Im Paradies des Teufels. Klaus-Peter Enghardt
der Küche abliefern. Zum Duschen war ich zu dieser Stunde allerdings zu müde und so wurde nur eine „Katzenwäsche“ abgehalten und das Gepäck verstaut.
Ich war inzwischen vierundzwanzig Stunden auf den Beinen und physisch völlig ausgelaugt. Glücklicherweise konnte ich ausschlafen, ehe ich die nächsten zehn Wochen in Angriff nahm.
Mein erster Arbeitstag nach dem Urlaub bescherte mir einige neue ägyptische Arbeitskräfte, die ich einarbeiten musste. Darunter befanden sich auch ein Vater und sein Sohn. Der Vater hieß Mutawa, der Sohn Ali. Der Vater hatte eine starke Sehschwäche, trug aber trotz seines Handicaps keine Brille. Er wurde von allen Monteuren „der Blinde“ genannt. Das war nicht böse gemeint und wurde von Mutawa auch nicht übel genommen.
Mir war allerdings schleierhaft, wer den Vater eingestellt hatte, denn derjenige musste auch blind gewesen sein.
Mutawa hatte den Intelligenzgrad eines Kleinkindes, man musste ihm jede Arbeit ellenlang erklären. Meist war es dann immer noch falsch und das kostete Nerven.
Allerdings war der Mann sehr gutmütig. Ich suchte für ihn also Arbeiten aus, die niemand gern erledigen wollte und bei denen es nicht viel falsch zu machen gab, zum Beispiel Schrauben und Muttern einsammeln und sortieren, die entweder beim Montieren heruntergefallen waren oder aus defekten Collies fielen. Diese Arbeit verrichtete Mutawa mit Inbrunst, stets trug er leere Schraubensäcke mit sich herum, in die er die verschiedenen Teile hineinsortierte. Die Säcke hängte er an einen Schaufelstiel, den er dann über seiner Schulter trug.
Bevor er in unserer Firma zu arbeiten begann, war er bereits ein Jahr bei anderen Firmen im Irak tätig und trug seitdem sein gesamtes gespartes Geld in einem Brustbeutel mit sich herum. Ein paar Mal sahen wir ihn in irgendeiner Ecke stehen und sein Geld zählen. Immer wieder blickte er sich dabei um, ob er auch unbeobachtet war, doch er ahnte nicht, wie viele Augen ihn beim Geldzählen verfolgten.
Zunächst amüsierten wir uns noch über seine Marotte, aber schließlich warnten wir ihn doch eindringlich, sein Geld nicht mit sich herumzutragen, sondern es auf eine Bank in Ägypten zu überweisen, doch davon wollte er nichts hören.
Mutawa machte mit Vorliebe kleine Geschäfte mit den deutschen Monteuren. Dabei kaufte er Socken, Unterwäsche, Hemden und andere Dinge von ihnen und verscherbelte die Sachen dann an seine ägyptischen Arbeitskollegen weiter. Besonders gute Geschäfte konnte er abschließen, wenn ein Monteur in den Urlaub flog oder gar seine Endausreise machte und froh war, die ganzen Sachen, die sich im Laufe der Monate oder gar Jahre angesammelt hatten, nicht wieder mit nach Hause nehmen zu müssen. Ganz besonders wild war Mutawa nach Taschenuhren.
Die meisten Monteure trugen diese Uhren am Arbeitsplatz, weil Armbanduhren während der Arbeit unbequem waren.
Jedem Monteur ging Mutawa auf die Nerven, ihm doch seine Uhr zu überlassen, vor allem, wenn er wusste, das der Monteur in der nächsten Zeit nach Hause fuhr.
Diese Taschenuhren kosteten in Deutschland sechs oder sieben Mark, sie waren nicht wasserdicht und gingen auch nicht sehr genau. Mutawa jedoch legte Wert auf wasserdichte Taschenuhren, also versicherten wir ihm beim Verkauf, dass unsere Uhren „very waterproof“ wären oder auf Arabisch „maja maku mushkylle“ – Wasser ist kein Problem! Wir konnten das mit ruhigem Gewissen sagen, denn bis es wieder einmal regnete, würden noch Monate vergehen.
Nun ergab es sich eines Tages, dass Mutawa von einigen Monteuren ein paar Taschenuhren ergattert hatte, natürlich alle „wasserdicht“. Das wollte er nun kontrollieren und das war für uns nicht vorhersehbar gewesen. Scheinbar war er doch nicht so einfältig, wie wir geglaubt hatten. Er nahm drei oder vier seiner Uhren und hing sie in eine Wassertonne, zwei trug er noch in der Hosentasche.
Wir hatten das Schlitzohr wohl unterschätzt, haben uns vor Vergnügen allerdings fast auf die Erde geworfen, und freuten uns bereits auf das nun unausweichliche Theater.
Als er die Uhren nach einer Weile wieder aus dem Wasser holte, stand das Wasser hinter den Glasscheiben der Uhren und es rührte sich bei ihnen kein Zeiger mehr. Nun wollte er von den Monteuren sein Geld zurück haben und beschimpfte sie in unendlichen Wortkanonaden, unter anderem als „Ali Baba“, was so viel wie „Dieb“ oder „Betrüger“ bedeutete.
Jeder der Monteure versicherte allerdings, dass ausgerechnet eine der beiden intakten Uhren in Mutawas Hosentasche von ihm wäre und dass Mutawa sie ruhig in das Wasser hinein hängen könnte.
Doch soweit ging die Dummheit von ihm nun auch wieder nicht und bei allem Verlustgeschäft wollte er wenigstens die beiden letzten Uhren retten.
Tagelang versuchte er, von den Monteuren sein Geld einzutreiben, aber irgendwann merkte er, dass er damit kein Glück hatte und gab es auf. Mir tat Mutawa ein wenig leid, aber den Verlust der Uhren schlug er mit Sicherheit auf seine anderen Waren um und gab sie an seine ägyptischen Kunden weiter. Insofern war wohl auch Mutawa ein „Ali Baba“.
Ab sofort ließ er seine Finger jedoch von den Uhrengeschäften.
Eines Abends war ich von Mohammed zum Feierabendtee eingeladen worden.
Er war sichtlich erfreut, mich nach meinem Urlaub wieder auf der Baustelle zu sehen.
Zwischen uns hatte sich in den letzten Wochen eine stille Freundschaft entwickelt, die keiner dem anderen mit Worten eingestand, doch wir spürten die gegenseitige Sympathie und genossen die Stunden, in denen wir uns von unseren unterschiedlichen Kulturen erzählten und der eine vom anderen lernte. Seine väterliche ruhige Art, sein Auftreten und vor allem aber sein Aussehen, die langen weißen Haare und sein gepflegter weißer Vollbart, waren ungewöhnlich für einen einfachen Arbeiter. Immer wieder begeisterte mich sein Wissen, egal ob das tagespolitische Themen betraf oder einfach nur den nächtlichen Sternenhimmel anbelangte. Es gab kaum ein Thema, über das ich mich nicht mit ihm unterhalten konnte. Und da ich seit meiner Kinderzeit schon immer sehr wissbegierig war und mir das bis zum heutigen Tag erhalten konnte, hatten wir beide uns gesucht und gefunden. So freute ich mich auch an jenem Abend auf unsere Gespräche.
Nach dem Duschen und dem Abendessen machte ich mich auf den Weg zu Mohammed.
Im Camp der Ägypter angekommen, wurde ich von allen mit großem „Hallo“ empfangen. Es war wie immer, jeder wollte mir etwas Gutes tun. Der eine bot mir eine Zigarette an, ein anderer eine Cola, wieder ein anderer wollte mich zu einem Tee einladen, der nächste hatte sich gerade das Essen bereitet und wollte es mit mir teilen.
Endlich hatte ich mich bis zu Mohammed durchgekämpft und wir umarmten uns zur Begrüßung, obwohl wir uns noch vor Stunden auf der Arbeit gesehen hatten. Wie immer bot mir Mohammed eine Zigarette und ein Glas Schwarztee an, allerdings musste man mit diesem Tee sehr vorsichtig umgehen.
Ein Glas des Tees wirkte beruhigend und der bittersüße Geschmack machte Appetit auf mehr. Mehrere Gläschen machten das Gebräu jedoch zur Waffe. Nur die härteste Konstitution überlebte sechs bis acht, denn so viel wurden es meistens, allerdings saß ich dann die halbe Nacht aufrecht im Bett und schwor, dass ich nie mehr so viel Tee hintereinander trinken würde.
Nun konnte es allerdings auch sein, dass der eine oder andere Whisky ebenfalls ein wenig zu meiner Schlaflosigkeit beigetragen hatte. Das Herz schlug mir jedenfalls bis zum Hals und ich war am Morgen froh, dass ich die Nacht schadlos überstanden hatte.
Nach der ersten Zigarette und dem ersten Tee jenes Abends gingen wir hinaus und setzten uns auf eine Bank, um uns zu unterhalten. Allerdings wollten nun die anderen Ägypter auch an unserer Runde teilhaben und machten mir zu Ehren ein paar Kunststücke.
Ich kam mir ein wenig wie in einem Kinderzirkus vor.
Einer der Ägypter machte einen Handstand auf einem Stuhl, der Nächste balanciert einen Besen auf dem Kinn, wieder ein anderer machte auf der Straße einige Überschläge und ein besonders talentierter Ägypter jonglierte mit vier Apfelsinen, es war irgendwie unwirklich.
Nachdem ich ausreichend Beifall gespendet hatte, konnte ich mich nun endlich mit Mohammed unterhalten.
Ich holte rasch noch eine Flasche Whisky, eine Flasche Wasser und eine Schachtel meiner Lieblingszigaretten, deren Markenzeichen das Konterfei