Die Welt der Illusionisten. Eberhard Saage

Die Welt der Illusionisten - Eberhard Saage


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Kultur machen, ergäbe sich dann gleich ihr neuer Freundinnenkreis. Prüfen Sie mal, ob sich da etwas anbietet.«

      »Habe ich schon. Zum Beispiel sucht der Dezernent für Kultur und Wissenschaften eine Referentin. Aber ich befürchte, dass der keine Seiteneinsteigerin nehmen würde.«

      »Kein Problem. Das regele ich mit dem Bürgermeister.«

      Frankfurter Arbeitgeber trafen sich mit den Bundestagsabgeordneten des Landes und folgten der Anregung der neuen Kulturreferentin, Magda Adam, gemeinsam das Kunstmuseum zu besuchen. Im Foyer, in dem vor der offiziellen Begrüßung Fingerfood zu Sekt oder Orangensaft gereicht wurde, bildeten sich Gesprächsgruppen.

      Magda ging von einer zur anderen und kurz auch zu Joseph, der hier noch niemanden kannte und einsam und verlassen in einer Ecke stand, und fragte ihn: »Was siehst du?«

      »Was soll ich sehen?« Er überblickte das Foyer. »Verschiedene Gruppen von Wirtschaftsbossen und Politikern.«

      »Genauer.«

      Er zuckte mit den Achseln: »Ich weiß nicht, was du meinst.«

      »Sieh dort.« Sie deutete auf 5 miteinander diskutierende Gäste. »Dort reden mehrere Arbeitgeber mit einem Politiker. Dort ist es genauso. Aber dort …«, sie blickte Joseph prüfend an, »fällt jetzt der Groschen?«

      »Ach so«, er lachte auf, »dort steht der berühmte Superbanker Müller im Mittelpunkt, und mehrere Politiker scharen sich um ihn.«

      »Genau! Du weißt, was das bedeutet?«

      »Klar. Habe ich ja schon vorher gewusst.«

      »Na gut, dann komm, ich stell dich dem Banker vor.«

      Nach der Begrüßung führte der Museumschef seine Gäste sofort zu Andy Warhols Werken. Banker Müller trat nahe an das Bild »Green Disaster ten times« heran, also folgten ihm alle.

      »Aus der Nähe kann man ein einziges Bild detailliert studieren«, erläuterte der Direktor, »Sie erkennen das schwer beschädigte Autowrack, den darin eingeklemmten Körper, dessen linker Arm das Gesicht verdeckt, das Opfer also anonymisiert. Aber lassen Sie uns wenige Schritte zurücktreten. Jetzt können Sie sich nur noch mit bewusster Anstrengung auf ein einziges Bild konzentrieren. Der Gesamtaufbau, je 5 Bilder in 2 Reihen, erinnert uns an einen Filmstreifen. Wir assoziieren deshalb automatisch auf minimale Veränderungen von Bild zu Bild. Aber die gibt es nur im Kontrast, es ist immer das gleiche Bild. Die brutale Situation wirkt aussichtslos für das Opfer.«

      »Wollte Warhol damit die Lust am Grauen befriedigen?«, fragte Joseph Adam.

      »Er hatte plötzlich erkannt, dass grausame Bilder für uns alltäglich geworden sind und deshalb im Grunde keine Wirkung mehr erzielen. Deshalb begann er seine Serie zu Katastrophen, zu der dieses Bild gehört.«

      »Ein weites Feld«, meinte der Banker.

      »Sie sagen es. Aber ich denke …«

      Während der Direktor weiter über die Gründe dieser Schaffensperiode mutmaßte, zerfiel der zuvor geschlossene Zuhörerkreis wieder in Gruppen, und bei den nächsten Bildern gab er nur noch kurze Erläuterungen.

      Auch Joseph fand jetzt einen Gesprächspartner. Neumann, der Verbandsreferent, dessen Erwartungen, dass Joseph Adam in den Bundestag einziehen würde, sich erfüllt hatten, war verspätet eingetroffen.

      »So einsam?«, fragte er lächelnd und gab sich selbst die Antwort, »die hiesigen Topmanager wissen mit einem Bundestagsabgeordneten Ihrer Partei noch nichts anzufangen, obwohl Sie ja im Wirtschaftsausschuss tätig sind«

      »Blieb mir nichts weiter übrig. Mein Kollege Haberecht drängte darauf, selbst in den Umweltausschuss zu gehen.«

      »Ich weiß. Aber ich denke, dass Sie es besser getroffen haben als er. Der Kanzler wird Sie zu seiner Indienreise mitnehmen, bei der ihn wieder viele Topmanager begleiten werden.«

      »Mich? Bisher hat er mich noch nicht eingeladen.«

      Neumann lachte amüsiert: »Unter uns, im Vertrauen, aber Ihnen kann ich das ja sagen. Sie wissen, wie der Hase läuft. Das hat der auch erst jetzt erfahren.«

      Joseph blickte einen Moment verblüfft, aber dann verzog er sein Gesicht.

      Magda beobachtete ihn gerade und wirkte kurz irritiert.

      »Worüber habt ihr gesprochen?«, fragte sie ihn später.

      »Warum fragst du?«

      »Du hast gegrinst, so, so, ich konnte es nicht richtig deuten, so triumphierend, ja, triumphierend! Ihr wirktet wie zwei Verschwörer.«

      »Ach«, wehrte Joseph ab, »das war eher Unsicherheit.«

      Und damit gab er sich selbst das Stichwort, um Magda abzulenken.

      »Du weißt ja, wie unsicher ich in den ersten Monaten in Bonn war. Alle neuen Abgeordneten brauchen Zeit, um sich einzuleben. Und viele versinken dann schnell im Alltag. Diverse Sitzungen, nicht nur im Plenum, sondern auch mit Mitarbeitern, in der Fraktion, in der Landesgruppe oder in Arbeitsgruppen und Ausschüssen. Kontakt halten zu dem Wahlkreisbüro, noch abends diverse Treffen mit Gremien des Bundestages oder Wirtschaftsvertretern und mit vielen anderen.«

      »Lobbyisten?«

      »Auch mit denen, oft verbunden mit einem Essen. Nicht selten geht es bis weit nach Mitternacht. Manche stöhnen, dass ein 24-Stunden-Tag nicht reichen würde.«

      »Und du bist ja auch noch Parteivorsitzender.«

      »Eben!«

      »Aber du hast kein leichenblasses, ständig übernächtigt wirkendes Gesicht wie zum Beispiel dein Kollege Haberecht. Was machst du anders als der?«

      »Ich kann Wichtiges und Unwichtiges unterscheiden. Ich muss nicht zu jedem Scheiß gehen. Und es macht mir nichts aus, wenn mir Wähler empörte Briefe schreiben, weil sie mich nicht im Plenum gesehen haben. Da habe ich anderes zu tun, als mir dort den Hintern breit zu sitzen.«

      »Und was ist das?«

      Joseph lächelte: »Du weißt doch, dass ich nicht ewig als Hinterbänkler gelten will.«

      »Frau Adam, wenn ich bitten dürfte!«

      Der Direktor ersparte Joseph eine bohrende Nachfrage.

      Außerhalb der Sitzungsperioden war Joseph meist in seinem Wahlkreis, also auch bei Magda. Aber auch in Frankfurt hatten sie nur wenig Zeit füreinander, denn Magda war schnell zur rechten Hand des Kulturbürgermeisters geworden, der viele Abendtermine auf sie ablud. Dafür durfte sie sich ab und zu wenige Tage frei nehmen, um Joseph in Bonn zu besuchen. So oft es möglich war, begleitete sie ihn dort zu Abendveranstaltungen. Deren Anzahl stieg, seitdem Joseph den Kanzler zu Auslandsterminen begleitete, und deren Teilnehmerkreis veränderte sich stark. Nicht nur die Lobbyisten der Industrie hatten den vielversprechenden Abgeordneten Adam entdeckt, auch Vorstandsvorsitzende hielten es nicht mehr für vergeudete Zeit, mit ihm zu sprechen.

      Seinem Kollegen Haberecht schien das in die Karten zu spielen. Der kultivierte schon äußerlich die Unterschiede zu Joseph Adam. Wenn der immer wohlfrisiert und gepflegt in seinen vornehmen Kombinationen auftrat, erschien Haberecht mit seinem Rauschebart und schulterlangen Haaren in Jeans und Pullover. Während Joseph es für zweckmäßig hielt, als Bundestagsabgeordneter Probleme mit der Energiewirtschaft zu diskutieren, fühlte sich Haberecht weiter als Angehöriger der außerparlamentarischen Opposition. Auf den Bildschirmen war er meist bei Blockaden vor Atomkraftwerken zu sehen. Wenn er auch bei der Parteigründung neben Joseph Adam wie ein grüner Junge gewirkt hatte, gelang es ihm nun doch, einige von dessen Anhängern auf seine Seite zu ziehen.

      »Der schadet dir«, stellte Magda fest, »ewig kann das nicht so weitergehen.«

      »Kommt Zeit, kommt Rat«, meinte Joseph gelassen, »so Gott will, wird sich entscheiden, wer die Partei besser führt.«

      Bereits kurz vor dem 26. April hatte Joseph Magda eine Wanderung von Bonn zum Kloster Heiterbach vorgeschlagen.

      »Etwa


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