Die Chefin. Sonja Becker
getan ist. Oder ein Logistikunternehmen, das keinen großen Wert mehr auf Privatkommunikation legt, je nachdem, wie man es sehen will. Auf jeden Fall nichts ist in Zeiten der E-Mail mühsamer und hinderlicher, als einen Brief abzusenden. Vor dem langen Marsch zum Briefschlitz steht der Erwerb von Briefmarken, die Recherche der fünfstelligen Postleitzahl, die sich keiner mehr merken kann, die Besorgung von Briefumschlag und Papier.
Wenn der Brief nicht ganz zuklebt oder der Verschluss des Päckchens nicht hält, wird man neuerdings höflich gezwungen, vor Ort im „Shop“ Schnur oder Tesafilm käuflich zu erwerben, was früher der Postbeamte noch selbstverständlich erledigt hat. Wohl dem, der hier für Abhilfe sorgt.
Der „neue Service“ bedeutet: Sich ganz in die Situation anderer zu versetzen und deren Bedürfnisse und Quellen der Neugier zu erkennen, um daraus Produkte zu machen und sie den richtigen Leuten anzubieten.
In dieser Service-Ökonomie stehen Frauen besser da als Männer, weil sie kulturhistorisch besser geschult sind. Schon in der Evolutionsgeschichte hatten Männer mit Jagen und Sammeln alle Hände voll zu tun, während die Frauen für Ordnung in der häuslichen und familiären Struktur sorgten. Auch in der Menschheitsgeschichte waren sie - von Amazonen und Pharaoninnen abgesehen - selten der „herrschende“ Part, der über den privaten Hof, Menschen und Imperien regiert. Männer, die Jäger, Krieger, Beschützer und Besitzer. Frauen, diejenigen, die alles zusammenhalten. Aber gerade dieser „Mangel“ wurde durch andere Fähigkeiten kompensiert. Was Frauen besser beherrschen, ist jede Form von Spiel, sei es das gesellschaftliche, das Machtspiel oder auch das erotische Spiel.
Der Einzug weiblicher Paradigmen in die Wirtschaft
W
as ist heute erfolgsversprechender - Imponiergehabe oder Team-Spirit? Dominanz oder Einfühlungsvermögen? Verführen oder Befehligen? Macht oder Networking? Womit kommt man langfristig weiter: mit Marschparolen oder Menschenkenntnis?
In der Evolution haben sich bestimmte Fähigkeiten bei den jeweiligen Geschlechtern verstärkt ausgebildet: Männer sind in Laufe der Evolution trainiert, zu gewinnen und Stärke zu zeigen, weil sie Sorge tragen mussten, die Existenz zu wahren - zum Beispiel durch Krieg, Fortpflanzung oder die Bewirtschaftung des Hofes, des griechischen „Oikos“, aus dem die früheste „Ökonomie“ entspringt. Männer waren automatisch die „Herren“ - und mussten dieser Rolle auch gerecht werden. Dafür wollen sie akzeptiert werden. Von Männern und Frauen. So wie Frauen „verstanden“ werden wollen.
Heute gewinnt man durch beide männlichen und weiblichen Fähigkeiten: Verstehen, Klugheit, soziale Intelligenz auf der weiblichen Seite, Akzeptieren, Sorge tragen, Durchsetzung auf der männlichen Seite.
„Kinder, Küche, Kirche“ lauteten früher bezeichnenderweise die Selbstverwirklichungsdomänen der Frau. „Klamotten, Kosmetik, Klatsch“, spöttelte ein Kabarettist hinterher. Die Wahrheit liegt dazwischen: Frauen können das eine tun, ohne das andere nicht zu lassen. Sie können sich sowohl Kinder leisten als auch Karriere. Deshalb verdienen sie ihr Geld selbst und können sich davon kaufen, was sie wollen: Klamotten, Kosmetik... und in der Kommunikation sind sie nun einmal nicht zu schlagen. Macht und Erfolg nicht länger Männerdomänen. Der Mythos vom Porsche fahrenden Platzhirsch, der alles klar macht: ausgeträumt, wo Frauen sich selbst einen leisten und fahren können.
So auch in der Industrie. „Images“ werten den Status von Produkten künstlich und oft ohne Legitimation auf. Unternehmen „fräsen“ sich mit neuen Produkten in Märkte „hinein“, vollziehen „feindliche Übernahmen“ und verlieren durch weltferne und nicht mehr nachvollziehbare Kapitalaneignungsstrategien den Bezug zur gesellschaftlichen Situation oder sozialer Verantwortung.
Männer haben gelernt, sich durchzusetzen. Frauen suchen den Konsens. Männer wissen, was sie wollen. Frauen wissen auch, was andere wollen. Männer zeigen Macht. Frauen haben Macht. Oft mehr, als sie zeigen. Und manchmal ist alles genau umgekehrt.
Es gibt Frauen, die mit den Waffen der Männer Macht gewinnen - zum Beispiel Angela Merkel. Umgekehrt wollen Männer Frauen „erobern“, und das gelingt ihnen manchmal ganz und gar nicht. Zumindest nicht mit den Mitteln, die ihnen geläufig sind. Den zukünftigen Markt beherrschen sie, wenn sie ihre mühsam trainierten Verführungskünste aufs Geschäft übertragen können. Sie müssen Frauen neugierig machen können. If you can make it there, you can make it everywhere.
Zusammen, oder miteinander, sind Männer und Frauen eine Magie für sich. Immer, wenn sie sich treffen, beginnt ein Spiel. Sie umgarnen sich. Sie entdecken immer neue Seiten. Sie lassen sich immer etwas Neues einfallen. Sie können sich gegenseitig immer neu überraschen. Sie sind neu-gierig aufeinander. Nicht nur in der Erotik. Auch im Geschäft. Weil Frauen zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die Gelegenheit haben, zu gewinnen, ist das moderne Business-Spiel wohl eines der Phänomene unserer Zeit. Die neue Ökonomie folgt nicht mehr nach den Regeln des Kriegs. Es herrschen zunehmend die Regeln eines freien Spiels- des Business-Spiels.
In diesem Spiel sind Fähigkeiten wie solche vorgesehen, sich in die Situation anderer Menschen zu versetzen und deren Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen.
Das ist der Begriff der neuen „Service-Ökonomie“. Sie funktioniert nicht nur mit Taktik, sondern auch mit Charme. Es herrscht nicht Diktatur, sondern Entertainment: Ein Publikum kann man zum Beispiel nicht mehr „erobern“, nur „gewinnen“. Nicht mit Propaganda, sondern mit Entertainment. Ein Produkt verkauft sich immer schlechter durch Werbung und Brainwash, durch seine Aufladung an Werten und Statussymbolen.
Sondern durch die Art, wie man dazu eingeladen wird. Eine Dienstleistung überzeugt dann am besten, wenn persönliche Anerkennung oder Zufriedenheit, wenn nicht gar Zufriedenheit von ihr erwarten kann. Unterhaltung, Anerkennung, Erotik sind Insignien der neuen Service-Ökonomie. Der Unterschied: Frauen können daran mit den gleichen Voraussetzungen teilnehmen. Sie müssen nicht männliche Stärken adaptieren, indem sie zum Beispiel als dominante „Karrierefrauen“ auftreten, sondern können ihre eigenen Stärken einsetzen.
Im Zusammenspiel mit Männern entsteht dadurch eine neue, ungeahnte Energie. Wir können das in unserer täglichen Arbeit beobachten, vor allem natürlich in unseren Unternehmerinnen- und Power Couples-Seminaren. Oft geschieht es sogar, dass Paare, die im Training ihre Stärken entdecken, auf die Idee kommen, ein Geschäft daraus zu machen und gemeinsam ein erfolgreiches Unternehmen gründen.
Früher Model. Heute „role model“.
W
urde Frauen früher nur in Bereichen eine Karriere zugesprochen, die sich aufs Häusliche beschränkte, kann heute jede Frau aus sich machen, was sie will. Wo Frauen entscheiden, sind „weibliche“ Prinzipien immer gefragter und erfolgreicher.
Ihre historische Fähigkeit, als Muse, Geisha, den Männern zu dienen und sie zu beeinflussen, setzte sich zum Beispiel in der Politik fort. Oft standen und stehen hinter erfolgreichen Männern denkende und lenkende Frauen wie Napoleons Josephine oder Jackie Kennedy. Immer öfter treten sie aus dem Schatten großer Männer heraus und besetzen selbst hohe Positionen: Condoleezza Rice oder Angela Merkel. Wenn auch mit mehr männlichen Mitteln, oder mit weiblicher Intuition, List und Tücke. Aber am Ende mit Erfolg. Und auch das spornt Frauen an.
Weibliche Leader sind Vorbilder. Waren erfolgreiche Frauen früher fast ausschließlich „Models“, sind es heute die „role models“. Sie nehmen Einfluss auf Betrachtungsweisen und Handelsweisen und krempeln dadurch Unternehmen und Wirtschaftszweige um. Frauen können in der Wirtschaft mit dem Einsatz ihrer Persönlichkeit große Erfolge erzielen. Von Anita Roddick (Body Shop) bis Carly Fiorino (HP) gibt es immer mehr Frauen, die nicht „ihren Mann stehen“, sondern mit Erfolg ganz Frau sind: Christiane zu Salm, die den „Frauensender“ TM3 zum belächelten Spielesender 9Live umfunktioniert,