Frei sollst du sein – Take your time. Gerti Gabelt
ein helles Blau. Acht Zimmer für die Gäste gibt es. Durch die einheitliche Farbe der Wände und des Bettes sowie die Vorhänge des Fensters, ergibt sich ein harmonisches Ganzes.
Entrée und Treppenhaus sind mit weißen Stofftapeten ausgekleidet. Eine breite Treppe, deren Stufen mit hellgrauem Teppich belegt sind, führt in die obere Etage die für VIPs vorbehalten ist. Ana Sue übernimmt nach drei Wochen und gezielter Einarbeitung durch sie ihren Dienst bei den VIPs. Kleine Sitzecken mit je zwei Sesseln und einem Glastisch, auf dem frische Blumen in einer weißen Porzellanvase stehen, lassen eher auf ein Hotel als auf ein Etablissement schließen. Madam Elisa führt und bezeichnet ihr Haus als Salon.
Hier lernt Ana Sue die Liebe zwischen Damen kennen.
Nach etwa drei Monaten wird sie, ohne vorherige Ankündigung oder einer Erklärung, von einem Herrn abgeholt und nach Bangkok gebracht. Hier ist das Leben um einiges härter. Alle Räume sind dunkel, in dunkelrotem Samt gehalten, was eine depressive Stimmung vermittelt. Einen größeren Gegensatz zu der Atmosphäre bei Madam Elisa ist kaum denkbar. Als disziplinierte Chefin führt sie ihr Business erfolgreich schon über Jahre. Diese Disziplin fordert sie auch von ihren Damen. Aber trotzdem strahlt sie eine Güte aus, die Ana Sue half, sich in dieser ungewohnten Welt zurechtzufinden und die sie nun schmerzlich vermisst. Sie hatte Glück gehabt, dass sie nicht sofort in der Silion Road gelandet war, dass sie langsam in dieses Milieu hatte hineinwachsen können. In Madam Elisas Salon war alles hell und persönlich.
Hier muss sie plötzlich für den Inhaber zu Diensten sein, wann immer dieser will. Sie muss Freier bedienen, es gibt kaum Freizeit. Sie weint viel und vermisst nicht nur ihre Eltern, nein, ihr fehlt auch Madam Elisa, die für ihre Mädchen eine fast mütterliche Verbundenheit und Verantwortung vermittelte. Bei ihr gab es keine „weißlackierten Tanzstangen“.
Elisa war in Polen geboren. Sie wollte in die Welt hinaus. Schon als kleines Kind saß sie oft am Fenster und schaute den weißen Wolken nach.
Wo ziehen sie hin? Ich möchte auf einer dieser Wolke sitzen und mit ihnen ziehen in ein Land, in dem die Sonne scheint. Das werde und will ich eines Tages machen. In Polen ist es kalt. Es ist nicht mein Land.
Als sie Fünfzehn war, hatte sie sich in einen jungen Mann verliebt. Die Eltern verboten ihr den Umgang. Die beiden jungen Menschen sahen sich nicht wieder, blieben aber in Kontakt. Elisa beendete die Schule und begann eine Ausbildung zur Kosmetikerin. Gegen den Wunsch der Eltern. Es war ein ständiger Kampf zwischen ihr und ihrem Vater. Als sie achtzehn war, fuhr sie mit ihrem Freund nach Thailand. Sie nahm jede Arbeit an, die sich bot. In einem Vier-Sterne-Hotel wurde sie Hausdame. Die Selektion der Gäste ergab sich durch die Preisgestaltung. Das Hotel war außerdem Vertragshotel für einige Fluglinien. Ein Friseur, der hier seinen Salon betrieb, suchte eine Mitarbeiterin. Sie bewarb sich und erhielt den Job. Ganz bald konnte sie ihre Kosmetikkenntnisse einbringen. Mutig etablierte sie hier ihren ersten Salon und hatte Erfolg. Mit der Hoteldirektorin begann sie eine Beziehung, die nach einigen Jahren zerbrach.
Ich werde sie nie vergessen. Aber ich bin noch jung, habe genügend Geld und werde mich selbstständig machen. Ich brauche ein eigenes Haus, ich will unabhängig sein. Mit Kosmetik versuche ich, zurecht zu kommen.
Aber das ist schwierig. Vielleicht muss ich etwas anderes finden. Dann fand sie Sara aus Spanien und eine neue Beziehung begann.
„Lass’ uns ein Haus etablieren für Menschen, die so empfinden wie wir.“
Und so hatte es begonnen.
Madam Elisa – sie war eine sehr gepflegte, Respekt fordernde Dame. Sara und Elisa etablierten das erste Etablissement für Damen. Mit persönlichem Einsatz und äußerster Disziplin konnten sie die Schulden abtragen und nach einem Jahr schrieben sie schwarze Zahlen. Ihre Kunden kamen aus den großen Städten im In- und Ausland.
An einem sonnigen Tag klingelte es an der Türe. Ein weißgekleideter Herr wollte ein Zimmer buchen, da er annahm, in einem Hotel zu sein. Elisa bat den Herrn einzutreten, servierte ihm einen Kaffee und erklärte ihm, dass ihr Haus kein Hotel sei. Der Herr ließ sich aber nicht abweisen. Elisa hatte immer ein Gästezimmer frei und so blieb der Herr. Er verlängerte seinen Aufenthalt sogar. Elisa fand es schön, sie hatte sich an den Herrn gewöhnt. Abends tranken sie gemeinsam einen Wein und erzählten sich ihre Geschichten. Abdul kam aus Abi Dabi, war sehr wohlhabend und hatte sich in Elisa verliebt.
Zwischen Sara und Elisa bestand inzwischen nur noch eine Freundschaft. Sara hatte sich entschieden, wieder nach Spanien zurückzugehen. Für beide war die Zeit als Lesbe vorbei. –
Für Elisa und Abdul begann eine innige Verbundenheit, die zu einer Liebe führte.
„Ich habe eine Familie in meiner Heimat. Aber du bist etwas Besonderes für mich. Daher möchte ich nicht, dass du mit mir kommst. Du sollst nicht eine von Vielen werden. Ich muss irgendwann zurück, mich um mein Business kümmern. Wir werden uns immer wieder sehen, denn ich werde zurückkommen. Wirst du das verstehen?“
„Hier ist mein Salon, mein Business. Hier sehe ich meine Lebensaufgabe. Meine Mädchen und meine Kunden kann ich nicht verlassen. Mit viel Energie und persönlichem Einsatz habe ich dies alles aufgebaut. Nein, ich kann nicht hier weg. Wenn du wiederkommst, freue ich mich natürlich sehr…
Aber für meine Kunden bin ich da. Es ist ein Stück Familie geworden. Weißt du, es sind überwiegend Frauen aus der Upper Class. Sie sind in ihrem öffentlichen Leben, in ihrem Alltag, verheiratet. Niemand weiß um ihre Neigung zu Frauen. Sie sind meist unglücklich in ihrem Dasein. – Sie sind wohlhabend aber unglücklich. Auf Kreuzfahrten in fremde Länder suchten sie den Sinn des Daseins, konnten ihn jedoch nicht finden. Sie sind durch die ganze Welt gereist. Für ihre Bekannten sind sie auf Reisen, wenn sie zu mir kommen. Hier verbringen sie ihre glücklichste Zeit wie sie sagen. Sie vertrauen mir. Niemand erfährt von ihrem Doppelleben.
Für das Glück und die Liebe, die sie hier finden, sind sie dankbar. –
Mein Haus ist ein kleines Haus. Es ist für mich wichtig, meine persönliche Atmosphäre einzubringen, die meine Kunden schätzen. Ich kenne alle Damen persönlich, bin für die meisten Kosmetikerin und eine psychologische Beraterin. Sie vertrauen mir. Ich hoffe, sie finden hier ein kleines Stückchen Glück, nur ein kleines Glück, aber immerhin…
Du siehst, meine Aufgabe finde ich hier, jeden Tag aufs Neue.
Und nun gibt es dich, Abdul – wie sollte, wie könnte ich das alles verlassen?
Abdul kommt regelmäßig zu Besuch. Er und Elisa leben ihre Liebe und sind glücklich, denn es gibt zwischen ihnen keinen Alltag. Jeder Tag, den sie zusammen sind, ist ein Fest. Seine Großzügigkeit genießt Elisa. Selbst die Mädchen profitieren davon. So ergibt sich wenig Wechsel bei ihrem Personal. Sie bedauert es sehr, dass Ana Sue gehen musste. Dieser Zuhälter ist ein Mafioso, mit ihm möchte sie sich nicht anlegen. So musste sie Ana Sue gehen lassen, quasi opfern.
WEG INS UNGEWISSE
In den letzten Stunden hatte Ana Sue erfahren, dass es noch andere Menschen gibt. Nicht nur die Besucher, die sie bisher kannte. Sie muss schnell handeln bevor der Inhaber sie vermisst, muss sie weg sein. Am besten untertauchen im Nirgendwo.
Einer inneren Intuition folgend geht sie zum Hafen, sieht die großen Schiffe. Ralf hatte gesagt, sein Kahn würde hier im Hafen liegen. Aber wie sollte sie unter den unzähligen Schiffen dieses besondere Schiff finden? Zumal sie nicht einmal den Namen weiß. Zum ersten Mal hier am Hafen fühlt sie sich klein und verlassen. Sie setzt sich auf die große Treppe, die zu den Anlegestellen führt. Hier will sie auf Ralf warten. Sie wird ihn sofort erkennen – sollte er denn kommen - ‥
Stunden vergehen. Es ist dunkel geworden. Sie fragt einen der Hafenarbeiter, ob er weiß, wann das nächste Schiff ablegt.
„Heute gegen Mittag ist der letzte Kahn rausgefahren. Kurs Cape Town glaube ich. Heute Nacht wird kein Schiff mehr ablegen. Mädchen, dein Warten ist also umsonst. Und du solltest heute Nacht nicht hierbleiben. Es ist gefährlich für eine junge Frau hier alleine.“ Er