Eine färöische Kindheit. Amy Fuglø

Eine färöische Kindheit - Amy Fuglø


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vom Licht des Sonnenuntergangs hinter dem Villingadalsfjall. Die spröden, melodischen Töne inspirierten die Jugendlichen zu Versen und färöischen Liedern. Es herrschte Leben rund um den großen Stein. Es hieß, dass der Stein Zauber enthielte. Ein Mann kam schwankend den Pfad hoch. Er sang fröhlich und schwang lustig eine Flasche. Er kniete sich neben den großen Stein, und während die Jugendlichen zusahen, legte er die Hand auf den Stein und forderte: „Öffne dich, öffne dich.“ Die Worte waren auf Dänisch mit starkem färöischem Akzent. „Denn huldufólk, Trolle, müssen auf Dänisch angesprochen werden“, sagte er. Nichts geschah und die Jugendlichen sangen und spielten weiter.

       Skizze des Hauses, das Jóanis baute. Das Elternhaus der sieben Geschwister.

      Auf dem Gipfel des Malinsfjalls lagen immer noch Schneewehen, und die letzten Strahlen der Abendsonne ließen den Schnee leuchtend rotorange gegen den dunklen, roten Hintergrund des Berges scheinen. Ein roter Widerschein der untergehenden Sonne.

      Der Villingadalsfjall stand im Schatten wie eine dunkle scharfe Silhouette gegen den helleren Himmel.

      Vogelgezwitscher erklang die ganze helle Nacht. Der Regenbrachvogel, der Goldregenpfeifer und die Bekassine (spógvi, lógv, mýrisnípa) waren einige der charakteristischsten Vögel.

      Der Wind hatte sich gelegt, man spürte nicht die eiskalte Luft. Es biss ein wenig in der Nase, und der Atem wurde zu weißem Dampf. Die Erwachsenen genossen die Abendstimmung und die Farben, sie besuchten sich gegenseitig, es wurde Tee und Selbstgebackenes serviert. Man plauderte und erzählte sich Geschichten.

      Die Kinder wollten nicht ins Bett und niemand zwang sie. Das Leben war einfach nur schön.

      Dies war der echte, färöische Sommer. Das Dorf lag im Schatten, die Sonne ging nordnordwestlich im Atlantik unter, um in wenigen Stunden wieder nordnordöstlich am Horizont aufzusteigen, nördlich von Fugloy. Der Himmel blieb hell und sternenlos. Es war die Zeit der hellen Nächte. Die Jahreszeit ohne Petroleumlampen.

      Dieser wunderschöne Sommer, wo die Natur Schönheit und Frieden atmete.

       Torf – Erlebnisse – Wärme

      Sigrid erwachte.

      Hahnenschrei und ihre innere Uhr weckten sie um fünf. Es war völlig hell. Die Sonne schien durch den Gardinenschlitz. Sie drehte sich vorsichtig im Bett um, um ihre große Schwester, Schwester genannt, nicht zu wecken, die mit tiefen Atemzügen schlief. Deshalb lag sie ganz still und lauschte den Geräuschen, die durch die dünnen Holzwände des Hauses drangen.

      Die Hähne im Dorf krähten und antworten einander. Es hieß, dass sich die Hühner mit einem Hahn im Hühnerhof am wohlsten fühlten und mehr Eier legten. Sigrid war morgens immer gut aufgelegt, im Gegensatz zu Schwester, der es schwerfiel aufzuwachen. Sie war die Erste, die zu Bett ging, da sie abends müde war. Zu den sanften Klängen der Harmonika war sie in den Schlaf gefallen. Sie schlief in der Kammer, die zum Pfad und dem großen Stein hin lag. Sigrid liebte die Harmonika, das einzige Musikinstrument der Dorfbewohner.

      Sie erinnerte sich an die Abmachung, am Morgen mit zum Torfstechen zu gehen und freute sich darauf, obwohl sie erst fünf Jahre alt war. Am 10. August wurde sie sechs.

      Der flötende Morgengesang der Vögel war das schönste, das sie kannte. Die Aneinanderreihung schwirrender Töne des Brachvogels, die abwärtsgehenden tiefen Töne der Bekassine. Das klip-klip des tjaldur, des Austernfischers, erweckte Frühlings- und Sommergefühle im Herzen.

      Die Dachbodentreppe knarrte. Es war Vater, der früh zum Bootshaus wollte, das in der Ostbucht lag. Er wollte das Boot teeren und es für den nächsten Fischfang bereitmachen. Das Netz musste ausgebessert und die Leinen repariert werden. Sie hörte ihn im Keller poltern, er suchte etwas, das er mitnehmen wollte. Sigrid stand auf und zog sich an.

      Bevor sie die Haustür öffnete, um in den Keller zu gehen, hörte sie die pfeifenden Stare, die emsig am alten Nistkasten, der am Schuppen hing, zugange waren.

      Sie ging hinaus und um das Haus herum. Dort glaubte sie, eine kleine Maus zwischen den Steinwällen huschen zu sehen. Doch es war keine, sondern der kleinste Vogel des Dorfes, graubraun mit Stupsschwanz: músabróður, der Zaunkönig. Er ließ seine eindringliche Stimme, ein kräftiges charakteristisches Trillern, erklingen. Sein kugelrundes Nest hatte er tief in den Steinen versteckt, so dass man nicht herankam. Ein anderer kleiner, gräulicher Vogel wohnte ebenfalls in den Steinmauern, gewöhnlich in einem Meter Höhe. Er bewegte sich ruckend und stieß kleine Warnrufe aus. Es war der steinstólpa, der Steinschmätzer, dessen Nest mit Jungen man eher finden konnte.

      Weiter unten am Pfad sah Sigrid einen hübschen kleinen Vogel, weiß und grau, mit schwarzer Zeichnung und langem, wippendem Schwanz. Das war die Bachstelze, die im Färöischen den vornehmen, königlichen Namen Erla Kongsdóttir trägt.

      Sigrid liebte Vögel, sie atmete die morgendliche Luft ein und ging in den Keller. Erst musste sie auf das nátthúskassi, das Plumpsklo, hinter dem Schornstein im Keller.

      Sie grüßte Vater. Er sammelte Eier ein, denn Mutter sollte für jeden eins kochen, um es mit auf den Ausflug ins Tal zu nehmen.

      Die Hühner waren bereits hinausgegangen, sie liefen frei herum und grasten. Durch das Gras bekam das Eigelb eine hübsche dunkelgelbe Farbe. Sie gab den Hühnern Körner und goss frisches Wasser in die Schale.

      Sigrid mochte keine Eier und würde ihres einem der Brüder geben. Sie erinnerte sich, wie sie welche essen musste, bis sie sich schließlich übergab. Seitdem konnte sie keine gekochten Eier ausstehen, ein Gefühl, das sie nie loswurde.

      Alle im Dorf genossen den Sommer, während sie gleichzeitig hart arbeiten mussten, um zu überleben. Es war Anfang Juni. Die vier ältesten Kinder hatten Schulferien bekommen, um beim Torfstechen zu helfen. Das Haus erwachte zum Leben, die Kinder zogen sich an, plauderten und lachten, freuten sich über die Schulferien. Sie genossen das freie und gemütliche Familienleben, wenn sie im Torf arbeiteten. Anna kümmerte sich um Proviant für den Trupp. Er bestand aus tjógv, getrocknetem Lammschenkel, einem Laib selbst gebackenem Schwarzbrot, Eiern, Margarine, Salz und zwei Trockenfischen. Anna hatte am Vortag einen Kardamomkuchen gebacken, damit es am Nachmittag etwas Leckeres gab.

      Als Letzte stand die vierzehnjährige Schwester auf, die morgens immer so müde war.

      Sie ging nie gerne in den Keller, um zu machen. Aus Gewohnheit machte sie ihren Stuhlgang im Nachttopf, der in der Kammer auf dem Bett stand. Ein kurzes, sehr dickes Stück. Es sah immer gleich aus.

      „Sigrid, komm her und leer den Nachttopf aus.“ Sigrid gehorchte.

      Ness schaute in den Topf und lachte schallend. „Jetzt wird geleert, jetzt wird die Tonne geleert.“

      Anna hatte Borghild, die im August zwei wurde, die Windeln gewechselt und sie hübsch angezogen. Ihre Schwester Sára sollte heute auf Borghild aufpassen. Um zehn Uhr waren alle bereit. Henry, der älteste der Jungen, trug Borghild in seinem leypur1auf dem Rücken.

      Unterwegs kamen sie an Sáras Haus vorbei, wo sie Borghild abgaben. Alle Kinder freuten sich, Tante Sára oder Sáragumma, wie sie sie nannten, zu sehen. Sára war immer so lustig, fröhlich und heiter, viel lustiger als Mutter. Stolz wie eine Henne mit ihren Küken, kam Anna mit ihrer Kinderschar aus Uppi við Garð, das in der nordwestlichsten Ecke lag, und lief die drei Kilometer quer durch das ganze Dorf, um zum Torftal Richtung Südosten zu gelangen. Sie hatte viele Kinder und hielt den Rücken gerade, wohl wissend, dass Augen hinter den Gardinen und Pelargonienblumentöpfen ihr und den Kindern folgten. Die Jungen trugen das Essen in kleineren leypar auf dem Rücken. Sie liefen fröhlich vorneweg. Ness war ernst und Aksel wuchs nie aus dem Spielalter heraus.

      Sie machten einen rund sieben Kilometer langen Spaziergang.


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