Eine färöische Kindheit. Amy Fuglø
nicht besser zu arbeiten. Mädchen sollen heiraten. Sie sollen eine Familie gründen und für das Überleben der nächsten Generation sorgen. Dafür braucht man keinen Schulbesuch. Doch er ging trotzdem.
Ganz oben hielten sie an, jeder setzte sich auf einen Stein. Sie hatten den Pass erreicht.
Gegen Süden erhob sich der pyramidenförmige Skælingur und gegen Norden ein Berg, der Sátan hieß, was Heuhaufen bedeutet. Er war oben rund wie ein Heuhaufen, nicht kantig wie der Skælingur. Die Aussicht nach Osten und Westen war grandios mit Bergspitzen, Tälern, dem Meer und Inseln. Nachdem sie ihren Hunger und Durst gestillt hatten, gingen sie weiter. Jetzt ging es den Abhang hinunter, was sich in den Oberschenkeln bemerkbar machte.
Vater und Töchter erreichten nach mehreren Stunden das Dorf Kollafjørður, wo sie Verwandte hatten. Hier sollten Anna und Sára eine Weile wohnen, um in die Schule zu gehen. Sie lernten lesen und schreiben, und sie lernten die Zahlen. Insgesamt besuchten sie die Schule zwei Jahre lang, bevor sie konfirmiert wurden.
Als junge Mädchen wünschten sie sich, andere in ihrem Alter zu treffen. Sie träumten davon zu heiraten und ihre eigene Familie zu gründen. Die Eltern ließen die Mädchen ziehen. Anna und Sára reisten von zu Hause fort, hinaus ins Unbekannte. Sie kamen in das nördlichste Dorf mit der rauen, wunderschönen Natur und dem hohen, pyramidenförmigen Berg. Wie zu Hause, sagten sie, als sie den Berg sahen. Hier gehörten sie hin.
Jede bekam eine Stelle als Dienstmädchen bei einer Familie. Anna sollte beim Schmied arbeiten. Sie waren beide gut erzogen, fleißig und strebsam. Die Welt hatte sich für sie geöffnet.
Die ersten Wikinger
Einst vor vielen hundert Jahren …
Es war Sommer, Tag und Nacht war es hell und das Meer spiegelglatt. Ein warmer Tag mit blauem Himmel. Das Boot mit den Segeln umrundete die Landspitze. Die Männer mussten mit den Rudern helfen. Sie waren wettergegerbt und vollbärtig. Das rötliche Haar von der Sonne ausgeblichen, die helle Haut sommersprossig und von der Sonne auf dem Meer verbrannt. Sie waren um die felsigen Inseln gesegelt und zur nördlichsten Insel mit der kleinen Bucht Richtung Osten gekommen, wo man an Land gehen konnte. Wetter, Wind und Brandung hatten diese Bucht gebildet, bei der man bei gutem Wetter an Land gehen konnte. Die Bucht erzählte stumm von den enormen Kräften des Meeres.
Die Männer betraten das Land.
Von Osten nach Westen erstreckte sich ein drei Kilometer langes, flaches, niedriges Tal, das im Westen zum offenen Meer in einer felsigen Bucht endete. Dieses Tal war die schmalste Stelle der Insel. Zu beiden Seiten dieses grünen Tales erhoben sich 800 Meter hohe, wilde Berge nach Norden und Süden. Nichts ist grüner als das Sommergras auf den Färöern. Hier konnte man Schafe und Kühe halten, es gab jede Menge Gras, das Meer war voller Fisch, konnte man sich mehr wünschen?
Irgendwann ließ sich eine kleine Gruppe Menschen in diesem Teil nieder, auf dieser schroffen, einsamen Insel, Viðoy, mitten im Atlantik. Sie hielten Schafe, die sich hier wohl fühlten. Die Berge hatten über Jahrtausende Unmengen großer Steine und Felsbrocken über das Tal und die Abhänge verteilt, hagi genannt – die Außenmark, unkultiviertes Land. Die Männer verwendeten die Steine, um niedrige Häuser mit Grasdächern zu bauen. Die Häuser wurden eins mit den Felswänden, die sie vor Wind und Wetter schützten. Sie waren warm und trocken und hatten ein Loch im Dach, damit der Rauch von der Feuerstelle hinausziehen und frische Luft hineinkommen konnte. Eine Kirche wurde am westlichen Rand des Tales gebaut, der Kirchturm nach Westen gerichtet, wo die Sonne unterging.
Hier im Tal lebten sie, hier bekamen sie ihre Nachkommen, hier starben sie und wurden auf dem Friedhof begraben. Generation folgte auf Generation. Im Färöischen sagt man: Generation auf Generation sinkt in die Erde.
1584. Im Jahre 1584 gab es auf Viðoy drei Höfe. Zu der Zeit hießen alle drei Hofbesitzer Joensen mit Nachnamen. Man weiß nicht, ob sie alle Brüder waren oder einer Familie angehörten. Vielleicht waren sie nur zufälligerweise Söhne von Vätern mit dem Namen Joen oder Jógvan, die von der Reformation profitiert und einen größeren Anteil am Erbe erhalten hatten, wie es damals Brauch war.
1834. Der Königshof í Innistovu lag oben im nordwestlichen Ortsteil Uppi við Garð (Bei den Steinwällen).
Ich konnte den Namen Innistova bis ins Jahr 1834 zurückverfolgen. (Im Buch „Tey byggja land“ von J. Símun Hansen.)
Wurzeln II
1813 wurde Joen Jensen, Jógvan genannt, geboren (Sigrids Urgroßvater).
Er wurde Königsbauer.
Er heiratete die zwölf Jahre jüngere Malene Elisabeth Petersdatter.
1849 wurde ihre Tochter Sigga Malena Joensdatter geboren.
1851 wurde ihr erster Sohn, Jens Joensen, Janus genannt, geboren.
Janus war Erbe des Königshofes (Sigrids Großvater).
1852 wurde ihr Sohn Jacob Peter Joensen geboren.
1855 wurde ihre Tochter Birte Marie Joensdatter geboren.
1861 wurde ihr Sohn Daniel Johannes Joensen geboren.
1875 starb (Urgroßvater) Jógvan im Alter von 62 Jahren bei einem Unfall.
Er und Malene hatten fünf Kinder; Daniel war erst vierzehn Jahre alt. Der Sohn Janus wurde im Alter von 24 Erbe des Hofes.
1876: Erst 25 Jahre alt, bekam Janus den Königshof í Innistovu übertragen.
Janus’ Leben als Königsbauer begann.
Von nun an wurde er nur noch Janus í Innistovu genannt.
1877 heiratete Janus í Innistovu Birthe Margrethe, genannt Birita úti á Laðnum (Sigrids Urgroßeltern).
Im gleichen Jahr wurde ihr Sohn Jógvan geboren. Er würde den Hof erben. 1879 brachte Birita wieder einen hübschen Sohn zur Welt, der Johannes Absalon getauft wurde. Doch er starb mit zwei Jahren.
Am 6. Juli 1882 brachte Birita ihren dritten Sohn zur Welt, der nach seinem verstorbenen Bruder genannt wurde und den Namen Johannes Marius Absalon Fredrik Joensen bekam. Später Jóanis í Innistovu genannt (Sigrids Vater).
Das war der Name, unter dem Jóanis sein Leben lang bekannt war. Sogar jetzt noch, wenn die Familie erwähnt wird, benutzt man diesen Namen.
Janus’ und Biritas nächste Kinder hießen: Peter Jacob, geboren 1884, Johanna, geboren 1892, starb jung, Elisabeth Johanna Sophia, Betta genannt, geboren 1901.
Jóanis (Sigrids Vater) wuchs auf dem Hof í Innistovu auf. Er war ein aktiver, geschickter Junge. Von Natur aus zuverlässig, aber nicht sehr gesprächig. Er hatte angeborene Fähigkeiten als Wettermann und war praktisch veranlagt. Er war gedrungen, muskulös und sehr kräftig, obwohl er nicht sehr groß war. Auch war er attraktiv, ehrlich und sehr beliebt.
Der Vater Janus war hauptsächlich Königsbauer und Steinmetz. Früh lernten seine Söhne Jógvan und Jóanis das Steinmetzhandwerk von ihm und halfen mit.
Eine Berufung – Steinmetz und Bauer
Janus í Innistovu machte das Land urbar. Seinen Rufnamen bekam er nach dem Königshof. Im Kirchenbuch stand als Nachname Joensen.
Früh am Morgen konnte man den Königsbauern Janus auf dem Weg zu seiner Außenmark sehen, die nach Nordwesten hin dem Dorf am nächsten war. Ein kleiner, heiterer, gedrungener, breiter Mann mit enormen Kräften. Er trug einen kurzen Vollbart und seine färöische Mütze, aus Naturfarben und brauner Wolle gewebt, sah wie festgeklebt auf seinem Kopf aus.