Die Welt der Illusionisten. Eberhard Saage

Die Welt der Illusionisten - Eberhard Saage


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es, aber eben nicht mir. Also, erstmals seit Jahrzehnten stand das Thema Wiedervereinigung Deutschlands auf der Agenda.«

      »Stand es? Das dachte ich mir ja nun schon. Und was wurde beschlossen?«

      »Ach, Joseph, du verstehst die Tragweite dieser Information nicht. Du brauchst Zeit, um gründlich darüber nachzudenken. Aber, um deine Frage zu beantworten, die beschließen nichts offiziell, von diesen Treffen gibt es keine Protokolle. Aber trotzdem machen die danach Nägel mit Köpfen.«

      Joseph wurde nun doch nachdenklich. Er erinnerte sich an sein Gespräch mit dem Rennsteigläufer. Der hatte ihm erzählt, dass auch in der DDR nicht mehr Friedhofsruhe herrschen würde. »Seitdem Honecker Perestroika und Glasnost ablehnt, gärt es sogar unter den Genossen. Die Zeitschrift Sputnik, die über viele Veränderungen in der Sowjetunion berichtet, wird von Hand zu Hand gereicht. Nicht die materiellen Versorgungsengpässe bestimmen die Diskussionen der Bevölkerung, wie man hier glaubt, sondern Gorbatschows neue Politik.«

      Joseph erzählte das seiner Tante und sagte dann: »Ehrlich gesagt, ich habe mich für die DDR noch nie interessiert. Vielleicht bewegt sich in der tatsächlich etwas. Ohne Grund werden die Bilderberger nicht darüber diskutiert haben. Aber was könnten die denn konkret machen?«

      »Einen kleinen Anstoß geben. Wenn die Situation für Veränderungen reif ist, genügt der oft. Das sagt mir meine Lebenserfahrung.«

      »Und das sagt zu diesem konkreten Fall auch dein Herr von Lenthe?«

      »Ach, Joseph, wir müssen nicht über alles reden. Wichtig ist doch jetzt, welche Schlussfolgerungen du ganz persönlich für deine Politik ziehst.«

      Bis zur nächsten Bundestagswahl waren es noch fast zwei Jahre, aber Haberechts Gruppe wurde bereits unruhig. Die Umfrageergebnisse für »Die Anderen« sanken nach einem Zwischenhoch schnell unter die letzten Wahlergebnisse. Die Bevölkerung hatte die Angst nach dem Supergau schon vergessen und wehrte sich nur noch an lokalen Brennpunkten gegen die Atomkraftwerke. Haberechts Reden rüttelten niemand mehr auf und wirkten oberlehrerhaft wie bei der Parteigründung.

      »Wir brauchen schon heute ein umfassendes Wahlprogramm«, entschied er, »wir müssen unsere Aussagen schärfen, insbesondere zu unseren traditionellen Themen Atomenergie, Frieden und Gleichberechtigung, um den Wählern wieder bewusst zu machen, dass wir die einzige Alternative zu den Altparteien sind.«

      Als der Entwurf vorgelegt wurde, enthielt der natürlich auch einen Absatz zu den zwischenstaatlichen deutschen Beziehungen. Die Selbstständigkeit der DDR sollte international gestärkt werden.

      Eine Diskussion über diese nebensächliche Aussage war nicht vorgesehen. Viele Vorstandsmitglieder wirkten deshalb irritiert, als Joseph Adam sie dazu aufforderte.

      Aber er widersprach ihnen entschieden: »Um das Thema Wiedervereinigung dürfen wir uns nicht drücken. Der Wähler will auch dazu unsere Position erfahren.«

      »Wiedervereinigung?«, fragte Haberecht erstaunt. »Dieses Wort nehmen doch sogar die Politiker der Altparteien kaum noch in ihren Sonntagsreden in den Mund, höchstens mal am 17. Juni. Ich frage mich, was du damit bezwecken willst.«

      Nun begann eine heftige, nicht nur gegen Joseph Adams Vorschlag, sondern auch gegen ihn persönlich gerichtete Diskussion. Haberecht hielt es jedoch für überflüssig, die Rivalität gegen den wieder hochkochen zu lassen und fragte einlenkend: »Wie würdest du das denn formulieren?«

      »Wir sollten zwar zum Ausdruck bringen, dass wir weiter für die Zweistaatlichkeit sind, sollte sich aber eine veränderte Situation ergeben und würden beide Seiten für eine Wiedervereinigung sein, würden wir uns nicht davor verschließen. Oder so ähnlich.«

      »Veränderte Situation?«, lachte Einer auf, »die wird es nicht einmal im Traum geben.«

      »Schon gut«, schnitt Haberecht eine neue Diskussion sofort ab, »wenn es dir, Joseph, so wichtig ist und du nicht mehr willst, könnten wir das mittragen.«

      Er blickte zu seinen Anhängern. »Da würde uns kein Zacken aus der Krone fallen.«

      Also stand im Wahlprogramm plötzlich eine Aussage zur Wiedervereinigung.

      Erst als die Medien öfter darüber berichteten, interessierte sich Joseph Adam für die Friedensinitiative der Christen in der DDR, die sich auch von gewaltsamen Übergriffen der Stasi nicht stoppen ließen. Im Mai 1989 fanden Regimekritiker dann noch ein anderes Thema. Offensichtlich hatte die DDR-Führung die Wahlergebnisse gefälscht, um nicht viele Gegenstimmen ausweisen zu müssen. Jetzt versammelten sich am siebten Tag jeden Monats junge Ostberliner auf dem Alexanderplatz und protestierten dagegen.

      Beim nächsten Treffen sprach Joseph mit seiner Tante Sarah auch darüber und fragte: »Ich weiß schon, keine Namen, keine Namen, aber hast du mit ihm noch einmal gesprochen? Hat er sich dazu geäußert?«

      »Nein, selbstverständlich nicht. Seit damals war das nie ein Thema zwischen uns.«

      »Ehrlich?«

      »Natürlich ehrlich, was denkst du denn von mir?« Ihre Stimme wirkte kurz verärgert, sie fragte aber sofort zurück: »Was hälst du denn davon?«

      »Ich denke an deine Worte, du weißt schon, ein kleiner Anstoß. Und ich habe mich über die deutschen Kirchen mal schlau gemacht. Der allgemeine Eindruck ist ja, dass auch die sich auseinander gelebt hätten, aber die arbeiten ja noch immer eng zusammen. Unsere finanzieren nicht nur deren Kirchenrestaurierungen, sondern, was meines Erachtens besonders schwer wiegt, zum Beispiel auch die Altersversorgung von Pfarrern und vieles andere.«

      »Und was denkst du darüber?«

      »Für konkrete Schlussfolgerungen sind meine Kenntnisse noch nicht ausreichend. Ich sage nur: Nachtigall, ick hör dir trapsen.«

      Die Leipziger Demonstranten riefen im Oktober 1989: »Wir sind ein Volk.«

      Und Joseph Adam verkündete im Parteivorstand: »Die wählen nächstes Jahr mit.«

      Haberecht begriff nicht, was er damit meinte: »Was werden die mitwählen?«

      »Die jetzigen DDR-Bürger werden im nächsten Jahr den Bundestag mitwählen.«

      Haberechts Leuten blieben die Münder offen stehen, und für Adams Spion unter denen war das das Signal, nun seinen vereinbarten Part zu spielen:

      »Unfassbar, was du hier absonderst, jetzt drehst du wohl völlig durch?«

      Er wandte sich an Haberecht: »Jetzt müssen wir dieses Thema aber endgültig klären. Es war ein schwerer Fehler, diese Wischiwaschi-Formulierung zur deutschen Frage in unser Parteiprogramm aufzunehmen. Die trägt dazu bei, dass unsere Umfragewerte stagnieren. Wir müssen dem Wähler eindeutig sagen, was wir wollen, und das ist die Zweistaatlichkeit, gleichberechtigte Beziehungen zwischen beiden Staaten und eine normale zwischenstaatliche Zusammenarbeit. Sollen die Altparteien über Deutschlands Zukunft schwadronieren, wir müssen über unsere Themen reden.«

      Erregt wirkend sprang Joseph auf: »Vor allem brauchen die Wähler Visionen. Und wer soll die ihnen übermitteln, vielleicht die Altparteien? Die müssen wir ihnen übermitteln, klar und eindeutig, ohne Wischiwaschi, da gebe ich dir recht. Von der Regierung gewinnt man ja den Eindruck, dass die noch nicht begriffen hätte, welche einmalige Chance uns die DDR-Bürger bieten.«

      »So!« Haberecht grinste zynisch. »Keiner begreift etwas, nur du. Du alleine hast den großen Durchblick, du bist, um dein Wort zu benutzen, der Visionär. Bravo!« Er klatschte höhnisch Beifall, und seine Anhänger fielen mit ein.

      Joseph senkte tief den Kopf, um seinen Triumph zu verbergen, denn er verstand sofort, dass auch Haberecht dieses Mal nicht um des lieben Friedens Willen nachgeben wollte. Der suchte nun eine endgültige Entscheidung darüber, wer die Partei führen sollte. Nun gut, diesen Sieg gönnte er ihm, denn es würde ein Pyrrhussieg sein. Heute hatte Joseph nur das Ziel, dass er später tatsächlich als der große Visionär gelten würde. Das hatte er seinem Spion vorher gesagt, der sofort nachhakte.

      »Ich höre immerzu Visionen, aber wer hat die denn


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