Frei sollst du sein – Take your time. Gerti Gabelt
für alles. Ich weiß noch nicht genau, wohin ich gehe. Aber danke, dass ich die Nacht hier sein konnte.“
Mona schaut das Mädchen lange an. Dann geht sie ohne ein Wort zu sagen in die Küche.
Ana Sue will weg. Hier gehört sie nicht hin. Sie gehört nirgends hin. Zu niemandem. Sie hat kein Zuhause. In dieser Stadt kennt sie niemanden.
Sie muss Geld verdienen, also Arbeit suchen. Sie räumt den Tisch ab, bringt das Geschirr in die Küche, kehrt zurück und packt ihren kleinen Beutel.
„Ana-Sue, so heißt du doch. Geh’ ins Bad, ich habe die ein paar Sachen zurechtgelegt. Du kannst duschen und alles was du brauchst, kannst du mitnehmen.“
Ana-Sue schaut verwundert zu Mona.
„Komm schon“, mit diesen Worten nimmt Mona ihre Hand und bringt sie ins Bad. Der Ton verrät, dass Mona keine Antwort und schon gar keinen Widerspruch erwarten oder dulden würde.
Als Ana-Sue erfrischt aus dem Bad kommt, gibt Mona ihr den kleinen Beutel. Eine Flasche Wasser und eine Banane als kleinen Imbiss für den Tag, hat sie für Ana Sue in den Beutel gelegt.
„Wenn du heute keine Bleibe hast, kannst du hierherkommen“, mit diesen Worten verabschiedet Mona ihren Gast.
Sie sieht so verloren aus. Ich hoffe, sie kommt heute Abend wieder.
Mona schüttelt den Kopf, um ihre unwirschen Gedanken zu vertreiben.
Was ist nur los mit mir? Erst gestern kam dieses fremde Mädchen zu uns und heute vermisse ich es schon.
Ana-Sue steht auf der Straße.
Nun bin ich frei, frei wie ein Vogel. Die Welt steht mir offen. Aber wo ist die Türe, die in die Welt führt? Was ist es für eine Welt?
Eins weiß sie. Wenn sie heute am ersten Tag ihrer Suche nichts findet, dann ist diese Türe hier offen für sie. Aber sie will nicht von Almosen leben. Sie muss es alleine schaffen.
Es gibt keinen Weg zum Glück –
Glücklichsein ist der Weg
Buddha
CAPE TOWN
Ralf sitzt im Bus, der ihn zur Waterfront bringen soll. Seit zwei Wochen ist er in Cape Town und wartet auf ein Schiff, das nach Bangkok fährt. Er will anheuern, zurück nach Bangkok. Dort will er bleiben bis er Ana-Sue gefunden hat. Er wird sofort in dieses Etablissement gehen. Sicher wird sie dort sein. Denn sie hat ja keine Chance in der Stadt eine andere Arbeit zu finden. Sollte sie aber wider Er- warten dort nicht mehr sein, wird er in einer anderen ähnlichen Höhle nach ihr suchen, so lange suchen bis er sie gefunden hat.
Noch hat er keine Ahnung, wo er seine Suche dann beginnen soll. Aber er ist zuversichtlich, er wird sie finden. Bisher ist nicht ein Tag vergangen, an dem er nicht an Ana-Sue gedacht hat.
Eine Nacht in einem Etablissement in Bangkok hat sein Leben verändert.
Es ist so, als sei Schwarzes plötzlich weiß geworden.
Was früher dunkel war, wird bei jedem Gedanken an Ana-Sue hell und leuchtend.
Nicht, dass er nun nicht mehr traurig sei! Immer wieder hört er die leise Stimme von Ana-Sue. Sie singt ihm ein Lied. Er hat einen Teil der Worte vergessen, aber die Melodie klingt in seiner Seele.
Fremder Mann, schau mich an…
Das Schuldgefühl über sein Verhalten quält ihn täglich. Der einzige Weg, so scheint es ihm, ist der, Ana Sue zu finden. Dann kann er den Traum von einem Leben mit ihr verwirklichen. Das ist sein Ziel.
Die Sonnenstrahlen lassen ihre angenehme Wärme auf der Haut spüren.
Um diese Zeit ist es in Deutschland kalt. Winterzeit. Nein, da möchte er jetzt nicht sein. Er geht zur Waterfront in ein Restaurant, von denen es zahlreiche hier gibt.
Er bestellt einen Eiskaffee. Noch während er den Eiskaffee auf seinem Tisch zurechtrückt, bemerkt er einen Herrn, der ihn beobachtet.
Mit einem gewinnenden Lächeln bittet dieser Herr um einen Platz an seinem Tisch.
„Kein Problem, bitte, der Stuhl ist noch frei.“
Schnell entwickelt sich ein Gespräch zwischen den beiden, bei dem Ralf erfährt, dass der Herr aus Holland kommt. Er lebe nun in Cape Town. Seine Frau sei vor einem Jahr gestorben. Er lebe alleine. Eine junge Frau versorge seinen Haushalt. Sie sei gewissenhaft und anspruchslos. Sein Bauch habe ihm nach kurzer Zeit gesagt, er könne ihr vertrauen, obwohl er sehr wenig von ihr wisse. Aber er respektiere ihr Privatleben.
„Bei wichtigen Entscheidungen höre ich auf meine innere Stimme. Kennen Sie Ihre innere Stimme?“
„Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich glaube, ich habe keine bestimmte, innere Stimme. Wahrscheinlich habe ich mehrere innere Stimmen.“
Er lacht.
„Dann ist es an der Zeit, dass Sie Ihre Stimmen oder ihr Innerstes sortieren. Das sollten Sie wirklich angehen. Es ist wichtig. Finden Sie Ihre eigentliche, innere Stimme.“
„Und wie kann ich meine eigentliche Stimme finden? Oder wie kann ich die anderen Stimmen zum Schweigen bringen?“
„Sehen Sie, Sie haben verstanden. Gehen Sie es an. Es ist nie zu spät. Sie spüren selber, welches die Stimme ist, die bei Entscheidungen den richtigen Weg zeigt.“
„Ich habe nichts verstanden. Wenn es so etwas wie eine innere Stimme bei mir geben sollte, dann scheint es sehr schwierig zu sein, sie wahrzunehmen“
„Mein Junge, ich darf Sie doch so nennen“, der sympathische, ältere Herr macht eine Pause, „Sie sind schon längst auf dem Weg. Sie haben es nur nicht bemerkt. Ich sehe und spüre es.
Auch ich war ein Suchender. Als ich während des Meditierens meine innere Stimme vernahm, wurde ich von einer positiven Energie durchströmt, sodass ich mich plötzlich leicht und frei fühlte.
Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Loslassen, was sinnlos ist. Es ist ein Zauberwort. Aber das alles werden Sie selbst erfahren.“
„Wenn ich Ihnen nun sagen würde, dass ich Sie verstanden habe, so wäre das eine Lüge. Zu gerne würde ich Ihnen glauben, Sie verstehen. Eines jedoch haben Sie erreicht bei mir in diesem kurzen Dialog, ich bin neugierig geworden.“
„Dann haben Sie für sich selber viel erreicht, mehr als ich erwartet hätte.
Ich habe es gewusst.“ Der „ältere Herr“ lächelt.
„Was haben Sie gewusst? Bitte lassen Sie mich teilhaben an Ihrem Wissen.“
„Das werde ich, aber nicht heute“.
Lachend klopft der ältere Herr Ralf auf die Schulter.
„Aber nun entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss nach Hause. Meine Mittagsruhe möchte ich nicht versäumen. Meine innere Stimme, Sie wissen schon, sagt, dass es gut ist, eine tägliche Ruhezeit einzulegen. Morgen um diese Zeit bin ich wieder hier, ok? Bye bye.“
Mit jugendlichem Elan und einem Lächeln verabschiedet sich der Herr, dessen Name ich nicht weiß, von dem ich so wenig weiß und doch so viel…
Ralf denkt noch lange an den älteren Herrn –
Ralf will noch zum Hafen. Er wartet jeden Tag auf ein Schiff, dass ihn zurück nach Thailand bringen soll. Am Abend denkt Ralf an das Gespräch mit dem älteren Herrn. Soll er wirklich morgen wieder zur Waterfront gehen?
Eigentlich glaubt er nicht an dieses Bauchgefühl oder die innere Stimme.
Sicher nur die Fantasie eines Herrn, der in die