Ein Leben in zwei Welten. Gottlinde Tiedtke

Ein Leben in zwei Welten - Gottlinde Tiedtke


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standen. Ein Geschwader überflog uns und setzte Leuchtkugeln ab. Der Himmel über uns leuchtete – es war ein einziges Funkenmeer. Für die Bomber, die dann etwas später folgten, dienten die Feuerkugeln als Positionsangabe für die Bomben, die abgeworfen werden sollten.

      Über uns lag eine unheimliche Stille, kein Windhauch war zu spüren.

      Für einen Moment konnte man nicht einmal den dröhnenden Hall der Motoren der Kampfflugzeuge hören.

      Minuten später wurde ein unglaublicher Wind entfesselt. Dieser riss all die „Christbäume“ aus loderndem Phosphor mit sich und trug sie weit fort. Wir schafften es gerade noch rechtzeitig in den Keller. Der alte Hauswirt war so schwerhörig, dass er die Sirenen nicht gehört hatte. Er war der Einzige, der einen Schlüssel zum Luftschutzkeller hatte. Man schlug sein Fenster ein und rüttelte ihn wach. Wir saßen alle versammelt im Keller, als er laut rief:

      „Schaut euch das Inferno an. Dresden brennt!“

      Eine Stadt mit Tausenden von Flüchtlingen, die am Bahnhof und überall in den Straßen rastend auf die Weiterfahrt aus dem Osten warteten, ging in Flammen auf.

      Am Tag danach kamen die Bomber wieder und gaben der Stadt den Rest. Alle Feuerwehren im Umkreis waren dort, um die Feuer zu löschen. Keiner kam wieder.

      Es sind Bilder, die ich niemals vergessen werde. Meine Schwester und die Kinder aus unserem Haus standen an der Straße, die in das ca. 25 km entfernte Dresden führte.

      Es kamen Gestalten auf uns zu, die an Horrorfilme erinnern: Zombies – schwarz vom Rauch mit zerfetzten Kleidern und versengten Haaren.

      Zu Hunderten zogen sie an uns vorbei.

      Die Freundin meiner Schwester Gabriele wohnte zu dieser Zeit direkt in Dresden. Sie erzählte, sie seien im Luftschutzkeller gewesen, als eine Brandbombe das Haus traf.

      Ihr Vater hatte ihre Mäntel in ein Fass Wasser getaucht, das an der Treppe stand. Dann waren sie durch das Kellerfenster hinaus auf die Straße in das brennende Inferno gerannt.

      Die nassen Mäntel bewahrten sie davor, selbst in Flammen aufzugehen. Die Freundin traf ein Spritzer Phosphor am Bein, der sich blitzschnell bis auf den Knochen durchbrannte. Als sie ausgebombt in unsere Nachbarschaft zog, musste man sie in einem Handwagen fahren.

      Auch meine Großmutter väterlicherseits wohnte in Dresden. Es dauerte Tage, ehe die Stadt wieder passierbar war. Mein Vater machte sich auf, um nach seiner Mutter zu suchen. Der Stadtteil, in dem sie lebte, war fast komplett zerstört worden, aber das Haus, in dem Auguste wohnte, stand noch.

      Als er wiederkam, roch er entsetzlich nach Rauch und verbrannten Leichen.

      Die Russen und die Rettung

      Die Russen rückten immer näher. Sie waren bereits auf der einen Seite des Elbufers. Auf der anderen befand sich das Regiment von General Schörner, der vorher das Afrika-Kommando unter sich hatte. Radebeul lag im Tal. So beschossen sich die Kämpfenden tagelang mit Stalinorgeln, wie wir die Geschosse nannten.

      Es war der 8. Mai, der Tag der Befreiung!

      Die Menschen standen auf ihren Balkons und schwenkten weiße Tücher. Ich sehe sie noch. Sie kamen die lange Straße hinunter. Die russischen Einheiten. Zuerst mongolische Reiter, dann die Panzer. Amerikanische Panzer mit vielen Geschützen.

      Die Amerikaner hatten die Russen voll ausgestattet, weil diese kein Kriegsgerät mehr hatten, sagte mein Vater. Im Prinzip trugen sie nur den roten Stern anstatt der amerikanischen weißen. Die Männer hatten sich in den Weinbergen versteckt.

      Die Soldaten schossen auf alles und jeden. Der aufgestaute Hass war zu groß.

      Meine Schwester ging aufs Gymnasium. Man hatte die jungen Mädchen versteckt, denn Vergewaltigungen gehörten zur Tagesordnung.

      Einmal war ich als Fünfjährige allein mit meiner Mutter, als Offiziere ins Haus kamen. Sie trieben alle Frauen und Kinder auf dem Rasen vor dem Haus zusammen. An den Platz, an dem immer die Wäsche gebleicht wurde. Ich saß allein im ersten Stock in der Küche mit einer Blechtasse mit Radieschen am Küchentisch.

      Man hatte mich irgendwie vergessen.

      Plötzlich stand ein baumlanger mongolischer Russe lautlos in der Küchentür. Das Gewehr über dem Arm. Ich versteinerte buchstäblich, aber er war freundlich. Er lächelte mich an und ging.

      Unten auf der Bleiche ging es nicht so lustig zu. Alle Frauen sollten in Lastwägen verfrachtet werden und nach Sibirien gebracht werden. Das Gleiche geschah in den umliegenden Häusern.

      Der Oberkommandant war ein eiskalter, gnadenloser Typ. Intuitiv wusste meine Mutter plötzlich, dass er ein russischer Jude war. Sie stellte sich neben ihn und sprach ihn leise auf Deutsch an. Er schaute sie verdutzt an, dann redete sie ihm ins Gewissen. „Wollen Sie wirklich Gleiches mit Gleichem vergelten? Ist es denn nicht genug, was Ihr Volk bereits erlitten hat? Ein Volk, das sich als auserwählt fühlt, muss doch besser sein. Es muss doch einmal genug sein mit all dem Hass.“

      Es war ein gewagtes Spiel.

      Er solle doch ein Exempel im guten Sinne statuieren und die Frauen bei ihren Kindern lassen. Sie redete und redete, bis er ihr auf die Schulter griff, nickte und mit mürrischer Miene den Befehl gab, dass alle Frauen in ihre Häuser zurückkehren und nicht mehr auf die Straße gehen sollten.

      Erst nach der Wende fand man in der Nähe von Heidenau die Massengräber mit all den Frauen, die aus ihren Häusern getrieben worden waren, um erschossen zu werden.

      Jeder musste jetzt den Preis für den verlorenen Krieg zahlen. Zahllose Menschen wurden heimatlos oder enteignet. Meine Mutter hatte vorgesorgt, die Gardinen abgemacht, die Teppiche verschwinden lassen, so dass unsere Räume kahl und unwohnlich wirkten. Dazu hatten wir ja zu unserem Glück kein Spülklosett und kein Bad, sondern nur das „Örtchen“ auf halber Treppe.

      Das russische Oberkommando hatte Radebeul zum Hauptquartier erkoren. Wir lebten jetzt unter 220 000 Russen.

      Da unsere Wohnung nicht den Ansprüchen der Besetzer genügte, durften wir sie weiterhin bewohnen. Die Russen holten ihre Familien nach. Junge Russinnen mit roten Backen und Kopftüchern. Viele wirkten wie Mamuschkas.

      Auch in die Villa neben uns zog eine russische Familie ein. Die Mutter mit dicken roten Backen und kräftigen Waden. Zu ihrer Schürze trug sie Stöckelschuhe, nachmittags um drei servierte sie das Mittagessen: Makkaroni mit Hackfleischsoße – eine Delikatesse.

      Die Russin mit den aufgetürmten rotblonden Locken nahm mich gleich unter ihre Fittiche. Ich durfte mitessen, mehr als einmal. Ich war ihr ewig dankbar.

      Während wir die Nudeln verschlangen, flüsterte sie, dass wir ruhig sein sollen. Im Hintergrund hörte man das laute Schnarchen ihres schwer betrunkenen Mannes, der inzwischen in voller Montur im Ehebett eingeschlafen war. Wir Kinder unterhielten uns in Zeichensprache oder spielten draußen Ball.

      Neben all den schrecklichen Erinnerungen, die diese Zeit mit sich brachte, fällt mir auch etwas sehr Komisches ein:

      Die Russen waren begeistert von unseren Spültoiletten. Sie wuschen ihre Kartoffeln darin und spülten dann. Natürlich landeten die Kartoffeln damit zum Teil in der Kanalisation, die verstopfte. Der ratlose dazugeholte Mann schoss vor lauter Wut in die Toilette!

      Solche Geschichten kursierten überall.

      Auch die Besetzung forderte ihren Tribut. Nun verloren alle ihre Jobs. Unser Nachbar, ein Justizbeamter, war jetzt bei der Müllabfuhr. Auch mein Vater wurde wie viele andere seines Postens als Lehrer enthoben. Die Kommunisten übernahmen das Ruder.

      Gut, dass meine Eltern in weiser Voraussicht alle bedenklichen Unterlagen verbrannt hatten.

      Mein Vater verdiente zusätzliches Geld jetzt als Pianist in einer Band in einem Vergnügungslokal für die Russen. Erst um drei Uhr morgens war sein Tag zu Ende. Der Heimweg war dann aber lebensgefährlich.

      Die sturzbetrunkenen Russen rissen einem


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