Torus der Tloxi. Matthias Falke

Torus der Tloxi - Matthias Falke


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Appartement direkt über der Brücke aus geleitet und den kleinen Staat aus Piloten und Wissenschaftlern wie ein Duodezfürst regiert hatte. Nach der Schlacht von Sina war er demissioniert. Er hatte jedoch darum gebeten, weiterhin an Bord des Schiffes wohnen und es auf seinen zukünftigen Flügen begleiten zu dürfen. Dieser Bitte hatte man gerne entsprochen, zumal er auf der Erde keinerlei Angehörigen mehr hatte und seine ewige Mätresse, die Weißrussin Svetlana Komarowa, nichts dagegen einzuwenden gehabt hatte, auch weiterhin an seiner Seite zu bleiben.

      Als wir aus dem Shuttle stiegen, brandete Applaus auf. Eine Blaskapelle spielte die Hymne der Union. Ein paar Ordonnanzen nahmen uns in Empfang und geleiteten uns auf die Tribüne. Dort schüttelten wir eine Viertelstunde lang Hände. Schließlich konnten wir Platz nehmen. Der Festakt konnte beginnen. Abgesandte der Union und der irdischen Stellen hielten Grußworte.

      Unter anderem sprach auch Gordon Kauffmann, der ehemalige Referent Seiner Eminenz des Kanzlers der Zivilregierung, der uns die persönlichen Grüße Cole Johnsons übermittelte. Er selbst, Kauffmann, wechselte als Attaché der Zivilregierung zur Union. Er würde uns also auf der MARQUIS DE LAPLACE erhalten bleiben und auch die Passage ins Horus-System mitmachen. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Johnson ihn mit dieser Aufgabe betraut hatte, um ihn los zu sein; er hatte ihn weggelobt. Allzu unverhohlen hatte Kauffmann sich während der sinesischen Krise seinen eigenen Ambitionen gewidmet und sich als potenzieller Nachfolger des Kanzlers ins Gespräch gebracht. Der hatte sich seiner jetzt auf ebenso probate wie elegante Weise entledigt.

      Dann kletterte General Rogers ans Rednerpult. Er hielt eine lange pathetische Ansprache, die unseren gesamten Werdegang rekapitulierte und der ich kaum mit einem halben Ohr folgte. Die gemeinsame Zeit auf der Akademie, die Anfänge der interstellaren Exploration, die Konflikte mit den Sinesern, die Verlegung der MARQUIS DE LAPLACE in den extragalaktischen Raum der sternarmen Korridore, unsere Kolonisierung der Eschata-Region, unsere Entdeckung der Dunklen Materie und unsere Verschleppung durch das rätselhafte Museumsschiff direkt in die Höhle des Löwen, nach Sina City, unsere Flucht und unsere wundersame Rückkehr zur Erde, schließlich die Aufstellung der neuen Flotte und die Schlacht um Sina, die mit der totalen Auslöschung dieser aggressiven Zivilisation geendet hatte.

      Die ganze Zeit sah ich diagonal über den riesigen Raum und die lauschende Menschenmenge hinweg zu einer zweiten, sehr viel kleineren Tribüne, die man vor einer der Seitenwände aufgeschlagen hatte. Dort wurde, als wäre es ein Ausstellungsstück auf einer Raumfahrtmesse, unser Shuttle präsentiert, das sinesische Shuttle, in dem wir aus Sina City geflohen waren und einmal die Reise um die Welt gemacht hatten. Wir hatten den Radianten des Universums darin ausgemessen. Und da stand es nun, in seiner geduckten, sonderbar gedrungenen Form, die an eine Insektenlarve erinnerte, die kurzen Stummelflügel eng an den stromlinienförmigen Rumpf gepresst, der hinten im charakteristischen stumpfen Dorn des Warptriebwerks auslief. Es war kaum größer als ein Mannschaftsbus. Seine Außenhaut aus KI-gesteuerten Polymeren schimmerte graugrün im Schein der Festbeleuchtung.

      Jennifer war meinem Blick gefolgt. Dann war ihr Auge ebenfalls lange mit warmem Glanz auf dem Shuttle gelegen. Unter dem Tisch berührte sie meine Hand.

      Dann sah ich wieder zu der kleinen Loge hinüber, auf der Wiszewsky in einem Thron aus rotem Samt saß und nach Art alter Leute mit dem Kopf nickte: Man wusste nicht, stimmte er dem Gesagten aus eigener leidvoller Lebenserfahrung zu – oder konnte er ganz einfach den greisen Schädel nicht mehr ruhig halten. Die Komarowa hockte auf einem Schemel neben ihm. Ab und zu wischte sie mit einem Lätzchen seine Mundwinkel. Der Alte schien ein wenig zu sabbern. Als sie bemerkte, dass wir zu ihr hinübersahen, winkte sie affektiert, wobei sie das Lätzchen als Fahne verwendete, die sie affig schwenkte. Jennifer, die sie seit Jahrzehnten hasste, wandte sich ab. Ich grüßte sie so distinguiert, wie es mir möglich war.

      Es schallten Fanfaren, wir mussten nach vorne, zu Rogers’ Rednerpult. Er schüttelte uns unter dem brandenden Beifall der Zehntausend die Hände, schloss uns in die Arme, klopfte uns auf die Schultern, brüllte uns launige Bemerkungen ins Ohr, die wir bei dem Lärm sowieso nicht verstanden; vermutlich war es besser so. Dann brachte er unsere neuen Schulterstücke an, überreichte uns die Ernennungsurkunden und führte uns offiziell in unsere neuen Ämter ein. Mir wurde die MARQUIS DE LAPLACE unterstellt, Jennifer wurde Erste Offizierin und bekam den Oberbefehl über die ENTHYMESIS-Flotte. Sowie die MARQUIS DE LAPLACE II fertiggestellt sein würde, würde sie als Kommandantin auf die dortige Brücke wechseln. Wir wurden beide in den militärischen Rang von Commodores befördert.

      Stundenlanges Händeschütteln schloss sich an. Und dann schob sich Laertes’ weißer Haarschopf durch die Menge. Der selbst ernannte Chefideologe zeigte sich heiter wie eh und je. An ihm schienen die Jahre und die dramatischen Ereignisse spurlos vorbeigegangen zu sein. Schon vor Jahrzehnten hatte er als graue Eminenz das riesige Schiff durchstreift, wo es sein konnte, dass er auf seinen philosophischen Spaziergängen für Tage oder Wochen verschwunden blieb. Dann kam er unvermittelt auf die Brücke und verwickelte einen in ein Fachgespräch über die Ontologie oder das Sphärenproblem, mit dem er sich während der letzten Zeit beschäftigt hatte. Besonders mit Jennifer unterhielt er sich gerne über die metaphysischen Aspekte der Prana-Bindu-Trance oder über scholastische Begriffsdefinitionen. Und so tauchte er auch jetzt ganz plötzlich auf und drückte uns die Hände, wobei sein würdevolles Haupt sich zu einem spitzbübischen Zwinkern neigte.

      Endlich wurde das Festbankett eröffnet, auf dem ich meinen knurrenden Magen besänftigen konnte. Schließlich Tanz und Feier, die sich über den gesamten Riesenstahlleib der MARQUIS DE LAPLACE ausbreiteten und bis in die Morgenstunden dauerten. Wie es bei solchen Anlässen zu gehen pflegt, hätten wir uns am liebsten mit unseren alten Freunden von der fliegenden Crew unterhalten, wurden aber hauptsächlich bei den Honoratioren weitergereicht. Wir begrüßten den Hohen Rat Xanda Salana, einen schöngeistigen, aber harmlosen Berufspolitiker, der mit Rogers den Kongress zu leiten haben würde, der aber eher ein Weinkenner und Kunstliebhaber als ein ernst zu nehmender Verhandlungsführer war. Zu seiner Entourage gehörte Staatssekretär Dr. Moran Flitebuca, dessen Haarschopf wirr um seinen länglichen Schädel hing. Er galt als Drahtzieher auf dem jungen Feld der interstellaren Politik und stand im Ruf, ein ausgebuffter Profi zu sein. Außerdem der gelbhäutige Kommissar Jorn Rankveil, ein völlig undurchschaubares Individuum. Sie alle redeten endlos auf uns ein. Ich verstand kein einziges Wort. Ab und zu boxte Jennifer mich in die Seite. Dann hatte ich wohl wieder mit allzu offenbarem Desinteresse in die Luft geschaut.

      Irgendwann fanden wir uns in unserer Kabine wieder, in der wir während der gemeinsamen Flüge manches Jahr verbracht hatten.

      Wieder standen wir vor dem Fenster, dem kleinen Bullauge aus polarisierendem Elastalglas. Noch trugen wir die Uniformen, die durchgeschwitzt und ramponiert waren. Der Wäscheservice würde sich daran beweisen können. Wir hielten schlanke Kelche in der Hand, in denen echter Champagner perlte. Nachdem wir die dröhnenden Ohren und die schmerzenden Augen im Anblick des schweigenden Neptun gekühlt hatten, wandten wir uns einander zu und stießen klingend an.

      »Gratuliere«, sagte Jennifer sanft. »Herr Commodore!«

      »Gratuliere«, gab ich zurück. »Frau Commodore.«

      Wir tranken einen Schluck.

      »Wie soll ich dich nennen?«, fragte ich. »Commodora, Commodorin, Mrs. Commodore?«

      Sie ließ ihren Kelch sich klirrend an dem meinen reiben, und ihr Mezzosopran vertiefte seine dunkle Färbung um einige Nuancen.

      »Sag einfach Darling«, gurrte sie.

      Sie leerte ihren Kelch und warf ihn in die offen stehende Lade unseres Serviceschranks. Dann begann sie, meine Uniformjacke aufzuknöpfen.

      »Was hast du heute Morgen gedacht?«, fragte sie.

      Ich wusste nicht, was sie meinte.

      »Als du meine neue Haartracht zur Kenntnis nahmst. Da wurde dein Blick für einen Moment ganz leer, als maltest du dir etwas aus.«

      Ich besann mich auf die appetitliche Vorstellung, die mich da überkommen hatte. Genüsslich trank ich mein Glas aus und folgte ihrem Beispiel. Dann machte ich mir an ihrer Uniform zu schaffen.

      »Dieses verklärte


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