Hekate. Thomas Lautwein

Hekate - Thomas Lautwein


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über tausend Jahre in der Antike entwickelt hat, will ich im Folgenden aufzeigen. Dabei gehe ich von der Prämisse aus, dass die Göttin in den einzelnen Epochen auf durchaus unterschiedliche Art und Weise erschienen ist, aber im Grunde immer dieselbe blieb. Sie ist die „Vielnamige“ und „Vielgestaltige“ (Polymorphos) mit den tausend Gesichtern und tausend Namen (Isis myriônymos), die sich doch immer gleich bleibt.

      Hekate stammt also aus Kleinasien und ist mit der Magna Mater (meter) verwandt, deren Kult in Anatolien seit der Steinzeit blühte. Ursprünglich hatte sie einen Partner-Gott, der den Namen Hekatos trug. Diese männliche Gottheit wurde schon bald von dem ebenfalls kleinasiatischen Apollon assimiliert, so dass „Hekatos“ zu einem Beinamen des Apollon wurde. Dadurch wurde auch Hekate in die Nähe Apollons gerückt und konnte mit dessen Schwester Artemis (Diana) identifiziert werden, was in der Spätantike auch häufig geschah. Dennoch konnte sich Hekate immer auch als eigenständige Gottheit behaupten und sich über Karien, Thrakien und Thessalien sogar bis nach Athen ausbreiten. Mit Apollon gemeinsam hat sie die Funktion als Hüter der Tore und das Glänzende ihrer Erscheinung, das sich in Beinamen wie epiphanês, epiphanestátê (Leuchtende), megistê (Große) und sôteira (Retterin) ausdrückt.

      Hekate scheint, wie aus ihren Attributen erschlossen werden kann, in ihrer frühesten Form eine Erd- und Sonnengöttin gewesen zu sein, und keinesfalls eine Mondgöttin, wie schon der englische Altphilologe Herbert J. Rose 1928 urteilt:

      Auch Robert von Rudloff weist in seiner Studie „Hecate in Ancient Greek Religion“ (1999) schlüssig nach, dass Hekate ursprünglich keine Mondgöttin gewesen sein kann.

      Doch wie kann eine Erd- gleichzeitig Sonnengöttin sein? Die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand, wenn man sich einmal in die Weltanschauung eines archaischen Menschen hineinversetzt: Indem die Erde als Erzeugerin der Sonne gedacht wird, die jeden Abend die Sonne wieder in sich aufnimmt und sie am Morgen neu gebiert. Nach antiker, geozentrischer Vorstellung versinkt die Sonne nämlich abends im Westen und reist während der Nacht unterirdisch in den Osten zurück, um dort ihren Lauf von neuem zu beginnen. Die „Sonne um Mitternacht“ (Apuleius, Met. XI) wäre also die Sonne unter der Erde, die in der Nacht gen Westen geführt wird – und zwar von der großen Erdgöttin, die anfänglich auch eins mit dem Himmel gewesen ist, und erst später vom Himmel getrennt wurde, der dann mit männlichen Gottheiten besetzt wurde. Dabei wurde der Himmel (Uranos) mit der Sonne und dem Symboltier Stier assoziiert, während die Erde (Gaia) mit der unterirdischen Sonne und der Nacht verbunden wurde und das Symboltier Löwe erhielt. Da die Göttin aber nach wie vor der Ursprung von allem war, war sie natürlich auch nach wie vor die große Lichtbringerin, wie es auch die ägyptische Hathor, die keltische Brigid oder die Sternengöttin Nut (Nu, Nuit) sind.

      Hekate ist unserer Meinung nach also ursprünglich die Göttin der unterirdischen, nächtlichen Sonne. Diese These lässt sich mit Hilfe der hethitischen Überlieferung stützen, der wir uns nun zuwenden wollen.

      Sonnengöttin von Arinna, meine Herrin, aller Länder Königin! Im Hatti-Lande gabst du dir den Namen Sonnengöttin von Arinna, in dem Lande aber, das du zu dem der Zeder machtest, gabst du dir den Namen Hepat!

      Die hethitische Königin Puduhepa, um 1250 v. Chr.

      Hierzu müssen wir uns etwas näher mit der kleinasiatischen Erdgöttin beschäftigen, die seit dem Neolithikum in Anatolien nachweisbar ist. Die ältesten Funde (Catal-Hüyük und Hacilar) stammen aus dem 7. Jahrtausend v. Z. und zeigen eine Göttin, die thronend, säugend, gebärend oder in sexueller Vereinigung mit einer männlichen Gottheit dargestellt ist. Ob wir diese Kulturen wirklich als „matriarchal“ oder „matrizentrisch“ bezeichnen können, mag zweifelhaft erscheinen, doch können wir sicherlich davon ausgehen, dass die Frauen in diesen frühen Gesellschaften eine relativ starke Stellung hatte und dass die Göttin in dieser Phase als die eine allumfassende Macht gesehen wurde, die Himmel und Erde, Ober- und Unterwelt umfasste, Leben gab und Leben nahm.


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