ihr nicht aus dem Kopf. Immer wieder versuchte sie sich vorzustellen, wer es sein könnte. Sie kam aber nicht drauf.
Plötzlich rief jemand: „Eva!“ Sie schaute sich um und sah, wie Michael angerannt kam.
„Was ist?“, fragte sie ihn.
Er holte dreimal tief Luft und fragte dann zurück: „Kannst du mir sagen, was mit Julia los ist? Mal ist sie richtig nett, dann ist sie zickig und dann wieder eingebildet. Kann das daran liegen, dass ich sie immer noch wie ein Kind behandelt habe? Laura sagte mir gestern so etwas.“
Eva lächelte. „Da wirst du wohl Julia selbst fragen müssen. Aber ich denke, ich kann dir schon sagen, weshalb sie so anders ist. Julia ist kein Kind mehr. Sie … sie hat dich halt gern.“
Michael zog die Augenbrauen zusammen. „Bist du dir da sicher?“
„Ja, fühlst du das denn nicht?“, fragte ihn Eva.
Michael schüttelte den Kopf. Da tat Eva es ihm gleich. „Ihr Jungs seid doch alle gleich. Ihr merkt nichts und fühlt nichts.“
„Und was soll ich jetzt machen?“, fragte Michael.
Erneut schüttelte Eva den Kopf. „Hast du sie gern?“
„Hm, irgendwie schon“, erwiderte Michael.
„Dann sag es ihr doch.“
„Was?! Nee … also, das geht nicht. Ich kann doch nicht einfach hingehen und sagen, ich habe dich gern.“