Eine färöische Kindheit. Amy Fuglø
Diese färben die Gesteinsmassen dunkel und hell, grünlich und rötlich. Das menschliche Auge erkennt weitere Farbveränderungen im wechselnden Licht der Natur. Als die Erdkruste und die Vulkane zur Ruhe kamen, legte sich die Eiszeit mit festem Griff um die Inseln. Die Eismassen scheuerten, schliffen und zerrten auf ihrem Weg an den Inseln, so dass nur das stärkste Material überleben konnte und über der Meeresoberfläche blieb. Die Eiszeit hinterließ eine zerklüftete Inselgruppe mit Sunden, Fjorden, engen Passagen und durchlöcherten Vorgebirgen. Die Meeresströmung versuchte, das zu untergraben, was das Eis zurückließ.
Es ist möglich, dass es in der Entstehung der Inseln lange, ruhige Perioden mit reicher Vegetation und Wärme gegeben hat. Davon zeugen Kohlevorkommen auf Suðuroy. Einst gab es hier große Wälder im warmen Klima. Auf den Färöern fällt mehr als doppelt so viel Regen wie in Dänemark. Doch was das Meteorologische Institut nicht beschreiben kann, ist das wunderschöne, wechselnde Licht über den grünen Abhängen. Oder die einzigartige Sicht, wenn man von einem Bergrücken auf die anderen Inseln hinübersieht, die vor wenigen Minuten in wolligem, grauem Nebel verborgen waren. Felsformationen und Inseln tauchen plötzlich in flimmerndem sommerlichem Licht auf.
Es gibt nur wenige völlig wolkenlose Tage, doch es gibt sie. Im Sommer wird es nie wirklich drückend warm. Der Winter ist milder als in Dänemark. Längere Frostperioden sind selten, und der Schnee liegt in der Regel nur ein paar Tage auf den Bergen. Der Golfstrom schickt warmes Wasser die Inseln entlang und mildert die Luft für die geschorenen Schafe. Die Schafe müssen den ganzen Winter draußen klarkommen. Die Launen des Meeres und der Luft haben über Jahrhunderte die Inselbewohner beeinflusst. Sie konnten nie wissen, wann es möglich war, eine Verabredung einzuhalten oder wann man etwas erledigen konnte. Sie mussten erst Wind und Wetter sehen.
Tief verwurzelter Respekt für die Allmacht der Natur liegt im Charakter des Färingers.
Es kann äußerst schwierig sein, Antwort auf eine zeitliche Verabredung aus ihm herauszuholen. Ich weiß, dass „nicht“ und „vielleicht“ häufig verwendete Vokabeln sind. In der Finsternis und Mystik des Winters, dem Donnern des Meeres und des Orkans ist der Geist des Färingers gereift. Still empfängt er den kurzen, idyllischen und wunderschönen färöischen Sommer.
Die Färöer, die Schafsinseln, bestehen aus siebzehn bewohnten Inseln und Lítla Dímun. Die früheste Geschichte der Färöer sowie das Land und Klima machten den Färinger zu dem, was er heute ist.
Irische Mönche – Wikinger – Pfarrer
Die erste Besiedlung fand statt, als sich irische Mönche ungefähr im Jahre 625 niederließen und als Einsiedler lebten. Wenn ich das lese, wundere ich mich. Wie konnten sie für den Fortbestand der Sippe sorgen, wenn sie Einsiedler waren? Warum starben die Mönche nicht aus?
Verständlicher ist, dass die Färöer nach 850 von Norwegern, Wikingern, besiedelt wurden, die aus Norwegen fliehen mussten. Es waren Kleinkönige, Jarle und frei geborene Männer und Frauen, die Richtung Westen segelten, um sich ein Heim auf den unbewohnten Inseln zu schaffen. Nach und nach vermischte sich das Blut mit dänischen Genen. Dies war insbesondere den dänischen Beamten, und nicht zuletzt den Pfarrern zu verdanken, die dem alten Sprichwort huldigten: So viele Kinder, so viel Segen.
Nach der Reformation war es üblich, dass Pfarrer und Pröpste viele Kinder bekamen. Starb die Hausfrau, zum Beispiel im Wochenbett, heiratete der Pfarrer so schnell wie möglich wieder, da ihm eine Haushälterin fehlte, die sich um Haus und Kinder kümmerte. So kann man über Pfarrer lesen, die zwischen 16 und 23 Kinder hatten. Diese Kinder wurden Färinger, deren Nachkommen heute mehrere zehntausend zählen und von denen ich, Amy, abstamme.
Im Mittelalter sorgten die Pfarrer dafür, dass ihre Söhne Königsbauern, Pachtbauern der Krone, wurden und dass ihre Töchter Königsbauern heirateten.
In der Wikingerzeit standen die Färöer, Island, die Shetlandinseln und Norwegen in engem Kontakt zu einander, denn sie hatten alle die gleichen Wurzeln. Einzelne Kelten fanden den Weg zu den Inseln und ließen sich nieder. Allmählich verloren die Färöer fast ganz den Kontakt zum europäischen Kulturleben. Man liest davon, dass:
Die Färinger ein sehr inniges Gemeinschaftsleben führten.
Hilfsbereitschaft und Glaube Reichen und Armen gemein waren.
Die Inseln im 17. und 18. Jahrhundert von Seeräubern heimgesucht wurden.
Die bäuerliche Gemeinschaft stark vom Luthertum geprägt war.
Vielleicht weil die Pfarrer Dänen waren, war ihre Autorität groß, denn sie sprachen ja die gleiche Sprache wie der Herrgott.
Dänisch hatte Latein und Färöisch als religiöse Sprache abgelöst. Kein Färinger wagte es, sich dem Allmächtigen in der Alltagssprache zu nähern.
Doch bewahrte sich die Volksdichtung in der Muttersprache des Mittelalters.
Dies sollte später dazu beitragen, die färöische Sprache vor dem Untergang zu retten. Heute werden ständig neue Wörter gebildet, die sich von der Lokalsprache der Vorzeit und alten nordischen Sprachen ableiten.
1814 wurden die Färöer von der norwegischen Krone getrennt und zu einem dänischen Amt. Heute beträgt die Bevölkerungszahl circa 48.000, von denen ungefähr 17.000 in der Hauptstadt Tórshavn leben. Die Färöer sind teilweise autonom. Die Autonomie wurde 1948 eingeführt.
Die Nachkommen der Färinger leben heute auf der ganzen Welt verstreut.
Alzheimer
Im Januar 2006 wurde bei meiner neunzigjährigen Mutter Alzheimer festgestellt. Ihre zunehmende Vergesslichkeit war diagnostiziert. Obwohl sie vergesslich war, kam sie gut zurecht, war gesund und munter und fröhlich. Die Ärzte für Geriatrie versuchten es mit Medikamenten gegen Alzheimer, doch lag sie danach flach und übergab sich den ganzen Tag, ohne zu wissen, wo sie war. Die Medikamente könnten die Krankheit vielleicht ein halbes bis ganzes Jahr verzögern, sagten sie. Wir lehnten die Medikation mit Zustimmung des Arztes ab und lebten von nun an mit dem Naturell der Alzheimerkrankheit.
Die Alzheimerkrankheit brachte mich ins Rollen. Wie lange dauert Alzheimer? Kommt der Tag, an dem Mutter nicht mehr in der Lage ist, zu erzählen, nicht mehr in der Lage ist, zu reden?
Jetzt oder nie. Wir begannen im Januar 2006 mit der Niederschrift von Mutters vielen Geschichten, Bericht für Bericht. Mutter erinnerte sich, erzählte, erklärte, erinnerte sich an Namen. Wir haben oft zusammen laut gelacht. Mutter kommentierte und berichtigte, wenn etwas nicht stimmte. Mit Laptop bewaffnet, ging ich zu ihr oder machte mir Notizen auf kleinen Zetteln, die ich zu Hause sauber abschrieb. Mutter lebte seit 1999 in einer kleinen, gemütlichen Seniorenwohnung neben einem Pflegeheim in Faxe.
Am 22. November 2006 wäre die eiserne Hochzeit von Vater und Mutter gewesen. An diesem Tag bekam sie das erste, vorläufige Exemplar ihres Berichtes überreicht. Neunzig Seiten in einem DIN-A4-Hefter, mit alten Fotos illustriert. Als Mutter zu lesen begann, rief sie erstaunt aus: „Woher in aller Welt weißt du das alles? Das passt ja alles zusammen.“
Wir gingen das ganze Material noch einmal durch mit Hinblick auf eine Veröffentlichung.
Im August 2008 wurde Mutter 93 Jahre alt. Ihre große Leidenschaft waren tägliche lange Spaziergänge. Sie sagte fröhlich: „Ich finde noch nach Hause, aber ich bin immer länger nicht mehr bei mir.“ Mutter war einsichtig, sie war gesund und munter, konnte mit dem einen Auge sehen und mit beiden Ohren hören. Durch Glucosamin waren die Gichtschmerzen in Knie und Schulter verschwunden. Sie war eitel, so wie sie es ihr Leben lang gewesen ist, meine reizende Mutter.
Etwas über mich: Neben meinen Gesprächen mit Mutter und dem Schreiben des Buches über sie zeichne und male ich. Ich spiele