Die Welt der Illusionisten. Eberhard Saage
er deren Wirtschaftssystem übernommen hatte, verfolgten viele westeuropäische Politiker diesen rasanten Aufstieg nicht besonders wohlwollend, und deren Medien ließen meist kein gutes Haar an ihm. Deshalb hatte er sich durchaus interessiert gezeigt, als ihn sein alter Ego, der georgische Fürst, auf diesen jungen, aufsteigenden deutschen Politiker aufmerksam gemacht hatte. Das Video von dessen Auftritt nach der Wahlschlappe überzeugte ihn bereits, um so mehr aber das große Medieninteresse an der eigentlich nun unbedeutenden Partei in der außerparlamentarischen Opposition, deren Umbau Adam abgeschlossen hatte und die in Umfragen bereits wieder weit über der Fünf-Prozent-Hürde lag.
»Der steigt auf, keine Frage«, prophezeite ihm der Fürst, »denn der will aufsteigen, vielleicht um jeden Preis. Wer ihn jetzt protegiert, sichert sich für immer seine Dienste. Wenn er nach der nächsten Wahl Minister werden würde, hättest du mit ihm ein wichtiges Standbein in Deutschland und damit auch in der EU.«
»Na, nun aber langsam mit den jungen Pferden. Wenn ich dich richtig verstanden habe, müsste sich seine Partei noch sehr verändern, bevor der Minister werden könnte.«
»Kein Problem für den, das kriegt der hin. Lade ihn doch mal ein, dann kannst du ihn persönlich kennenlernen.«
Zorbas zögerte kurz und wechselte plötzlich das Thema: »Dessen Partei ist doch auch von Atomkraftgegnern gegründet worden. Interessiert die sich eigentlich für den Klimawandel?«
Der Fürst wunderte sich über diese unerwartete Frage. Aber er hakte nicht nach, sondern antwortete:
»Die redet davon, wie andere auch.«
»Und er persönlich?«
»Ich habe gehört, dass er ihn ernster nehmen würde. Manche sollen ihn deshalb sogar schon ausgelacht haben.«
»So! Interessant. Ich kann es ja mal mit ihm versuchen.«
»Lade ihn aber nicht direkt ein, das würde seine Partei noch überfordern. Wenn er im Rahmen einer deutschen Delegation kommen könnte, würde das nicht so auffallen.«
»Der hätte den Kanzler doch schon früher mit Wirtschaftsbossen begleitet, sagtest du, dann lade ich ihn eben mit denen ein. Ich will mit den Deutschen sowieso ins Geschäft kommen.«
»Mach das, das wäre besser.«
Die Delegierten wurden direkt am Flugzeug mit schneeweißen, fast 10 Meter langen Lincoln Town Cars abgeholt und in diesen von bildhübschen Bediensteten empfangen, die perfekt deutsch sprachen und nach dem anstrengenden langen Flug Fingerfood und Champagner anboten. Durch die dunkel getönten Fensterscheiben konnte von außen kein Einheimischer einen Blick auf die illustren Gäste werfen. Innen lief auf Bildschirmen ein Film über den geplanten Neuaufbau des Landes. Eine neue Hauptstadt, in der einmal 100 Millionen Abestaner wohnen würden, sollte errichtet werden, riesige Dämme die Flüsse anstauen, um das karge Land mit Wasser und Energie zu versorgen, und mit gewaltigen Industrieanlagen sollte danach der Agrarstaat und Rohstofflieferant in eine Supermacht verwandelt werden. Blickte Joseph Adam nach außen, war davon noch nichts zu erahnen. Die jetzige Hauptstadt wirkte halb zerfallen, öde die kleinen Dörfer und weiten Ebenen, auf denen Schafe weideten und noch keine Baukräne standen. Aber nur ihm fiel dieser krasse Gegensatz zum Film auf. Alle anderen waren von den angekündigten Milliardeninvestitionen noch faszinierter als von dem goldenen Speiseraum. Der Präsident wollte sein Land in die Neuzeit katapultieren! Aufträge winkten, Aufträge in Dimensionen, die sogar für den Superbanker Müller neu und noch nicht vorstellbar waren.
Die holprige Straße wurde plötzlich asphaltiert und eben, sie ging in eine Allee mit jungen Bäumen über, an deren Ende die Türme und Kuppeln des Palastes zu erkennen waren. Jeder Gast, auch Joseph, wusste, dass der 366 Zimmer besaß, für jeden Tag des Jahres eins, denn Zorbas war an einem 29. Februar geboren worden. In dem weitläufigen Park vor dem Palast zeugten eingefriedete Gehege von der skurrilen Leidenschaft des Besitzers, er wollte vom Aussterben bedrohte Arten retten, insbesondere die in der Natur selten gewordenen Amurtiger und -leoparden. Die Tiger wurden gerade gefüttert und jagten hinter Kadavern her, die an Seilen mit hoher Geschwindigkeit durch das Gehege gezogen wurden.
Die Creme der deutschen Wirtschaft war es gewohnt, dass ihr der Hausherr bereits am Eingang entgegenkam. Doch Zorbas ließ sie erst einmal in der riesigen Audienzhalle warten, in der ihm schon Hunderte Anhänger gehuldigt hatten. Bögen, die aus vergoldeten und bemalten Marmorpfeilern emporstiegen, teilten die Halle in kleinere Bereiche und erinnerten den Kenner sofort an einen weltberühmten indischen Empfangssaal. Und wie in diesem war die Decke mit Gold und Silber eingelegt und auf einem Marmorpodium stand ein mit Edelsteinintarsien verzierter Thron für den Herrscher, dessen Arbeitsbereich durch ein goldenes Geländer vor den Untertanen geschützt wurde.
Den Gästen blieb nicht genügend Zeit, alle Details der prunkvollen Halle zu betrachten, denn nun ließ sich der Präsident wegen dringender Staatsangelegenheiten entschuldigen. Als sein Beauftragter begrüßte sie der Wirtschaftsminister, ohne anscheinend ihre Verärgerung wahrzunehmen. Ohne Umschweife sprach er über das riesige Investitionsprogramm Abestans, das auch den deutschen Unternehmen und Banken große Chancen bieten würde, und da leuchteten die Augen der Gäste wieder auf.
Alle nahmen verständnisvoll zur Kenntnis, dass der Superbanker aus dem Saal gebeten wurde, aber dass ihm wenig später Joseph Adam folgen musste, verwunderte sie schon. Nicht zu den bekannten Palastsuiten, über deren luxuriöse Ausstattung auch in deutschen Zeitungen orakelt wurde, ohne dass je ein Foto von denen gezeigt werden konnte, wurde Joseph geführt, sondern geradewegs zu dem Tigergelände, in dessen Mitte ein großer Teich mit einer überdachten Insel zu erkennen war. Kurz vor der Einfriedung ging der Fußweg durch einen mit Marmor verkleideten Torbogen hinunter in einen Tunnel zur Insel. Die weißen Wände waren mit Bildern von riesigen Welsen, Amurkarpfen und Zandern bemalt.
Joseph schritt ein Welsbild ab und sagte: »Etwa drei Meter.«
»Exakt 2,82 Meter«, präzisierte der Bedienstete.
»Toll!«, betonte Joseph spöttisch.
Aber dann begann an einer Wandseite unterhalb des Wasserspiegels eine hohe Glasfront, die sich entlang einer breiten, mit Pflanzen bewachsenen Bucht bis zur Insel erstreckte. Neben auf dem Grund befestigten Baumstämmen, unter denen sich Raubfische verstecken konnten, schwammen Schwärme von Friedfischen. Und auf die lauerte der Wels, so riesig groß, als wäre er gerade aus dem Bild gekommen. Joseph riss seine Augen weit auf.
»2,82 Meter lang, 130 Kilogramm schwer«, bekräftigte der Führer, »bei der letzten Messung.«
Die Maße für den folgenden Zander: »1,30 Meter, 20 Kilogramm«, und Karpfen: »1,40 Meter, 60 Kilogramm«, bezweifelte Joseph bereits nicht mehr.
Aber er fragte: »Ihr Land zieht ja viele Anglertouristen an. Ist Ihr Präsident auch ein großer Angler, etwa wie Hemingway einer war?«
»Nein, er taucht gerne.« Die Stimme des Dieners signalisierte, dass er nicht über seinen Herrn sprechen wollte, und Joseph stellte ihm keine weitere Frage.
Die von außen massiv wirkende Inselüberdachung war von innen durchsichtig. In der Inselmitte stand eine Luxusjurte, an den Rändern mehrere kleinere. Ein breites Fenster der großen Jurte gab den Blick frei auf den Teich und auf die jagenden Tiger. Dahinter standen zwei Männer, die sich, als sich Joseph Adam näherte, zum Eingang begaben.
Der Hausherr empfing Joseph an der Tür seiner Privatsphäre, und der Superbanker musste sich also auch dahin bemühen. Was diese Geste bedeutete, hatte Joseph bereits in Wien gelehrt bekommen, und jetzt überraschte sie ihn so sehr, dass er nicht einmal Genugtuung empfinden konnte. Lächelnd ging ihm Berkel Zorbas noch zwei Schritte entgegen. Er war nicht groß gewachsen, Napoleon hätte er nur um die Höhe seiner lockigen, schwarzen, vielleicht getönten Haare überragt. Aber er besaß nicht wie dieser einen unübersehbaren Bauchansatz, sondern hatte auch noch mit 55 eine drahtige, sportliche Figur. Seine kräftigen Bizeps und sein muskulöser Brustkorb füllten die meist körperbetonte Oberbekleidung prall aus. Dies alles kannte Joseph Adam bereits von Fotos und Fernsehsendungen, aber jetzt blickte er Berkel Zorbas erstmals direkt in die Augen, und diese wirkten wach und lebendig, konnten