Hekate. Thomas Lautwein
S. 985 - 1010) und Band VI/2 (S. 655 - 673), sowie zu den Dissertationen von Tatjana Brahms und Nina Werth.64
Typische Attribute der Hekate sind Fackel, Hund, Oinochoe (Schöpfkanne), Phiale (Trinkschale), Frucht, Mondsichel, Dolch, Peitsche, Schlange, Schlüssel, selten sind Darstellungen mit Lotusblüte, Hirsch, Altar oder Sonnenscheibe (auf ägyptischen Münzen, wo Hekate mit Isis gleichgesetzt wird).
Aus der Antike ist im Übrigen keine einzige Darstellung überliefert, die Hekate als alte Frau oder „Hexe“ zeigt. Diese Vorstellung stammt aus der Zeit der Renaissance bzw. dem späten 19. Jahrhundert (Crowley), von wo sie an die Esoterik des 20. Jahrhunderts vermittelt wurde.
Frühe literarische Zeugnisse
Der Hekate-Hymnus in Hesiods „Theogonie“
Dass Hekate bei Homer nicht erwähnt wird (genau so wenig wie Dionysos) berechtigt uns jedoch nicht zu der Annahme, sie sei damals noch ganz unbekannt gewesen. Göttin des Todes ist bei Homer Persephone, die von ihm häufig als „he Kêr“, die Todesgöttin, apostrophiert wird. Die Nichterwähnung der Hekate in der „Ilias“ und der „Odyssee“ könnte ein Indiz dafür sein, dass sie ursprünglich keine griechische Gottheit war und von der homerischen Adelsgesellschaft nicht verehrt wurde, da sie eher eine Göttin für Frauen und für nichtadlige Schichten der Bevölkerung war. Schon Wilamowitz-Moellendorf meint daher:
Sie ist also nicht durch Homer verbreitet, war aber in anderen Kreisen als denen, für die er dichtete, wohl schon verehrt; das südliche Ionien liegt ihm ja überhaupt ferner, und von da muss der Kult der Hekate ausgegangen sein.65
Die erste ausführliche Erwähnung der Göttin finden wir bei Hesiod in der Theogonie, v. 411 - 452. Der dort eingeschobene Hekate-Hymnus, dessen Echtheit heute weitgehend anerkannt wird, ist oft kommentiert worden.66 Er ist eingebaut in eine Reihe von Amtszuteilungen und Ehrenbekundungen, die Zeus ab Vers 348 den Töchtern der Tethys, der Göttin Styx und eben der Hekate zuteil werden lässt. Den Kontrast hierzu bilden die Besiegung der Titanen, die Ablösung des Kronos durch Zeus und die Bestrafung des Prometheus (ab V. 507).
Für Verwirrung unter den Philologen sorgt, dass Hekate hier nicht als dämonisch-blutrünstige Herrin der Nacht und der Zauberei erscheint, sondern als eine alte, sehr mächtige Göttin, die ihrem Verehrer Reichtum und Glück bescheren kann. Der Aufbau des Hymnus ist kompliziert, zerfällt aber doch organisch in zwei Hauptteile, deren erster Hekates Macht beschreibt, die sich über Himmel, Erde und Meer erstreckt und auch von Zeus anerkannt wird, während der zweite Teil an einzelnen Beispielen beschreibt, wie ihre Gnade dem einzelnen Menschen Glück und Sieg zuteil werden lässt.
Hekate stammt nach Hesiod von der Titanin Asteria und dem Titanen Perses ab, die ihrerseits Kinder der Gaia und des Uranos bzw. der Gaia und des Pontos sind. Hekate gehört also der vierten Generation der Götter an, ist damit gleichalt mit Zeus und stammt von den Elementen Erde (Gaia), Himmel (Uranos) und Meer (Pontos) ab. Ihr Vater Perses ragt „unter allen an Wissen und Klugheit hervor“ (V. 377). Ihre Mutter Asteria (benannt nach „aster“, „der Stern“?) ist eine Schwester der Leto, der Mutter von Apollo und Artemis, deren Cousine sie somit ist. Ihre Großeltern mütterlicherseits sind der Titan Koios, dessen Name auf vorgriechische Ursprünge verweist und die „goldbekränzte“ Titanin Phoibe („die Glänzende“, Theogonie Vers 146); ihre Großeltern väterlicherseits sind der Titan Kreios (ebenfalls ein vorgriechischer Gott, der auf dem Peloponnes verehrt wurde) und die Titanin Eurybia („die weithin mächtig ist“, V. 375), „die mit dem härtesten Herzen“ (t’ adamantos eni presi thymon echousan, V. 239). Nach späteren Autoren ist sie entweder ein Kind der Nacht (so Bacchylides), des Tartaros oder eine Tochter von Zeus und Asteria; nach orphischer Überlieferung gar eine Tochter der Demeter.67 Hervorzuheben ist, dass Hekate monogenes ist, „alleingeboren“, sie hat keine Geschwister, und wie Diana-Artemis verzichtet sie auf Mutterschaft. Sie ist keine Göttin der Fruchtbarkeit und der Liebe.
Merkwürdig ist, wie stark Hesiod betont, dass Hekates Macht von Zeus so sehr respektiert wird, dass er keinen Versuch macht, sie zu schwängern oder zu unterwerfen (was mythologisch gesehen auf dasselbe hinausläuft: Der Vatergott Zeus unterwirft sich die Göttin, indem er sie zu seiner Gattin, Liebhaberin oder Tochter macht). Im Gegensatz zu Hera, die Zeus als Gemahlin beigeordnet ist und nur indirekt gegen Zeus aufbegehrt, indem sie seine zahllosen Geliebten und Kinder verfolgt, hat sich Hekate ihre Unabhängigkeit erhalten können und sich nicht in die patriarchale Hierarchie der olympischen Götter integriert.
Der Name von Hekates Vater Perses führt uns wieder auf eine nicht-indogermanische Wortwurzel *persa mit der Bedeutung „Licht, Feuer, Sonne“, wie sie auch in den Namen Persephone und Perse enthalten ist. Perses dürfte daher auf einen vorgriechischen Sonnengott zurückgehen, der wiederum Sohn der Erdgöttin ist. Tatsächlich ist Perses’ Mutter die Titanin Eurybie, die als Tochter der Gaia selbst eine Hypostase der Erdgöttin ist, so dass wir in dem Mutter-Sohn-Verhältnis zwischen Eurybie und Perses wiederum den altorientalischen Mythos vorfinden, in dem der Sonnengott ein Kind der Erdgöttin ist.68
Hier nun der Text aus Hesiods „Theogonie“:
Phoibe aber bettete sich in Liebe mit Koios.
In der Umarmung empfing den Samen des Gottes die Göttin,
und sie gebar die schwarzgewandete Leto, die sanfte,
sanften Sinns seit Beginn, die friedlichste in des Olympos
Reich, den Menschen so freundlich gesinnt wie den ewigen Göttern.
Ferner gebar sie die namenschöne Asteria; Perses
Führte sie heim in sein Haus, auf dass sie Gattin ihm heiße.
Diese empfing und gebar dann Hekate, die der Kronide
Zeus vor allen geehrt, indem er sie herrlich begabte,
Teil an der Erde zu haben und an der Öde des Meeres.
Hohe Ehre auch ward ihr zuteil unter Himmelsgestirnen,
höchste Achtung genießt sie im Kreis der unsterblichen Götter.
Denn noch jetzt ist es so: Wenn einer der irdischen Menschen
Gnade erfleht, im heiligen Opfer dem Brauche genügend,
ruft er Hekate an. Und reichen Segen gewinnt er
mühelos, wenn nur die Göttin sein Bitten gnädig erhört hat.
Aus der Fülle der Macht gewährt sie Glück ihm und Wohlstand.
Denn von allen Göttern, die Erde und Himmel entstammen,
mögen sie noch so geehrt sein: Sie hält ihr Schicksal in Händen.
Niemals übte Gewalt gegen sie der Kronide, nie rührte
Er an die Macht, die ihr zukam unter den früheren Göttern.
Nein, was von Anfang an ihr heiliges Teil war, behielt sie:
Alle Ehre auf Erden, am Himmel wie auf dem Meere.
War sie auch einzeln geboren, empfing sie nicht kleineren Anteil,
nein, viel größeren noch, da Zeus sie achtet wie keine.
Ganz, wie sie will, gewährt sie Hilfe und Schutz einem Manne:
Ehrwürdig hohen Königen sitzt er als Richter zur Seite,
in der Versammlung ragt er hervor, der Günstling der Göttin.
So auch im Krieg: Wenn zum männermordenden Kampfe die Männer
Rüsten, hilft sie, die Göttin, dem Helden,