Frei sollst du sein – Take your time. Gerti Gabelt

Frei sollst du sein – Take your time - Gerti Gabelt


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Ich kenne meinen Weg. Ich will Ana-Sue finden. Das ist mein Weg. Also, dazu brauche ich kein Bauchgefühl und keine innere Stimme. Das weiß ich selber.

       Aber wo soll ich sie suchen und finden? Bangkok ist groß. Eine Millionenstadt. Dabei weiß ich nicht, ob sie noch in der Stadt ist. Vielleicht ist sie zu ihrer Familie in den Norden gefahren?

       Höre auf deine Stimme.

       Aber was willst du mir sagen? Weißt du es, Stimme, wo ich sie finden kann?

       Sei ein wenig geduldig. Werde ruhig und höre mir zu. Vielleicht verstehst du dann.

      Alle diese Gedanken ermüden Ralf so sehr, dass er nun nur noch schlafen möchte. Anders als gestern und all die vielen Tage nach der Trennung von Ana-Sue denkt er heute an sie. Er ist nicht traurig und nicht glücklich.

       Chaotisch nennt man das, was ich im Augenblick empfinde.

      Morgen ist ein neuer Tag…

      Ralf ist am frühen Morgen zum Hafen gegangen und hat erfahren, dass vorerst kein Schiff nach Thailand fährt.

      Er überlegt, soll er einen Flieger nehmen? Das wäre sicherlich eine annehmbare Alternative. Das Warten auf ein Schiff scheint für den Moment aussichtslos. Warum also nicht den Flieger nehmen?

      Er schaut sich die Angebote in den Reisebüros an, findet aber zu keiner Entscheidung. Er muss nachdenken.

      Einem inneren unbewussten Impuls folgend fährt er mit dem Bus zur Waterfront. Das Gespräch mit dem älteren Herrn gestern lässt seine Gedanken nicht zur Ruhe kommen. Beim Aufwachen am Morgen glaubt er, Wortfetzen aus dem gestrigen Dialog in seinen Träumen gehabt zu haben.

      Als er an der Waterfront den Bus verlässt, sieht er von Weitem schon den Herrn von gestern wartend an seinem Tisch sitzen. Wie Freunde begrüßen sich die beiden. Dabei spürt Ralf, wie gut es ihm dabei geht. Er registriert mit einem Mal, dass er in dieser großen Stadt sich bisher doch ziemlich alleine fühlte.

      Das „Hallo“ klingt fast vertraut.

      „Ich bin John, und ich freue mich, Sie zu sehen.“

      „Ralf, ja ich freue mich auch.“

      „Wir sollten das Sie vergessen und zum Du übergehen.“

      Also Ralf, trinken wir auf eine gute Bekanntschaft, die vielleicht zu einer Freundschaft führen kann.“

      Mit diesen Worten winkt John den Service und bestellt zwei Aperitif und zwei Cappuccinos.

      „Nun besiegeln wir das Ganze mit einem Prost oder Sheers.“

      „Sheers, Ralf, auf eine gute Zeit. Vielleicht findest du, da ich ja aus Holland komme, meinen Namen etwas unüblich. Meine Eltern gaben mir den Namen Johann, den ich nie mochte. Da habe ich aus Johann John gemacht.“

      Nachdem John ein wenig von seinem Leben und seiner Ehe erzählt hat, möchte er wissen, ob Ralf bereit ist, von sich erzählen.

      Nach kurzem Zögern erzählt Ralf von seinem Erlebnis in Bangkok, ganz gegen seine Gewohnheit, sich Fremden gegenüber zu öffnen.

      „Ich bin ein Foul – aber ich kann es hier nicht ändern. Ich werde zurückfahren und sie suchen.

      Weißt du, ich kann dieses Mädchen einfach nicht vergessen. Sie war so anders, einfühlsam, herzlich, einfach anders…Ich muss sie finden.“

      „Das wird nicht ganz einfach sein. Bangkok ist eine Millionenstadt.“

      „Ja, das stimmt. Aber ich muss etwas unternehmen. Sie wird hier nicht an meiner Türe klingeln. Ich werde, ich muss sie finden.“

      „Das ist der einzige und richtige Weg. Du musst von dir überzeugt sein. Dann wirst du dein Ziel erreichen. Ich würde dir gerne dabei helfen.“

      „Das Zuhören und deine Zuversicht helfen mir schon. Nun werde ich ein Ticket kaufen und nach Thailand fliegen. Bis jetzt habe ich auf ein Schiff gewartet. Nun habe ich die Entscheidung gefunden.“

      „Das ist deine innere Stimme, Ralf.“

      Dabei lächelt er vor sich hin.

      „Weißt du, Ralf, das Leben geht oft seltsame Wege. Als meine Frau gestorben war, fühlte ich mich verloren. Es gab Momente, da glaubte ich, alleine auf der Welt zu sein, allein mit meinem Schicksal, allein mit meiner Trauer. Alles schien mir sinnlos. Und ich glaubte, nur ich alleine hätte einen solchen Verlust erlitten. Meine Gedanken kreisten nur um mein Ego –

      Doch plötzlich, nach einer Zeit des Sich-Selbst-Bemitleidens, funktionierte mein gesunder Menschenverstand wieder. Es ist wie ein Aufwachen aus einem tiefen, unruhigen Schlaf.

      Bei einem Einkauf im Supermarkt fand ich eine kleine Anzeige an der Wand im Eingang. Nicht nur ein Inserat hängt dort, nein, es suchen viele Leute hier einen Job. Ich habe sie alle gelesen. Dann fiel mir dieses kleine Inserat mit nur wenigen Worten besonders auf. Ich notierte mir die Telefon Nummer.

      Na ja, ein Anruf brachte mir diese junge Frau, von der ich erzählt habe. Sie hält meinen Haushalt in Ordnung. Ich habe mich sehr schnell an sie gewöhnt. Es ist eben so, dass eine Frau ein anderes Flair in die Wohnung und ins Dasein bringt. Sie könnte meine Tochter sein. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich meinen Tag auf ihr Kommen ausgerichtet habe.

      Eine aparte junge Frau, vielleicht eher noch ein Mädchen, wie gesagt, hübsch und jung, mit diesem anziehenden südlichen Charme. Blauschwarzes Haar und dunkle Augen. Eine tiefbraune Haut, anmutige Bewegungen, dabei einfühlsam und doch zurückhaltend. Meist trägt sie ein buntes, enges, langes Kleid. Während des Arbeitens schlüpft sie in Jeans. Beides kann sie gut tragen.

      Ich bin ins Schwärmen geraten, sorry. Zu schade, dass ich so alt bin.“

      Bei den letzten Worten ertönt ein dunkles, herzhaftes Lachen.

      „Mein Herz gehört schon einer anderen Frau. Ansonsten könnte deine Beschreibung, oder besser gesagt, dein Schwärmen, meine Neugier wecken. Aber du weißt ja, zu spät.“

      Nach einem köstlichen Eisbecher mit Früchten verabschieden sie sich. Etwas mehr als gute Bekannte, keine alten, aber neue Freunde sind sie geworden.

      Ralf geht zum Bus, der ihn in die City bringen soll. Sein Weg führt in eine Travel Agency. Am Wochenende will er nach Bangkok fliegen. Den Rückflug lässt er offen, da er ja nicht weiß, wann, wo und ob er Ana Sue finden wird. An Letzteres möchte er nicht denken. Er wird sie finden.

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