Torus der Tloxi. Matthias Falke

Torus der Tloxi - Matthias Falke


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standen auf und sahen schweigend nach vorne, während die Computer und das telepathische Tloxi-Kollektiv den Rest erledigten. Wir waren da.

      Kapitel 2 – Im Torus

      In den wenigen Minuten, die vergingen, bis wir in den Parkraum eingeschwenkt waren, erinnerte ich mich an jene Holobilder, die ich während der Vorbereitung auf diese Mission immer und immer wieder durchgespielt hatte. Doch etwas hatte keine noch so hochauflösende Holodatei im Livestream wiederzugeben vermocht: die ungeheuren Ausmaße dieser Konstruktion, die wir im internen Sprachgebrauch schlicht den Torus nannten.

      Als ENTHYMESIS-Kommandant hatte ich im Laufe mehrerer Jahrzehnte der interstellaren Exploration einige Dutzend Welten für die Union in Besitz genommen. Aber bei keiner der damit verbundenen Rendezvous oder Landungen – sei es auf Monden, Asteroiden, Kometenkernen oder Planeten – hatte ich solch einen überwältigenden Eindruck erfahren.

      Das Ding war riesig!

      Jennifer steuerte die MARQUIS DE LAPLACE in den angewiesenen Parkraum, einige Kilometer über der Ebene des Torus und um dreißig Grad gegen seine Zentralachse versetzt. Wir fuhren die Reaktoren herunter und deaktivierten die besonderen Bestimmungen und Schutzvorkehrungen des Warpstatus. Das Schiff ging auf Normalbetrieb. Seine zehntausendköpfige Besatzung nahm ihre Routinetätigkeit wieder auf. Lediglich die Delegation, die wir eskortierten, machte sich für die Passage fertig.

      Während ich den unaufgeregten Gang dieser Manöver an den diversen Schirmen und Konsolen überwachte, sah ich immer wieder aus der großen Panoramascheibe der Brücke und ließ die Blicke über die stählerne Welt des Torus schweifen. Aus dieser Perspektive konnte ich kaum ein Viertel seiner Ausmaße überschauen. Ich musste mir daher immer wieder die Holobilder vergegenwärtigen und sie vor dem inneren Auge über den tatsächlichen Anblick projizieren, um mir seine Gewalt in allen Dimensionen klarzumachen.

      Vor uns schwebte eine gigantische reifenförmige Konstruktion von über einhundert Kilometern Durchmesser. Die MARQUIS DE LAPLACE würde durch ihren Mittelpunkt fliegen können wie ein Hering durch die Nabe eines mächtigen Rades. Unser gutes altes Flaggschiff, auf das wir so stolz waren, verhielt sich zu dieser Super-Raumstation wie ein junges Kätzchen zu einem brennenden Reifen, durch den man für gewöhnlich ausgewachsene Tiger springen ließ. Das mit weitem Abstand gewaltigste Artefakt der Menschheit lag neben dieser Basis wie ein Scheitholz neben einem futuristischen Gebäude.

      Ich konnte mich nicht erinnern, jemals ein solches Gefühl der Ehrfurcht empfunden zu haben. Natürlich hatten wir Welten angeflogen, die sehr viel größer waren. Aber es waren kosmische Körper gewesen, physische Entitäten, natürliche Phänomene. Hier handelt es sich um ein DING.

      Der weite Ring, dessen lichter Durchmesser das Zehnfache der Längserstreckung der MARQUIS DE LAPLACE betrug, war an seiner Außenseite mit zwanzig Verdickungen besetzt, Knospen oder Ganglien vergleichbar, an denen sich die schlanke reifenförmige Trägerkonstruktion auf ein Vielfaches verbreiterte. Noppen und Knorpel setzten dort an. Kleine Blasen, Stiele, Dornen und andere Aufbauten entwuchsen der silberglänzenden Felge. In Relation zum Ganzen waren sie winzig. Mit bloßem Auge konnte man sie eben als reflektierende Pünktchen wahrnehmen. Aber auch sie mussten riesig sein. Größer als unsere größten Basen oder Orbitalstationen.

      Die ganze Konstruktion drehte sich langsam. Da der Parkraum der MARQUIS DE LAPLACE mit dieser Bewegung koordiniert war, nahmen wir sie nur indirekt war: am Wandern des Sternenhintergrundes und an der sukzessiven Verschiebung des Doppelsystems, das aus den beiden Sonnen β Horus und γ Horus gebildet wurde. Das alles ging nun, von der Brücke aus gesehen, draußen auf und unter. Wir waren Teil des künstlichen Systems geworden und vollzogen seine stabilisierende Gyroskopbewegung nach.

      Allerdings blieb das Zentrum des Torus, die gedachte Nabe, leer. Das Rad hatte weder Speichen noch Achse. Lediglich ein voltaischer Trichter von einigen Quadratkilometern Fläche schwebte in der Mitte der Konstruktion; seine Achse war auf die Doppelsonne ausgerichtet. Er erzeugte die Energie, die per Engstrahl im Pikometerband zu den zwanzig Wohn- und Arbeitsbereichen übertragen wurde. So kam die Station ohne Plasmakammern und Generatoren aus. Ihre Energieversorgung war autark, solange nur die beiden Sterne – der blaue und der rote – brannten, womit noch mehrere Milliarden Standardjahre lang zu rechnen war.

      Es war klar, dass nur eine Macht eine solche Stahl gewordene Demonstration von politischer Präsenz und technologischer Überlegenheit ersonnen und ins Werk gesetzt haben konnte. Und während ich darüber nachdachte, was ich im Vorfeld über die Geschichte dieses Dings im HoloStream des Stabslogs gelesen hatte, fiel mir doch noch eine Begegnung ein, die eine ähnliche Beklommenheit in uns allen ausgelöst hatte. Auch wenn der Torus, gebührendem Abstand betrachtet, ungleich eleganter und filigraner wirkte, erinnerte er in seiner starren Symmetrie und der erdrückenden Gewalt seiner Masse an die Ikosaeder-Kampfstationen, die über Sina geschwebt waren und deren unerschöpfliche Feuerkraft uns an den Rand der Niederlage gebracht hatte. Was bei den Kampfstationen kugelförmig eingefaltet gewesen war, war hier zum Ring entfaltet. Aber zugrunde lag dieselbe zwanzigstrahlige Radialsymmetrie, dasselbe architektonische Selbstbewusstsein, der gleiche titanische Protz.

      Tatsächlich ging der Torus auf das Sinesische Imperium zurück. Sein Baubeginn lag einige Jahre vor der großen Schlacht. Auf halber Strecke zwischen Sina und unserem Sonnensystem gelegen, dokumentierte er die Ausdehnungsbestrebungen des Imperiums in die westlichen Quadranten unserer Galaxis. Der Eroberungs- und Annexionszug der Sineser hatte zu einer Überdehnung ihres Reiches auf der uns zugewandten Flanke geführt. Offenbar hatte man in Sina City das Bedürfnis empfunden, eine zweite große Basis außerhalb der Heimatwelt zu errichten, um die Feldzüge und die ihnen folgenden Eingliederungen besser koordinieren zu können. Es war ein vorgeschobenes Glacis, ein Advanced Base Camp,. Ein fester Platz im Kampf um die Herrschaft über die Galaxie. Wir konnten von Glück sagen, dass wir den Kampf gesucht und für uns entschieden hatten, ehe diese Station vollendet worden war. Würde dieses interstellare Fort bewaffnet, ausgerüstet und bemannt gewesen sein, hätte es als unüberwindlicher Sperrriegel zwischen unserer Flotte und Sina gelegen. Unser wagemutiger Plan mit seiner weiträumigen strategischen Zangenbewegung, die der historischen Schlacht von Gaugamela nachempfunden war, wäre unmöglich zu realisieren gewesen. Wir wären geschlagen worden, versklavt, womöglich ausgerottet.

      Damals wussten wir aber noch nicht, was hier im Entstehen begriffen war. Unsere Routinescans hatten den Bauplatz zwar erfasst. In den zuständigen Büros auf Luna II rätselte man noch darüber, ob es sich um ein natürliches Objekt oder um ein Artefakt handele. Und falls Letzteres: ob es eine gewöhnliche Raumstation oder eine Werft werden würde. Natürlich ahnte man, dass die Sineser dahinter steckten. Aber man verspürte wenig Lust, sich näher damit abzugeben.

      Das Objekt ruhte unter dem Kürzel 31/439 in den Archiven. Die Mondbasen existierten nicht mehr. Ebenso wenig das Sinesische Imperium.

      Aber es existierten die Baupläne des Torus. Wie bei allen anderen Großvorhaben der Sineser zeichneten auch hier die Tloxi als Techniker und Ingenieure verantwortlich. Und die Konstruktionszeichnungen schlummerten in ihrem telepathischen Kontinuum. Es lag nahe, das Vorhaben wieder aufzunehmen und zum Abschluss zu bringen. Die Tloxi, für die die »Funktion« eines Bauwerks nicht existierte, machten sich wieder an die Arbeit, und mittlerweile war die gewaltige Station so gut wie vollendet. Wenn man genau hinsah, bemerkte man, dass einige Verbindungsglieder fehlten. Kraftfelder überbrückten dort den mechanischen Zusammenhang. Und die Segmente XVII bis XX waren bisher lediglich im Rohbau ausgeführt. Die knollenförmigen Verdickungen beherbergten dort zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich riesige leere Hohlräume. Aber zu vier Fünfteln war der Torus fertig. Hatte er einst die Westexpansion des Sinesischen Imperiums demonstrieren und unterstützen sollen, stand er nun für die Ostausdehnung der Union. Aber es gab einige gravierende Unterschiede. Das Sinesische Imperium war ein militaristisches und aggressives, nach innen wie außen extrem brutal auftretendes Großreich gewesen, das Dutzende Völker versklavt und ausgebeutet hatte und das die selbst ernannte Herrenrasse der Sineser zu despotischen Fürsten der Galaxis hatte machen sollen. Die Union dagegen war ein freier Zusammenschluss gleichberechtigter Nationen, die gemeinsamen den friedlichen Aufbau einer galaktischen Zivilisation in Angriff nehmen wollten.

      Das schlug sich auch im rechtlichen


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