Eines Tages hol’ ich sie mir!. Heidemarie Pläschke

Eines Tages hol’ ich sie mir! - Heidemarie Pläschke


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      Wenige Monate später haben beide Mädels Konfirmation.

       Stine ist konfirmiert

      Auch Stines Tante, eine Schwester ihres Vaters, und deren Sohn, Stines Cousin, sind eingeladen. Schon im Sommer zuvor ist dieser mit seinem Freund zu Besuch gewesen und hat sich offensichtlich in Stines Mutter verliebt, die mit Stines Vater nicht glücklich ist. Auch Stine leidet schon jahrelang sehr unter der Disharmonie zwischen ihren Eltern. Sie selber sagte ihrer Mutter schon Monate vorher, dass sie den Vater doch verlassen sollte, weil es hier nicht auszuhalten ist. Stine kann schlecht einschlafen wegen des Kraches zwischen ihren Eltern. Trost findet sie in einem winzigen Teddybären. Durch Kratzen an der Bettdecke verschafft sie sich monotone Geräusche, auf die sie sich zu konzentrieren versucht, um überhaupt in den Schlaf zu kommen.

      Was Stine an diesem Tag noch nicht ahnt ist, dass es die letzte Feier mit der Familie ist.

      Sie bekommt herrliche Azaleen geschenkt, die sie liebevoll in ihrem Zimmer platziert. Sie stehen noch in voller Blüte als Stines Mutter eines Morgens verkündet, dass sie ausziehen will. Wer will, könnte mitkommen. Gleich käme Opa mit dem Gummiwagen und würde alles zu Oma in das Siedlungshaus bringen. Natürlich will Stine mit und ihr Bruder Holly auch. Damit ist der Traum vom eigenen Zimmer schnell ausgeträumt.

      Stines Mutter und ihr Bruder teilen sich jetzt ein Zimmer im Hause der Großeltern. Stines Tante Emma, die jüngste Schwester ihrer Mutter und fünf Jahre jünger als Stine, muss sich nun ihr Zimmer mit Stine teilen. Das ist aber kein Problem, denn beide Mädels verstehen sich prächtig. Sie hätten ja auch Schwestern sein können statt Tante und Nichte.

      Die letzten zwei Schuljahre sind nicht einfach. Sie sind von zwei Kurzschuljahren geprägt, weil der Termin für den Schuljahreswechsel auf vor die Sommerferien verlegt wird. Auch in Schleswig-Holstein gibt es ein einziges langes Schuljahr, das zwei Klassenstufen auf einmal erfasst ohne Einschulung und Versetzung am 01. Dez. 1966. So kommt es, dass Schulanfänger Ostern 1966 in die Klasse »1/​2«, aus der im Herbst 1967 in die Klasse 3 versetzt werden. Die Schulabgänger haben zwei kurze Schuljahre, wodurch erforderlich wird, den Unterrichtsstoff zu straffen. Zum Glück wird den Schülern der 10. Klasse die sonst übliche Jahresarbeit erlassen. Ungeschickt ist nur, dass in jedem Bundesland andere Prioritäten gelten.

      Das bekommt auch Stine zu spüren, denn sie wechselt wenige Monate vor Erlangen der Mittleren Reife (heute Realschulreife) das Bundesland, d. h., dass sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Niedersachsen zieht. Gut, sie hätte auch bei ihrer Oma bleiben können bis zum Ende der Schulzeit. Allerdings wollte Stine das nicht und lieber mit ihrer Mutter umziehen.

      So setzt sich an einem kalten Februartag der große Umzugswagen in Bewegung und bringt Stine, ihren Bruder und ihre Mutter samt ihrer bescheidenen Habseligkeiten nach Hardegsen am Solling.

      Dort haben sie zusammen mit Stines Cousin, dem Freund ihrer Mutter, den unteren Teil eines Hauses gemietet. Leider gibt es nur ein etwas größeres Kinderzimmer, das Stine sich nun wieder mit ihrem Bruder teilen muss. Es wird aber zweckmäßig zu Stines Gunsten eingerichtet, denn als Mädchen, das fast erwachsen ist, hat sie einfach Mehrbedarf.

      Die für sie zuständige Schule befindet sich in Moringen und ist mit einem Schulbus gut zu erreichen. Nur schließt sich der Unterrichtsstoff nicht dem in Travemünde an, was besonders in Mathematik problematisch wird. Die Lücken, bedingt durch die Kurzschuljahre und den Umzug, sind einfach zu gravierend. Na gut, Stine boxt sich durch, kann aber ihre Zwei in Mathe nun nicht mehr halten. Zwar schade, aber nicht den Abschluss gefährdend. Stine bekommt das Zeugnis ihrer Mittleren Reife in Moringen. Lara erreicht ihre Mittlere Reife in Travemünde.

      Eigentlich ist es Stines Plan, nach der Mittelschule aufs Wirtschaftsgymnasium zu wechseln, um dort das Abitur zu erlangen, welches für das Studium auf Lehramt erforderlich ist.

      Stines Mutter macht ihr weiterhin Angst, dass sie doch schwanger werden könnte und sowieso sei ein Studium nicht nötig. Die Gesamtsituation zwingt Stine indirekt dazu, ihren Plan zu ändern. Sie lässt sich dazu überreden, doch eine Ausbildung in einer Bank zu machen. Durch eine Lehrerin erfährt Stine, dass deren Ehemann, Geschäftsführer einer Spar- und Darlehnskasse, eine Auszubildende gebrauchen könnte.

      Am 01. August 1967 beginnt Stines dreijährige Ausbildung zum Bankkaufmann-Gehilfen. Gleichzeitig startet auch ihre Freundin Lara eine Bankausbildung in einer Handelsbank, weil ihr Vater es für sinnvoll hält. Beide junge Damen finden sich mit ihrem Schicksal ab und machen das Beste aus der Situation.

      Briefe flattern hin und her, in denen sich beide allerlei Privates mitteilen. Auch telefonieren sie mal, was aber nicht so einfach ist, denn in Stines Zuhause gibt es leider kein Telefon. In der Wohnung über ihnen wohnt ein pensionierter Major, der über ein Telefon verfügt und nichts dagegen hat, wenn Lara mal bei ihm anruft um mit Stine zu sprechen.

      Im darauf folgenden Jahr planen Lara und Stine ihren Urlaub so, dass sie eine Woche gemeinsam haben. In dieser Woche soll Stine Lara besuchen.

      Stine packt mit massiger Vorfreude ihre große Tasche, um für eine Woche ihre Freundin Lara, die bei Travemünde wohnt, zu besuchen.

      Die inzwischen jungen Damen haben sich schon über ein Jahr nicht mehr gesehen und beide fiebern dem Wiedersehen neugierig entgegen.

      Endlich ist der lange herbeigesehnte Tag gekommen. Die Fahrkarte ist gekauft und Stine parat für die große Reise. Es ist erst die zweite Reise in ihrem Leben, denn Stines Familie hatte für Reisen leider kein Geld. Die erste Reise machte Stine ca. 14 Jahren. Damals noch mit der vollständigen Familie inklusive ihres Vaters von Warnsdorf in den Solling, um die Familie der Schwester ihres Vaters zu besuchen.

      Ja, und nun kommt ihre zweite Reise und dann noch ganz alleine. Zum Glück ist es nicht weit bis zum Bahnhof. Die 300 Meter wird sie von ihrer Mutter begleitet. Ach, was ist Stine aufgeregt und fiebert der Ankunft des Zuges entgegen. Wird auch alles klar gehen? Immerhin muss sie in Northeim, in Hamburg und in Lübeck umsteigen. Das ist schon kritisch, denn Stine kennt sich eben nicht aus. Zum Glück hatte ihr Stiefvater ihr genau erklärt wie es so ist mit dem Umsteigen.

      Auf dem Bahnhof hat sie sich alle Umsteigezeiten und die Bahnsteige der Ankunft und Abfahrt aufschreiben lassen.

      »Tschu, tschu, Tschu« und das ihr bekannte »Tuuuut« erklingen, als der Zug in den Bahnhof einrollt.

      »Nicht so dicht an die Kante«, ermahnt Stines Mutter, »sonst reißt dich der Zug noch mit.«

      »Drrrrrrrrrrrr«, erklingt es, als die Eisenbahn stoppt.

      Stines Mutter hilft, die Tür zu öffnen, geht doch etwas schwer.

      Nun aber »tschüüüsss, viel Spaß und komm heil wieder«, hörte sie ihre Mutter sagen.

      Nun steigen Stine aber doch Tränen des Abschieds in die Augen, und sie bringt keinen Ton heraus. Rein in den Wagon »Nichtraucher« und schnell einen Platz am Fenster. Gleich darauf ertönt die Pfeife des Schaffners, was besagte, dass alles klar zur Abfahrt wäre.

      »Tschu, tschu, tschu«, ertönte es von der Lokomotive, und dann das ihr vertraute »Tuuuuuuut«, denn das konnte Stine stets zu Hause hören.

      Stine und ihre Mutter winken sich zu bis ihre Mutter nicht mehr zu sehen ist.

      Bis Northeim sind es nur wenige Kilometer.

      Stine steht schon lange vor der Ankunft an der Tür, um ja schnell aus dem Zug zu kommen. Okay, nun zum Bahnsteig Richtung Hamburg. Das ist einfach, denn der Bahnsteig liegt gegenüber. Der Zug kommt bald und Stine nimmt wieder am Fenster Platz, denn sie will etwas sehen, wenn sie schon mal unterwegs ist.

      Bis Hamburg, das dauert schon etwas länger. Dann kommt der Bahnhof.


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