Flüchtlinge im Handwerk integrieren und beschäftigen. Anouschka Wasner
Und ob Flüchtling oder nicht, die beiden passen super in unseren Betrieb und sind einfach gut – und wir haben hier einige Auswahl, die Praktikanten geben sich bei uns die Klinke in die Hand. Man darf keine Vorurteile oder Berührungsängste haben, nur dann kann man die Chance auch erkennen. Die zwei haben uns so gut gefallen, dass wir seit 34 Jahren zum ersten Mal zwei Auszubildende haben. Ich schätze, dass sie bis zum Ende ihrer Ausbildung bzw. Umschulung alle Nachteile, die ihnen durch das Einleben und die fehlenden Sprachkenntnisse entstehen, aufgeholt haben.
Für uns wäre es theoretisch auch naheliegend gewesen, Flüchtlinge aufzunehmen, um unseren Beitrag in der Gesellschaft zu leisten. Aber das wäre ein hoher Anspruch für eine so kleine Firma gewesen. Wir nehmen ja schon quasi durchgehend Praktikanten: Der nächste kommt aus Afghanistan. Und jetzt wird’s auch langsam eng – wir passen schon nicht mehr alle an den Pausentisch! (lacht)
Aber wir brauchen die Leute auch: Einer von uns geht in drei Jahren in Rente, ich in sieben oder acht Jahren, irgendjemand soll die Werkstatt weiterführen. Wir sind mit dem Selbstausbilden bisher am besten gefahren. Bei den Leuten, die sich hier bei uns ein neues Leben aufbauen, ist die Chance groß, dass sie bleiben. <<
1.3 Migration bereichert unsere Arbeitswelt und Ihr Unternehmen
Es ist nicht das erste Mal, dass Migranten und Flüchtende in diesem Land in die Arbeitswelt integriert werden. Vertriebene in Nachkriegsdeutschland, Gastarbeiter aus Italien und der Türkei – heute sind sie alle ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft und tragen diese mit. Aus diesen wie auch aus den weltweiten Migrations- und Integrationserfahrungen lässt sich lernen.
Das bringen Flüchtlinge und Zuwandernde mit sich:
Migration hat eine positive Langzeitwirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit lokaler Firmen: Besonders die zweite und dritte Generation von Migranten sind verantwortlich für ein Anwachsen wirtschaftlicher Kontakte zum jeweiligen Herkunftsland. Das besagt eine aktuelle Studie der University of Chicago Booth School of Business [7], die anhand historischer Daten den Zusammenhang zwischen der Herkunftsstruktur der Bevölkerung bestimmter USA-Counties und ausländischer Direktinvestitionen, die von den lokalen Unternehmen erhalten oder getätigt wurden, untersucht hat. So lässt etwa die Verdopplung der Anzahl von Einwohnern aus einem bestimmten Herkunftsland die Anzahl lokaler Arbeitsplätze von Unternehmen, die Investitionen aus diesem Land erhalten, um fast 30 % steigen. Je weiter das Land entfernt ist, desto größer der positive Effekt.
Zuwanderung kann einen Einfluss auf die Alterstruktur im Land haben: Weit über 50 % der Asylsuchenden waren 2015 unter 24 Jahren alt, weitere über 25 % zwischen 25 und 34 Jahren alt. [3] Während die Zahl der 15- bis 25-Jährigen mit deutscher Staatsangehörigkeit zwischen 2014 und 2015 um 117.000 abnahm, nahm die Zahl der 15- bis 25-jährigen Bevölkerung aus den Asylzugangsländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien um 147.168 Personen zu. [8]
Wer flüchten musste, greift in der Regel auf mehrsprachige Konzepte zurück und muss Fähigkeiten wie Flexibilität und interkulturelle Kompetenz entwickeln. Das kann sich direkt auf das Investitionspotenzial des Unternehmens auswirken oder auch indirekt auf die Aufgeschlossenheit und Flexibilität des Unternehmens im Markt und den verschiedenen Kundenstämmen gegenüber.
Die Motivation von vielen Geflüchteten ist oft überdurchschnittlich hoch: Sie erkennen die Chance auf ihrem bisher schwierigen Lebensweg, sie wissen, wie es sich anfühlt, keine Handlungsmöglichkeiten zu haben. Oft fühlen sie auch große Verantwortung ihren Familien gegenüber, weil sie diese unterstützen möchten oder weil die Flucht von diesen finanziert wurde. Diese Art der Motivation kann überdurchschnittliche Lern- und Leistungsbereitschaft auslösen, die Mängel bei den Sprachkenntnissen oder fehlende Zeugnisse wettmacht. In einer aktuellen Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung [9] zeigten nahezu alle Befragten starke Erwerbsorientierung und hohe Arbeitsmotivation. Auf einer Skala von eins bis zehn wählten fast alle, Frauen wie Männer, was die Bedeutung von Erwerbsarbeit für ihr Leben betrifft, hohe Werte.
Es besteht grundsätzlich eine hohe Loyalität dem Betrieb und den Menschen des Betriebes gegenüber. Arbeitgeber und Kollegen werden oft wahrgenommen als diejenigen, die die Chance geben.
Flüchtlinge folgen nicht dem aktuellen Deutschland-Trend, wenn nur irgendwie möglich, ein Studium abzuleisten. Es befinden sich deswegen einige unter ihnen, die große Kompetenzen mit sich bringen, aber im Handwerk bleiben wollen. Damit kommen sie auch für eine Unternehmensnachfolge infrage.
Menschen aus anderen Ländern können unsere Betriebe mit den beruflichen und sozialen Kompetenzen aus ihren Herkunftsländern bereichern. Die Klassiker: Kontaktfreudigkeit und Improvisationsvermögen. Wer bereits schulische und berufliche Bildungsabschlüsse oder Arbeitserfahrungen mitbringt, kann neue Ideen und Lösungswege in ein Unternehmen einbringen. Innovationen leben ist Anspruch und Notwendigkeit im Handwerk – das galt zu allen Zeiten und auch heute.
1.4 Diversity – Unterschiede als Ressource erkennen!
Unterschiede anerkennen, Individualität wertschätzen, Potenziale nutzen und die Teilhabe aller ermöglichen: Diversity Management ist ein Begriff, der für die Gestaltung von Vielfalt steht. Er wird heute unter vielen Aspekten diskutiert. Im Kern geht es darum, die Unterschiede zwischen Menschen als positiv wahrzunehmen und sie aktiv zur Erreichung von Zielen zu nutzen. Denn dass andere Menschen „anders“ sind, lässt sich eben auch als Ressource betrachten.
Unter dieser Prämisse ist es aber weder selbstverständlich noch sinnvoll, davon auszugehen, dass sich Menschen, die nach Deutschland kommen, der bestehenden Gesellschaft in allen Aspekten anpassen müssen, dass sie sich sozusagen aller kultureller Wurzeln entledigen und in der Mehrheitsgesellschaft „unsichtbar“ werden. Wissenschaftlich fällt das übrigens unter den Begriff „Assimilation“.
Anhaltspunkte, worum es bei Integration geht, können diese Kategorien bieten:
kulturelle Aspekte (Spricht er die Sprache, wurden kulturelle Traditionen beibehalten oder neue übernommen?),
soziale Aspekte (Hat die Person Kontakte zur Nachbarschaft, in Vereinen, im Arbeitsumfeld?),
strukturelle Aspekte (Wie sehen die Jobchancen aus, in welchem Viertel werden Wohnungen gefunden, kommt ein Studium infrage?) und
emotional-identifikative Aspekte (Fühlt sich die Person hier zu Hause?).
Dass wir kulturelle Unterschiede als Unterschiede und nicht als kulturelle Vielfalt wahrnehmen, liegt auch daran, dass wir in unserem Selbstverständnis Deutschland immer noch nicht als Einwanderungsland begreifen – obwohl es das bereits seit Jahrzehnten ist. [10]
„Diversity“ spielt übrigens nicht nur im interkulturellen Miteinander eine große Rolle: Neben der Herkunft gelten auch andere Eigenschaften einer Person wie z. B. Alter, Geschlecht, Religion, Bildungsstand und Aussehen sowie nicht sichtbare Eigenschaften wie kultureller Hintergrund oder gesellschaftliche Position als relevante Merkmale, aufgrund derer Diskriminierung entstehen kann.
Diversity Management im Betrieb bedeutet, die Unterschiedlichkeiten, die in der Belegschaft vorhanden sind, so zu organisieren und den Umgang damit so zu gestalten, dass potenzielle Vorteile maximiert und Nachteile minimiert werden. So gesehen ist Diversity Management ein konstruktiv gestaltendes Werkzeug in der Mitarbeiterführung: Die individuellen Merkmale eines Einzelnen werden nicht nur toleriert, sondern möglichst für die Ziele des Unternehmens eingesetzt. Die Gleichstellung und Teilhabe des Einzelnen im Unternehmen und der Abbau von Diskriminierung werden damit zu einem selbstverständlichen und notwendigen Schritt auf dem Weg zur Erreichung der Unternehmensziele.
Elemente des betrieblichen Diversity Managements können sein:
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