Torus der Tloxi. Matthias Falke

Torus der Tloxi - Matthias Falke


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große Hoffnung. Er könnte längst ein eigenes Kommando haben. Spätestens wenn die neuen Schiffe in Dienst gestellt werden, könnte er seine steile Karriere fortsetzen.«

      »Er hat es aber vorgezogen«, warf Jennifer leichthin ein, »die kleine Jill heimzuführen und den Dienst bei der Union zu quittieren.«

      Sie hatte damals nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie den Emporkömmling Taylor nicht leiden konnte. Die »kleine Jill«, die irgendwie immer am Rande des Nervenzusammenbruchs war, hatte sie dagegen wie eine jüngere Schwester geliebt und umsorgt.

      »Sei es, wie es sei«, brummte Dr. Rogers. »Das alles liegt hinter uns. Wir müssen uns auf die kommenden Herausforderungen konzentrieren.«

      Und wie um das zu demonstrieren, schwenkte er seinen gravimetrischen Barhocker um 180° herum, dass er die Achseln in die Theke einhängen und den Blick über die »Plaza« richten konnte. Wir folgten seinem Beispiel.

      Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander und sahen über die riesige Fläche hinweg. Eine Delegation nach der anderen schwebte draußen in den Parkraum ein und bestieg das Shuttle, um sich zum Torus übersetzen zu lassen. Dementsprechend füllten sich die Hallen und Gänge. Als säßen wir in einem Straßencafé und schauten über eine italienische Piazzetta, beobachteten und kommentierten wir, was immer den diversen Schleusenkammern und Elevatoren entstieg und sich zu Fuß oder auf generatorgestützten Schwebern über die riesigen Flächen verteilte.

      Wie wenn wir es herbeigeredet hätten, war eine der ersten Delegationen, die wir sahen, die offizielle Abordnung der Amish. Zwölf Männer mit prachtvollem Bart und hoher Stirn schritten würdevoll vorbei. Sie trugen die traditionellen weißen Gewänder ihrer Kultur, an denen es weder Knöpfe noch Schnallen, keine Reißverschlüsse und keine Taschen gab. Von den Kommunikationsvorrichtungen und Regulierungen unserer Anzüge aus intelligentem Elastil zu schweigen.

      Der Anführer, der einen Schritt vor den anderen einherstolzierte, kam mir bekannt vor. Ein hochgewachsener schlanker Mann mit durchgedrücktem Kreuz und einem maskenhaften Gesichtsausdruck, der noch um eine Nuance arroganter als seine Begleiter wirkte. Er schien jugendlich, und ich vermutete, dass er jungenhaft gewirkt haben würde, wenn er sich den Philosophenbart abschnitt und die pikiert erhobenen Augenbrauen herunternahm. Ich kam nicht darauf, woher ich ihn hätte kennen können.

      Da sie über keine eigenen Schiffe verfügten, hatten sie den Shuttle- und Kurierdienst in Anspruch genommen, den die Union im Vorfeld des Kongresses eingerichtet hatte. Dass derlei unter ihrer Würde war, war auf ihren hoheitsvollen Mienen abzulesen. Ein paar Tloxi, die als Eskorte hinter ihnen hertrippelten, nahmen sie nicht zur Kenntnis, und auch uns würdigten sie, als sie unser Beobachtungsfeld durchquerten, keines Blickes.

      Wir zogen in gespielter Ehrfurcht die Augenbrauen hoch und widmeten uns dann grinsend wieder unseren Drinks. Lediglich Dr. Rogers, der sich ihnen morgen am Verhandlungstisch gegenübersehen würde, starrte mürrisch vor sich hin.

      »Stolze Leute«, sagte Jennifer leise und kräuselte die Lippen zu einem spöttischen Lächeln.

      Ich sah den weiß Gewandeten hinterher, die uns jetzt die Rücken wiesen und langsam weiter den Torus hinunterschritten.

      »In der Regel«, meinte ich, »sind die Menschen oder Völker immer besonders stolz, bei denen man nicht weiß, auf was eigentlich …«

      Jennifer wiegte nachdenklich den Kopf.

      »Lieber zu viel Ethos als gar keines.«

      Sie erntete dafür einen zustimmenden Blick Direktor Reynolds’.

      »Wer weiß«, sagte er, »wofür man das noch einmal wird brauchen können? Es heißt jedenfalls, dass sie hundertprozentig verlässlich sind und lieber sterben, als ein einmal gegebenes Wort zu brechen.«

      Besser, dachte ich noch, man geriet gar nicht erst in die Lage, von solchen Leuten abhängig und auf ihr Versprechen angewiesen zu sein.

      In der Folge füllten sich die Durchgänge immer mehr. Wir kamen kaum noch nach, die einzelnen Delegationen zu unterscheiden und gebührend durchzuhecheln. Jedenfalls waren wir, Dr. Rogers nicht ausgenommen, froh, vorerst von allen protokollarischen Verpflichtungen entbunden zu sein. Die Begrüßung besorgte der Hohe Rat Salana irgendwo draußen in der Schleusenkammer, assistiert von Rankveil und Flitebuca. Wenn die Delegationen den Torus betraten, wurden sie von Ordonnanzen der fliegenden Crew oder von Tloxi-Eskorten begleitet, die sie zu ihren Wohnmodulen führten.

      Kurz danach sahen wir die Abordnung der Laya, auf deren idyllischer und krimineller Heimatwelt Sin Pur wir unsere Flitterwochen verbracht hatten; leider waren sie nicht ungestört geblieben. Ich musterte die Delegation feindselig, der selbst bei einer solchen staatstragenden Mission etwas Schmieriges anhaftete. Ich hoffte nur, dass ich im weiteren Verlauf dieses Kongresses nichts mit ihnen zu tun haben würde. Die Laya stanken. Und sie verströmten eine Aura von schimmeligen Spelunken und fettigen Garküchen. Auch sie hatten stets Wert darauf gelegt, neutral zu sein. Aber im Gegensatz zu den Amish, deren Neutralität immer zur Union tendiert hatte, hatten sie sich unverhohlen an Sina angelehnt. Jetzt existierte das Sinesische Imperium nicht mehr. Sie mussten sich neu orientieren. Aber jede ihrer Bewegungen drückte aus, dass sie der Einladung der Union nur höchst widerstrebend gefolgt waren.

      Ich versuchte in Rogers’ immer bedenklicher werdender Miene zu lesen.

      »Gibt es«, fragte ich ihn, »eigentlich ein Volk, das sich schon offen zur Union bekennt? Bis jetzt scheinen mir alle auf ihre Neutralität zu pochen …«

      Er verzog das vom Whiskey gerötete Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse.

      »Offiziell nur die Tloxi«, knurrte er. »Aber natürlich lässt sich am Anfang niemand in die Karten schauen.«

      Jennifer fuhr die Ellbogen nach hinten aus und schob ihre Schultern zwischen mich und die kleine Hostess, deren Blick ich zu erhaschen versucht hatte. Um eine neue Bestellung aufzugeben!

      »Sie werden«, sagte sie, »alle versuchen, den Preis für ihren Beitritt so hoch wie möglich zu treiben.«

      Ich bog mich um sie herum und machte der Bedienung ein Zeichen, unsere Gläser wieder zu füllen.

      »Sie sollten doch froh sein, aufgenommen zu werden!«, sagte ich.

      Rogers feixte wissend.

      »Genau«, brummte er. »Aber sie wissen, dass wir das so sehen. Und deshalb zieren sie sich wie die Jungfrau vor der ersten Nacht.«

      Ich seufzte. Also Politik. Derartige Spielchen hatten mich noch nie interessiert. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass es, je größer die Verantwortung und je höher die beteiligten Ränge waren, umso kindischer und alberner wurde.

      Jennifer hatte meine Gedanken mitgelesen. Nach mehreren Jahrzehnten war da nichts mehr zu machen. Außerdem war sie beleidigt wegen des kleinen Flirts, den ich hinter ihrem Rücken durchgezogen hatte.

      »Es hilft nichts«, sagte sie scharf. »Wir müssen uns mit unserer Lage abfinden. Wir müssen die Leerstelle besetzen, die durch die Ausschaltung Sinas entstanden ist, und auf alle Fälle verhindern, dass ein Machtvakuum entsteht.«

      Reynolds nickte.

      »Vielleicht wird es alles nicht so schlimm. Realistisch betrachtet, haben sie alle ein vitales Interesse daran, der Union anzugehören. Wir haben viel zu bieten. Vor allem Verlässlichkeit und Stabilität.«

      Nun, er war Mathematiker. Je mehr Variablen im Spiel waren, umso mehr Spaß machte die Sache ihm. Vielleicht hätte man ihn zum Verhandlungsführer ernennen sollen. Ich erinnerte mich, dass die Planspiele bei der Vorbereitung des Kongresses auf KI-Tools abgelaufen waren, die er in seiner Zeit als ENTHYMESIS-WO programmiert hatte.

      Jetzt nahm Dr. Rogers das Wort im Tonfall eines abschließenden Statements.

      »Ich hoffe auf einen Rutschbahn-Effekt«, sagte er leise. »Wenn es uns erst einmal gelingt, ein oder zwei Delegationen zum Beitritt zu bewegen, werden die anderen es mit der Angst kriegen, dass sie außen vor bleiben. Dann rechne ich damit, dass es am Ende ganz schnell geht und wir uns vor Aufnahmegesuchen nicht mehr


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