Torus der Tloxi. Matthias Falke

Torus der Tloxi - Matthias Falke


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      »Erfolgt«, schnarrte das Kontinuum im selben Sekundenbruchteil.

      Jennifer drückte in gespielter Anerkennung die Unterlippe vor.

      »Vielen Dank«, sagte ich noch einmal. Und dann rang ich mir noch folgenden Satz ab: »Sie leisten großartige Arbeit. Die Union ist sehr stolz auf Sie!«

      Auch diesmal ließ die Antwort nicht lange auf sich warten.

      »Wir sind sehr stolz, Sie beide in unserem Bereich empfangen zu dürfen. Genießen Sie Ihren Flug!«

      Ein Summen der Automatik zeigte an, dass die Übertragung unterbrochen war.

      Dieser Austausch von Höflichkeiten, dachte ich, hat etwas Asiatisches. Verlassen kann man sich auf derartige Sympathien nicht. Ich erinnerte mich daran, was mir gestern Abend durch den Kopf gegangen war, als wir uns über die Tloxi unterhalten hatten. Sie haben schon einmal gemeutert und mitten in der Schlacht die Fronten gewechselt. Wer sagte uns, dass die Loyalität uns gegenüber dauerhafter war?

      Jennifer hatte die Steuerung an die Automatik übergeben, die den Koordinaten folgte, die vom Tloxi-Kontinuum bereitgestellt worden waren.

      Die ENTHYMESIS schlug einen Haken und beschrieb eine weit ausholende Schleife. Dann bogen wir, vom Bug her kommend, in die Längsachse der MARQUIS DE LAPLACE II ein. Bei gedrosseltem Tempo – langsam genug, dass wir uns alles ansehen konnten, aber auch zügig genug, dass man uns bald wieder los sein würde – glitten wir über den Torso des neuen Schiffes dahin. Jennifer war aufgestanden und an die große Panoramafront herangetreten. Außerdem hatte sie alle verfügbaren Außenkameras und Scanner der ENTHYMESIS auf ihr neues Mutterschiff ausgerichtet. Ich sah vor mir, wie sie in den kommenden Wochen, wenn wir an diesem langweiligen Kongress herumhingen, die Aufzeichnungen studierte und die Tage zählte, bis sie das herrliche Schiff endlich würde übernehmen können.

      Die Steuerungseinheiten in der elegant ausgezogenen Schnauze waren fertig, ebenso die großen Serviceeinrichtungen in den Segmenten II bis IV. Die Wohn- und Schlafmodule, die Gewächshäuser und Proteinfabriken. Die Werkstätten und die Recyclingstationen. Die Vergnügungsdecks und die verschiedenen Außenstellen der Planetarischen Abteilung, die über das ganze Schiff verteilt waren. Das Kleine Drohnendeck war noch halb offen. Man ahnte die kilometerlange Halle, in der einmal Shuttles, Drohnen und geflügelte Tloxi ein und aus gehen, gewartet und betankt werden und sich erneut durch die knisternden Kraftfelder, die die Atmosphäre im Inneren des Schiffes hielten, in den Raum hinauskatapultieren würden. Jenseits der großen Kupplung, die einmal zu Segment V führen würde, gähnte noch die Leere. Lediglich einige Gerüste zeichneten die einstigen Umrisse dessen, was hier entstehen würde, in den Raum. Und etliche Kilometer entfernt blitzten die Schweißarbeiten des Reaktorblocks, der weitgehend fertiggestellt zu sein schien. Von beiden Seiten arbeiteten die Montagetrupps sich aufeinander zu und schufen dabei den Rumpf eines gewaltigen Schiffes, das in nicht allzu ferner Zukunft Jennifers Kommando unterstehen würde.

      Die drei gewaltigen Dorne des Haupttriebwerks glitten unter uns hindurch – jeder einzelne um ein Vielfaches größer als die ENTHYMESIS – und sanken nach achtern ab. Wir schwebten in den freien Raum hinaus. Ein Klicken der Automatik verkündete, dass die Tloxi-Steuerung offline gegangen war und dass der Explorer auf neue Kursvorgaben wartete. Es wurde ganz still auf der kleinen Brücke.

      Jennifer stand noch immer an der Scheibe und starrte hinaus, obwohl dort außer einigen Servicedrohnen nichts mehr zu sehen war. Ich sah ihr Profil, das hager und asketisch wirkte. Ihr Hals und ihre Wangen hatten etwas Ausgemergeltes, von dem ich mir nicht einzureden vermochte, dass es ausschließlich an der neuen Frisur lag. Ihr Blick war düster und in sich gekehrt. Plagten sie irgendwelche Vorahnungen?

      Ein Thema, das wir bei den Vorbesprechungen – im offiziellen wie auch im privaten Rahmen – stets umgangen hatten, war die Tatsache, dass wir langen Zeiten der Trennung entgegensahen, wenn jeder sein eigenes Kommando hatte. Den Oberbefehl über ein Schiff der III. Generation, über eine MARQUIS DE LAPLACE – die bislang immer nur im Singular und mit dem bestimmten Artikel existiert hatte –, ließ man sich nicht entgehen. Ein solches Angebot auszuschlagen, war etwas, was nicht zur Diskussion stand. Und nun waren wir in der komfortablen und ein wenig peinlichen Situation, dass wir beide vor der Erfüllung unserer Wünsche standen, beide den Traum eines jeden Mitgliedes der fliegenden Crew wahr machen konnten. Nur konnten wir es nicht gemeinsam. Dass einer von uns beiden zurückzog und sich als Subkommandeur dem anderen unterstellte, war undenkbar. Allein schon, weil der jeweils andere es ihm nicht gestattet hätte. Ein Leben lang hatten wir auf dieses Ziel hingearbeitet. Jahrzehnte der interstellaren Exploration hatten in letzter Konsequenz diesem Zweck gedient. Einen furchtbaren Krieg hatten wir dafür durchgefochten. Nun konnten wir uns nicht durchgehen lassen, vor dem letzten Schritt zurückzuschrecken. Dass wir beide in diesen höchsten Genuss kommen würden, der einem Offizier der Union vorstellbar war, hatten wir uns selbst noch vor wenigen Jahren nicht träumen lassen. Als die Pläne zum Bau der beiden Schwesterschiffe aufkamen, hatten wir uns kaum dafür interessiert. Unser Schiff war die MARQUIS DE LAPLACE, die MARQUIS DE LAPLACE. Und als die ersten Gerüchte über einen bevorstehenden Kommandeurswechsel die Runde machten, hatten wir uns angesprochen gefühlt, aber jeder hatte den anderen für den Favoriten gehalten.

      Dass ich auf der Karriereleiter stets eine Sprosse über Jennifer gestanden hatte, war schlicht und ergreifend der Tatsache geschuldet, dass ich ein paar Jahre älter war als sie. Ich war schon auf der Akademie mit einem gewissen Vorsprung ins Rennen gegangen, und dabei war es während all der Jahre geblieben. Durchgefochten hatten wir immer alles gemeinsam. Und dass sie die beste Pilotin war, die die Union jemals in ihren Reihen gesehen hatte, wurde von niemandem bestritten. Wenn ein Platz zu vergeben gewesen wäre, hätte er ihr zugestanden. Aber nun waren es zwei. Sogar drei. Aber wer einmal den Oberbefehl über die MARQUIS DE LAPLACE III führen würde, stand noch in den Sternen.

      Auch der Termin, zu dem wir unterwegs waren, war geheim. Die Vorgänge hier draußen hatten uns nicht interessiert. Erst als jene ominöse Nachricht Dr. Rogers’ eingetroffen war, hatte sich alles geändert.

      »Erwarte euch im Neptunhimmel«, hatte er in altertümelndem Telegrammstil gefunkt. Und vage Andeutungen hatten sich angeschlossen, die unsere kühnsten Hoffnungen übertrafen. Jetzt waren wir hier. Ein Gutes hatte der bevorstehende Kongress. Wir würden für die Dauer der Verhandlungen noch zusammenbleiben können.

      Jennifer kehrte an den Hauptbedienplatz zurück und nahm ihre Konsole wieder in Besitz.

      »Kurs aufs Mutterschiff«, befahl sie der Automatik.

      Dann schossen wir, während sich unter uns die blaugrünen Methanwolken der Neptunatmosphäre drehten, in den Raum hinaus. Wieder dauerte es nur ein paar Augenblicke, bis erneut die Bremsraketen ansprachen und unseren Flug verzögerten. Und in diesem Moment war es wie Heimkommen: Vor uns lag das größte Schiff der Menschheit, das Flaggschiff der Union, der gebeutelte Veteran der Schlachten von Persephone und Sina, vor uns lag die MARQUIS DE LAPLACE.

      Wir gingen längsseits und reihten uns in den Parkraum ein, wo auch schon die drei anderen ENTHYMESIS-Explorer und einige andere große Shuttles und Lambdadrohnen schwebten. Man musste das Große Drohnendeck vollständig ausgeräumt und leer gefegt haben. Ich spürte, wie mir mulmig wurde. In diesem Augenblick hätte ich doch lieber ein richtiges Frühstück im Magen gehabt statt des fahlen Maschinenkaffees, der mir schon jetzt wässrig aufstieß.

      Mit dem Shuttle überwanden wir den halben Kilometer. Dann schwebten wir aufs große Drohnendeck der MARQUIS DE LAPLACE ein. Meine schlimmsten Befürchtungen wurden übertroffen. An der Stirnseite der anderthalb Kilometer langen Halle hatte man eine wuchtige Tribüne aufgebaut, auf der die Honoratioren beider Stäbe und einige Abgesandte der irdischen Stellen Hof hielten. Das Parkett, auf dem für gewöhnlich Triebwerke getestet und Drohnen gewartet wurden, bevölkerten die zehntausend Mitarbeiter, die Kameraden von der fliegenden Crew und die Kollegen der planetarischen Abteilung, die Einwohner der kleinstadtstarken Gemeinde, die die MARQUIS DE LAPLACE war.

      Eine Abordnung der Tloxi, nach unseren Begriffen ein halbes Bataillon, stand regungslos Spalier.

      Und in einer kleinen Loge, am Rande des Geschehens, erkannte ich Commodore


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