Das Auge des Panthers. Katrin Ulbrich

Das Auge des Panthers - Katrin Ulbrich


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würde niemals etwas tun, das dem Zirkus schadet. Der Zirkus ist sein Leben.»

      «Dann wurde nie geklärt, wer die Elefanten vergiftet hat?»

      «Nein, niemals.» Selina schüttelte die roten Locken. «Warum erzähle ich Ihnen das eigentlich?»

      «Vielleicht, weil ich Ihnen helfen möchte, Ihre Freundin zu finden.» Katzmann dachte nach. «Warum haben Sie eigentlich ausgerechnet in einer Bar nach ihr gesucht?»

      «Irgendwo musste ich ja anfangen. Und sie liegt nahe.»

      «Ich verstehe. Und was hatten die Männer in der Bar gegen Sie?»

      «Nichts Persönliches.» Selina zuckte die Achseln. «Im Zirkus leben Menschen unterschiedlicher Nationalitäten zusammen. Wir haben Russen, Franzosen, Spanier und sogar Schweden im Programm. Das gefällt manchen nicht.»

      «Sie meinen, Sie werden angefeindet, weil Sie mit Menschen anderer Nationen zusammenarbeiten?»

      «Ja. Der Zirkus ist eine eigene Welt für sich. Wie ein kleiner Staat im Staat. Das ist vielen nicht geheuer. Und wir Menschen hassen häufig das, was wir nicht kennen. So ist das nun mal.»

      Katzmann legte die Stirn in Falten. Darüber sollte ich einmal schreiben, nahm er sich vor. Es ging doch nicht, dass die Zirkusleute verurteilt wurden, nur weil sie anders waren! Außerdem konnte er über die vermisste Frau schreiben. Das wären gleich zwei Themen. «Ich bin Journalist, Selina, und ich würde gern über Ihren Zirkus schreiben.»

      «Warum? Wollen Sie in alten Wunden stochern?»

      «Nein, aber ein Artikel könnte helfen, mehr Verständnis zu wecken für Ihre Art zu leben.»

      Selina winkte ab. «Das würde Ihnen nicht gelingen. Wir sind Weltenwanderer, die nirgendwo hingehören und denen niemand vertraut. So ist es, und so wird es bleiben.»

      «Wäre es nicht den Versuch wert, etwas zu ändern?»

      «Vielleicht. Es tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich los.»

      «Warten Sie», hielt Katzmann sie auf. «Kann ich morgen zu Ihnen kommen und Ihnen ein paar Fragen stellen?»

      Selina blickte zu ihm auf, und ein nachdenklicher Ausdruck vertrieb sekundenlang den Kummer aus ihrem Blick. «Einverstanden», erwiderte sie schließlich. «Sagen Sie dem Wachmann am Eingang, dass Selina Sie erwartet. Dann lässt er Sie durch. Aber seien Sie vorsichtig, wenn Sie zu uns kommen. Es gefällt meinem Onkel nicht, wenn sich Fremde im Zirkus umschauen.»

      «Warum? Hat er etwas zu verbergen?»

      «Es ist sein Reich. Das genügt ihm.»

      «Was kann er mir schon tun? Schlimmstenfalls wirft er mich raus.»

      «Nein», versetzte Selina leise, «das wäre nicht das Schlimmste. Sie haben ja keine Ahnung, wozu er fähig ist …» Damit wirbelte sie herum und verschwand in der Dunkelheit.

      KATZMANN war nicht der Typ, der tatenlos herumsaß. Deshalb wollte er sich am nächsten Morgen, während es im Zirkus höchstwahrscheinlich noch ruhig und verschlafen zuging, im Wagen der vermissten Seiltänzerin umschauen. Er hatte einige Tage frei, aber das bedeutete nicht, dass er einer guten Geschichte aus dem Weg ging, wenn er eine fand. Und so rief er seinen Chef an und kündigte zwei Artikel über den Circus Rosario an. Mit der Option auf weitere, sollte es das Thema hergeben.

      «Ein Zirkus in Chemnitz?», entgegnete Leistner skeptisch.

      «Was hat das mit uns zu tun? Unsere Leser wollen Neuigkeiten aus Leipzig. Vergiss den Zirkus, dieses Thema passt nicht zu uns.»

      «Aber Eugen, der Circus Rosario macht als Nächstes Station in Leipzig. Damit ist er auch für die LVZ interessant.»

      «Und warum willst du dir deine freien Tage mit Arbeit verderben, Genosse Konrad? Ich kann dir nicht mehr bezahlen, falls du darauf spekulierst.»

      «Das tue ich nicht – obwohl ich dich natürlich auch nicht davon abhalten werde, solltest du deine Meinung ändern … Nein, mich reizt das Thema einfach. Ich habe das Gefühl, dass mehr dahintersteckt, als man auf den ersten Blick erkennen kann.»

      «So ist das also. Na schön, Genosse Konrad, dann mach es in Gottes Namen!»

      «Im Namen der Zeitung, das reicht mir schon», erwiderte Katzmann trocken.

      Im Hörer erklang ein Schnaufen. «Vergiss nicht, ein paar Photographien zu schießen, die wir abdrucken können.»

      Es klickte im Hörer. Der Chefredakteur hatte aufgelegt. Katzmann hielt sich nicht länger auf, sondern machte sich auf den Weg zum Zirkusgelände. Auf seinem Motorrad war er im Handumdrehen dort. Er fuhr eine NSU 1000 mit Beiwagen, ein Geschenk seiner Eltern anlässlich seiner ersten Stelle als Dresdenkorrespondent.

      Auf dem Jahrmarktsplatz ging es noch ruhig zu. Eine zarte Röte überzog den morgendlichen Himmel, und nur wenige Wolken trieben über die Stadt. Der Regen war endlich weitergezogen, und es versprach, ein schöner Tag zu werden.

      Katzmann mochte den Morgen, wenn der Tag noch jung und voller Möglichkeiten war. Er hielt an und stellte die NSU am Zaun ab. Das Zirkusareal hatte zwei Eingänge: zum einen die überdachte Treppe, die ins Hauptzelt führte, und zum anderen ein kleines Tor auf der Rückseite, über das man in den Bereich der Wohnwagen gelangte.

      Ein Wachmann in einer blauen Uniform humpelte auf Katzmann zu, als sich der Reporter näherte. Sein rechtes Bein schien steif zu sein, denn er zog es nach. Doch was ihm an Schnelligkeit fehlte, machte er mit Muskelkraft wett. Hinter seinen Schultern hätte sich problemlos eine halbe Zirkusfamilie verstecken können. Er hatte dunkle Haare und ein stoppeliges Kinn. Hinter ihm trottete ein Mischling mit struppigem Fell her. «Was wollen Sie hier?», knurrte er. «Der Zirkus öffnet erst in ein paar Stunden.»

      «Selina hat mich eingeladen.»

      «Selina?» Der Wächter rieb sich das Kinn. Es gab ein schabendes Geräusch. «Dann müssen Sie der Reporter sein. Selina hat Sie angekündigt. Gehen Sie durch.»

      «Danke. Können Sie mir sagen, wo ich den Wohnwagen der Seiltänzerin finde?»

      «Was wollen Sie denn bei Nelly?»

      «Mich ein wenig umschauen.»

      «Ihr Reporter könnt es wohl nicht lassen, eure Nase überall hineinzustecken, wo sie nichts zu suchen hat, was? Lassen Sie sich bloß nicht vom Direktor erwischen, während Sie hier herumschnüffeln, sonst haben Sie im Handumdrehen Ärger am Hals. Einen Haufen Ärger!» Der Wachmann streckte den Arm aus und deutete auf einen gelben Wohnwagen, vor dem Wäsche auf einer Leine baumelte. «Der da ist es. Klopfen Sie nur. Nellys Mutter müsste da sein.»

      Katzmann nickte und strebte über den Platz. Seine Schritte knirschten im Kies. Als er den Wohnwagen erreichte, wurde die Tür aufgestoßen, und eine rundliche Frau mittleren Alters schaute heraus. Das erwartungsvolle Leuchten auf ihrem Gesicht erlosch, als sie ihn sah. Anscheinend hatte sie jemand anders erwartet, und er konnte sich auch denken, wer das war. «Guten Morgen!», grüßte er. «Mein Name ist Katzmann. Ich bin Reporter bei der Leipziger Volkszeitung . Sind Sie Nellys Mutter?»

      «Ja, ich bin Lene Birkner. Warum?»

      «Ich würde Ihnen gern einige Fragen stellen. Zu Ihrer Tochter.»

      «Das möchte ich eigentlich nicht.»

      «Bitte, ich würde gerne einen Artikel über Nellys Verschwinden schreiben. Ist sie inzwischen heimgekehrt?»

      «Nein …» Zittrig verschränkte die Frau ihre Hände vor der Brust, und über ihr Gesicht lief ein Ausdruck tiefster Verzweiflung.

      «Sobald der Artikel erscheint, werden die Leser die Augen nach Ihrer Tochter offen halten. Vielleicht findet sich so eine Spur von ihr. Leider kann ich Ihnen dafür keine Garantie geben, aber einen Versuch ist es wert, finden Sie nicht?»

      Lene Birkner zögerte. Ihre Brust hob sich unter rasselnden Atemzügen,


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