Chefvisite. Die unerwartete Rückkehr des Auferstandenen. Albrecht Gralle

Chefvisite. Die unerwartete Rückkehr des Auferstandenen - Albrecht Gralle


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ja schon gut, ich komme!“, sagte er zu dem Apparat und nahm ab.

      „Ansgar Kolnik?“

      „Ich bin’s Papa!“, sagte seine Tochter.

      „Uta! Was gibt’s?“

      „Wie geht’s dir denn?“

      „Ganz gut. Aber du rufst sicher nicht bei mir an, nur um zu fragen, wie es mir geht.“

      „Na ja, das wäre schon ein Grund gewesen. Aber außerdem wollte ich dich fragen, ob deine Lieblingsenkelin Frida drei Tage bei dir wohnen darf?“

      „Oh!“, entfuhr es Ansgar.

      „Wieso? Ist es dir nicht recht? Hast du wichtige Verpflichtungen?“ Die letzte Frage mit leicht ironischem Klang.

      „Seid ihr denn beide unterwegs?“, fragte er zurück.

      „Ich möchte zu einer Fortbildung, und dein Schwiegersohn ist von seiner Geschäftsreise noch nicht zurück. Bitte, sag ja, Papa.“

      Ansgar Kolnik überlegte. Es passte ihm im Grunde nicht. Gerade jetzt, wo er diese Entdeckung gemacht hatte, wollte er eigentlich ungestört seine Beobachtungen fortsetzen. Aber seine Enkelin musste ja auch zur Schule, und er hätte dann immer noch genügend Zeit für sein neues Hobby. Es stimmte schon: Er mochte Frida gerne und wusste, dass es umgekehrt auch der Fall war.

      „Wann willst du sie denn bringen?“

      „Am besten heute Nachmittag gegen vier. Außerdem ist der Weg zum Gymnasium von dir aus viel kürzer für sie.“

      „Das weiß ich doch, Uta, Ich bin nicht verblödet.“

      „Tut mir leid.“

      „Gut, dann sehen wir uns, tschüs.“ Er legte auf. Noch nie hatte er es gemocht, minutenlange Verabschiedungsfloskeln am Telefon zu gebrauchen.

      Er setzte sich in seinen Sessel, nahm das Fernglas wieder zur Hand und sah zu dem Haus hinüber.

      Er meinte, eine Bewegung hinter den Gardinen zu erkennen. Sein Blick glitt an dem Haus entlang und blieb an einer Ecke hängen. Eine neue Regentonne stand neben dem Rohr, das von der Dachrinne kam. Aber es gab keine Öffnung zur Tonne hin.

      Was bedeutete das alles?

      Warum werden diese Mädchen ausgewechselt? Was für einen Sinn hatte das? Ist diese Familie nur eine Fassade? Was passiert in diesem Haus?

      Wenn es eine geheime Firma ist, warum die Kinder? Dann hätte man doch auch ein kinderloses Paar nehmen können!

      Ansgar legte das Fernglas auf ein Beistelltischchen neben seinem Sessel und ging in die Küche. Heute gab es Würstchen und Kartoffelsalat. Er hatte in den verschiedenen Angeboten im Supermarkt eine Packung entdeckt, die nicht ganz so künstlich schmeckte.

       3

      Ich fuhr nach Hannover, nachdem wir von Israel zurückgekommen waren. Dazwischen lagen Tage, an denen meine Gefühle eine Berg- und Talfahrt durchlebten. Erst allmählich begriff ich, was da auf mich zukam: Der auferstandene Christus spaziert durch das einundzwanzigste Jahrhundert, und ich bin dabei. Ich habe ihn angefasst und kann ihn mit allen Fragen löchern, die bisher niemand beantworten konnte. Ich verstand auch, warum damals viele Menschen von seiner Ausstrahlung berührt worden waren und ungewöhnliche Dinge für ihn taten.

      In der ersten Nacht nach unserer Begegnung konnte ich kein Auge zutun, denn ich überlegte mir tausend Fragen, die ich ihm stellen würde: Wohin steuert die Menschheit? Ist die Erde ökologisch noch zu retten? Gibt es Sex im Himmel? Wird Schottland unabhängig? Was passiert mit den USA? Und: Können wir uns als Deutsche eine Zukunft ohne Flüchtlinge überhaupt noch leisten oder sterben wir vorher aus? Und so weiter.

      Zurück nach Hannover. Viel Altstadt gibt es ja nicht, aber die Gegend um die Marktkirche herum ist mit ein paar schönen Häusern und Altstadtatmosphäre geschmückt.

      Ich stieg am Kröpke aus der U-Bahn und ging zu Fuß zu unserem Treffpunkt. Es war ein frischer Herbsttag. Die Sonne schien, aber keine drückende Hitze hing über der Stadt. Ein Wind fegte ab und zu über die Markisen der Straßencafés und Geschäfte, fuhr in die Alleebäume der Georgstraße und wirbelte ein paar Blätter über den Gehsteig.

      „Ich muss nach Hannover, um einen alten Freund zu treffen“, hatte ich zu meiner Frau gesagt. Noch getraute ich mich nicht, mit ihr darüber zu sprechen, dass ich ein Date mit Jeschua hätte, der gerade mal wiedergekommen sei und mich treffen wolle. Das klang mir dann doch zu bizarr, und ich war inzwischen selbst nicht mehr sicher, ob sich jemand mit mir einen Scherz erlaubt hatte. Aber die Berührung eines auferstandenen himmlischen Körpers vergisst man nicht.

      So ging ich also etwas angespannt durch die Packhofstraße zum Hans-Lilie-Platz, an den Fachwerkhäusern vorbei, bis ich vor der massigen Backsteinkirche stand.

      Nur zur Information: Ich bin ein einigermaßen überzeugter Christ, habe diverse Zweifel durchlebt, glaube aber inzwischen alles, was im Glaubensbekenntnis steht, und das ist heutzutage nicht selbstverständlich. Ich finde es einfach albern, Glaubensgrundsätze über Bord zu werfen, die tausendfünfhundert Jahre gegolten haben, nur weil es ein paar intellektuelle Gegengründe gibt. Was ist denn so schlimm daran, an die Jungfräulichkeit Marias zu glauben? Schließlich sieht doch jeder, dass sich der Giersch auch mühelos vermehrt, ohne Sex gehabt zu haben.

      Ich will nur sagen, dass die ganzen Wundergeschichten für mich kein Problem mehr sind. Warum sollten gelähmte Leute nicht gesund werden, wenn jemand durch Handauflegung Energie in ihren Körper fließen lässt? Warum sollte nicht jemand über das Wasser gehen können? Wir schaffen es sogar, über den Boden zu schweben, wenn wir verliebt sind oder auf den Nerven anderer Leute herumzutrampeln, ohne unterzugehen. Die meisten glauben unbesehen, was die Werbung ihnen verspricht, dagegen ist eine Totenauferweckung eine Lappalie.

      Ich kenne die Bibel einigermaßen. Meine Lieblingsbücher sind das erste Buch Mose, Jesaja und die Evangelien.

      Ich schaute auf die Uhr: halb eins. Von Jeschua keine Spur. Ich ging um die Kirche herum, betrachtete das Lutherdenkmal und las die Worte: „Christus vivit.“

       Wie wahr!

      Vielleicht sollte ich hineingehen, überlegte ich, und betrat die Kirche, die zum Glück offen war.

      Ich meinte vorne vor dem Altar, eine Gestalt zu sehen. Das könnte er sein.

      Tatsächlich stand Jeschua vor dem Altarbild und betrachtete interessiert die Szenen aus seinem Leben, besonders die Kreuzigungsgruppe in der Mitte. Alles vergoldet.

      „Hallo!“, sagte ich mit einem leichten Hall in der Stimme.

      Er drehte sich um und lächelte mir kurz zu. Inzwischen war er ganz normal angezogen: lange Hose, Hemd, ein dünner Pullover und bequeme Sportschuhe. Ich hoffte, dass er das alles diesmal gekauft hatte.

      „Friede mit dir“, war seine Antwort. Es war seltsam. So etwas wie eine ungewohnte Ruhe kam über mich. Ich erinnerte mich an ein Lied, das wir damals als Jugendliche gesungen hatten: Ich weiß, was Friede ist, er liegt wie zarter Tau auf meiner Haut.

      „Ja … ahm … ebenfalls Friede. Da bin ich also“, sagte ich überflüssigerweise.

      „Interessant, wie die Künstler diese furchtbaren Szenen vergoldet haben“, sagte er.

      „Na ja, vielleicht kann man sie dann besser ertragen“, schlug ich vor.

      „Mag sein“, murmelte er. „Es war hart genug für mich.“

      Wir schwiegen ein paar Augenblicke. Dann sagte ich: „Mir ist es immer noch ein Rätsel, wie du das alles durchgestanden hast. Stundenlang in glühender Hitze am Kreuz hängen, die Nägel durch die Handgelenke getrieben, die Füße angenagelt. Dornen in der Kopfhaut, und man kann sich nicht kratzen … Ich würde durchdrehen.“

      Er zuckte die Schultern. „Ich hatte natürlich vorher mental trainiert, um


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