Privat- und Prozessrecht. Peter Förschler
alleine
Die Willenserklärung selbst setzt sich aus zwei Teilen zusammen: dem Willen und der Erklärung.
4.2.2 Der Wille
Der Wille muss drei Erfordernisse erfüllen, um Teil einer wirksamen Willenserklärung sein zu können: Der Handelnde muss einen Geschäftswillen sowie einen Handlungswillen haben, der von einem Erklärungsbewusstsein getragen ist:
> Geschäftswille: Zur Willenserklärung ist ein bestimmtes rechtliches Wollen erforderlich, das ergibt sich schon aus obiger Definition. Ein Wille, der sich auf ein rein tatsächliches Vorhaben bezieht, ist rechtlich ohne Bedeutung.
Wenn Herr A am Silvesterabend den Willen hat, im neuen Jahr nicht mehr zu rauchen, so ist dieses Wollen rechtlich (und leider meist auch tatsächlich) ohne Bedeutung.
Ist eine andere als die beabsichtigte Rechtsfolge erklärt (z. B. infolge Irrtums), so kann die Willenserklärung angefochten werden.
> Handlungswille: Aber auch dort, wo der Handlung eine rechtserhebliche Erklärung beigemessen werden kann, muss die Handlung vom Willen des Handelnden getragen sein, damit eine Willenserklärung vorliegt („Handlungswille“). Unbewusste Handlungen, die rein äußerlich als Willenserklärung angesehen werden könnten, sind keine Willenserklärung.
Beispiele für fehlenden Handlungswillen sind Reflexbewegungen, Aussagen unter Hypnose.
> Erklärungsbewusstsein: Neben dem Handlungswillen muss schließlich auch noch ein Erklärungsbewusstsein vorliegen: Der Handelnde muss das Bewusstsein haben, gerade etwas Rechtserhebliches zu erklären.
Herr B sitzt bei einer Versteigerung, bei der nach den üblichen Gepflogenheiten das Erheben einer Hand ein Gebot bedeutet. Plötzlich reißt er während der Versteigerung den Arm nach oben, um auf diese Weise von ferne einen in den Saal eintretenden Bekannten zu begrüßen. Er kann – trotz Handlungswillens – nicht an dieses (scheinbare) Gebot gebunden werden, weil ihm diesbezüglich der Rechtsbindungswille, also der Wille, etwas rechtlich Bedeutsames erklären zu wollen, gefehlt hat. Er wollte nur einem Bekannten winken.
Aus Gründen des Vertrauensschutzes für den Empfänger wird in diesen Fällen fehlenden Erklärungsbewusstseins zwar eine Willenserklärung angenommen, die nicht gewollte Erklärung kann jedoch angefochten werden.
Ein rechtlich erheblicher Wille liegt dagegen vor, wenn Herr C seinen Gebrauchtwagen dem Kollegen D für 20.000,– € verkaufen will, ihm also ein Kaufangebot macht.
4.2.3 Die Erklärung
Der Wille muss erkennbar geäußert werden. Das Wollen alleine genügt nicht, wenn es nicht für andere wahrnehmbar gemacht wird. Allerdings genügt als Erklärung oftmals auch ein schlüssiges Verhalten, wenn seine Bedeutung nach den Umständen klar zu verstehen ist.
Einsteigen in die Straßenbahn bedeutet Annahme des Angebots der Straßenbahngesellschaft auf Abschluss eines Beförderungsvertrags; entsprechende Bedeutung hat das Einfahren in ein Parkhaus.
4.2.4 Übereinstimmung von Wille und Erklärung
Der Wille und der Inhalt der abgegebenen Erklärung müssen übereinstimmen, damit eine vollwirksame Willenserklärung vorliegt.
Eine Divergenz liegt vor allem in den Fällen des Irrtums (z. B. Inhaltsirrtum oder Erklärungsirrtum) vor (vgl. Einzelheiten 6.7.2).
Wenn Schreiner A dem Besteller B die Anfertigung des gewünschten Einbauschrankes für 1.800,– € anbieten will, im Angebotsschreiben infolge eines Tippfehlers aber 1.500,– € genannt sind, ohne dass A dies beim Unterschreiben des Angebots bemerkt hat, dann stimmen Wille und Erklärung nicht überein.
A kann seine dem B gegenüber abgegebene Erklärung wegen Irrtums anfechten (§ 119 BGB) und damit rückwirkend wieder beseitigen.
Allerdings wird er, wenn B ihn an seinem (erklärten) Angebot über 1.500,– € festhalten will, seinen Irrtum (das Abweichen zwischen Wille und Erklärung) beweisen müssen (z. B. Sekretärin als Zeugin, die bekunden kann, aus Versehen die ihr vom Chef übergebene Notiz falsch abgeschrieben zu haben).
Unterlässt A eine Anfechtung, so bleibt der Vertrag mit dem erklärten Preis von 1.500,– € bestehen.
Außer im Falle des Irrtums können Wille und Erklärung noch in weiteren Fällen auseinanderfallen, etwa beim geheimen Vorbehalt (§ 116 BGB), beim Scheingeschäft (§ 117 BGB) oder bei der Scherzerklärung (§ 118 BGB) (Einzelheiten vgl. 6.3):
4.2.5 Wirksamwerden der Willenserklärung
Bei der Frage, wann Willenserklärungen wirksam werden, ist zwischen empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen zu unterscheiden:
4.2.5.1 Nicht empfangsbedürftige Willenserklärung
Eine Willenserklärung, die nicht an eine bestimmte Person zu richten ist (nicht empfangsbedürftige Willenserklärung), wird sofort mit der Äußerung wirksam.
Testament: Erklärung des letzten Willens in einem Testament wird nach Unterschriftsleistung wirksam (§ 2247 BGB). Stirbt ein Mensch sogleich, nachdem er sein Testament niedergeschrieben hat, ohne dass es jemand vorher zur Kenntnis genommen hat, so ist das Testament gültig. Der letzte Wille muss keiner anderen Person gegenüber erklärt werden.
Auslobung: Öffentliches Versprechen einer Belohnung für die Vornahme einer bestimmten Handlung (Wiederbringen des entflogenen Kanarienvogels) ist wirksam mit öffentlicher Bekanntmachung (§§ 657 ff. BGB – nicht zu verwechseln mit „Entlobung“, also Aufhebung eines Verlöbnisses, § 1298 BGB).
4.2.5.2 Empfangsbedürftige Willenserklärung
Meist sind jedoch die Willenserklärungen ihrem Inhalt nach für eine andere Person bestimmt und dieser gegenüber abzugeben (empfangsbedürftige Willenserklärung). In diesem Fall wird die Willenserklärung erst wirksam, wenn sie dem Empfänger zugeht (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Der Begriff des Zugangs und damit die Umstände des Wirksamwerdens einer Willenserklärung sind im Gesetz nicht näher bestimmt. Deshalb war es weithin Aufgabe der Gerichte, in vielen Einzelentscheidungen Grundsätze über das Zugehen einer Willenserklärung herauszuarbeiten. Danach gilt Folgendes: