Schicksalsmomente. Stefan Fröhling

Schicksalsmomente - Stefan Fröhling


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Petrus wurde wahrscheinlich im Jahr 67 in Rom hingerichtet.

      Der zweite Teil der Apostelgeschichte befasst sich mit den drei großen Missionsreisen des Apostels Paulus, die etwa im Jahr 45 begonnen und, mit Unterbrechungen, bis zu seiner Ankunft in Rom um das Jahr 60 angedauert haben. Dort wurde er unter Kaiser Nero (37 – 68 n. Chr.; Kaiser ab dem Jahr 54) zum Tode verurteilt und im Jahr 63 oder 64 mit dem Schwert getötet. Aus den Jahren vor 50 sind keine von Paulus verfassten Briefe vorhanden, was aber nicht heißen muss, dass er keine geschrieben hat. Dem Autor der Apostelgeschichte standen wahrscheinlich schriftliche Notizen über die Paulusreisen zur Verfügung16, jedoch nicht die Paulusbriefe selbst. Eine frühe, redaktionell bearbeitete Sammlung der Briefe ist erst aus der Zeit um 100 nach Christus bekannt.

      „Lukas“ zählt bereits zur dritten Generation der Jesus-Bewegung, denn sowohl die Augenzeugen, also vor allem die Jünger Jesu, als auch die Missionare der zweiten Generation, zu denen Paulus gehört hat, sind mittlerweile tot. Der Verfasser der Apostelgeschichte sieht – anknüpfend an die Wiedergabe des Lebens und Sterbens Jesu im Lukas-Evangelium – seine Aufgabe folglich darin, die durch den „Heiligen Geist“ im Pfingstereignis (Apg 2,1 - 13) initiierte Verbreitung des „Wortes Gottes“ von Jerusalem über die frühen Missionierungsgebiete in Kleinasien und Griechenland bis hin zur christlichen Gemeinde in Rom darzustellen. Ihm ist daran gelegen, aufkommende Irrlehren abzuwehren sowie generell die grenzüberschreitende Kontinuität und die göttliche Heilszusage des Christentums für Menschen aufzuzeigen, die zeitlich und räumlich weiter vom ursprünglichen Geschehen entfernt sind. Er will die Geschichte Jesu mit der Weltgeschichte in Verbindung bringen.17 Der Autor der Apostelgeschichte hält Paulus, der mit seinem missionarischen Engagement bedingungslos für die Sache Jesu einsteht, für den Repräsentanten dieser zielstrebigen Glaubensvermittlung.

      Obwohl die historischen Aussagen der Apostelgeschichte nicht zu unterschätzen sind, so sind sie doch gegenüber den authentischen Paulusbriefen nachrangig und müssen in ihrer Bedeutung jeweils kritisch überprüft werden. Im Gegensatz zu den auf die konkreten Gemeindesituationen bezogenen Briefen hat die Apostelgeschichte einen literarischen, erzählenden und erbaulichen Charakter, der auch dem Apostel Paulus zugeschriebene Wundertaten mit einschließt.

      „Lukas“ berücksichtigt dabei „das Problem der bislang ausgebliebenen Parusie“18, also der „Naherwartung“ (wörtlich: „Anwesendsein“ oder „Gegenwart“), dass nämlich durch die endgültige Wiederkehr des Messias das Reich Gottes in Vollkommenheit anbrechen werde. Der Begriff „Messias“ ist die griechische Form des hebräischen Wortes „Maschiach“ und identisch mit der späteren Bezeichnung „Christus“. Die drei Begriffe bedeuten übersetzt „der Gesalbte“ und beziehen sich auf die alttestamentliche Verheißung eines Gott- oder Heilskönigs, der Juden wie Christen und – religiös weitergedacht – letztlich die Welt erretten und erlösen wird. Petrus, Paulus und die Christen der frühen Gemeinden waren davon überzeugt, dass dies noch zu ihren Lebzeiten geschehen werde. Es muss daher für so manche arg irritierend gewesen sein, als trotz der Naherwartung Gemeindemitglieder starben.

      Die Apostelgeschichte versucht deshalb, das allzu enge zeitliche Verständnis der messianischen Wiederkunft aufzubrechen: „Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat“ (Apg 1,7). „Also kehrt um und tut Buße, damit eure Sünden getilgt werden und der Herr Zeiten des Aufatmens kommen lässt und Jesus sendet als den für euch bestimmten Messias. Ihn muss freilich der Himmel aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung von allem, die Gott von jeher durch den Mund seiner heiligen Propheten verkündet hat“ (Apg 3,19 – 21).

      „Lukas“ betrachtet die Entstehung der frühen Kirche, die der unmittelbaren jesuanischen Zeit folgt, als zweite Epoche der Heilsgeschichte, die gleichwohl endzeitlich ausgerichtet bleibt19, als sei es eine „Zwischenzeit“.20 Diese temporäre Unbestimmtheit brachte es zwangsläufig mit sich, dass sich in den Gemeinden festere Strukturen und Leitungsämter zu bilden begannen.

      Paulus selbst versucht bereits Jahrzehnte zuvor, eine Art Kompromiss hinsichtlich der Parusie zu finden, indem er in seinem 1. Brief an die Thessalonicher schreibt: „Wir, die Lebenden, die noch übrig sind, wenn der Herr kommt, werden den Verstorbenen nichts voraushaben. Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt. Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen; dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen. Dann werden wir immer beim Herrn sein“ (1 Thess 4,15 – 17). Im 1. Brief an die Korinther bekräftigt Paulus diese Sichtweise noch einmal: „Seht, ich enthülle euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, aber wir werden alle verwandelt werden – plötzlich, in einem Augenblick, beim letzten Posaunenschall“ (1 Kor 15,51 – 52).

       Paulus, der Jude aus Tarsus

      Es verhält sich nun mal so, dass sich das Leben des Apostels Paulus, wie das anderer Personen des Neuen Testaments auch, mindestens genauso stark aus seiner Umwelt wie aus den autobiographischen Äußerungen oder den biographischen Schilderungen bei „Lukas“ erschließen lässt. Sicher ist, dass Paulus Jude war und blieb. Das bezeugt er mehrfach in seinen Briefen. Jesus selbst, die zwölf Apostel sowie die ersten Anhänger Jesu in Jerusalem und Palästina, waren ebenfalls Juden.

      Paulus wurde in den Jahren 5 bis 10 unserer Zeitrechnung in der am östlichen Mittelmeer gelegenen Hafenstadt Tarsus (im südlichen Kleinasien) geboren, die wie Antiochia der römischen Provinz Syrien (Syrien-Kilikien) angehörte. Die möglichen Geburtsjahre beruhen auf einer Schätzung, und allein die Apostelgeschichte nennt Tarsus ausdrücklich als Geburtsort (22,3). Diese informiert die Leser und Zuhörer zudem darüber, dass Paulus neben dem tarsischen sogar das römische Bürgerrecht besaß, und zwar von Geburt an (Apg 22,28). Das bedeutet, dass Letzteres schon seinen Eltern oder früheren Familienmitgliedern verliehen worden war. Ganz sicher ist es allerdings nicht, ob der „Lukas“-Text hier auf Tatsachen fußt.

      Paulus’ Eltern waren jedenfalls gläubige Diaspora-Juden und haben ihren Sohn, wie er selbst in seinem Brief an die Philipper mitteilt, bereits am achten Tag nach seiner Geburt beschneiden lassen (Phil 3,5). Die Beschneidung ist ähnlich der Taufe ein äußeres Zeichen für die Aufnahme in die Religionsgemeinschaft. Von den Eltern hat er auch den alten jüdischen Namen „Saul“ erhalten, dem im Sinne des römischen Bürgerrechts der lateinische Name „Paulus“ hinzugefügt wurde. Die angebliche „Verwandlung“ des Saulus in den Paulus bei der Bekehrung zum Apostel ist also lediglich eine Zuspitzung. Paulus hat den Namen „Saul“ oder „Saulus“ in seinen Briefen nicht verwendet.

      Die Stadt Tarsus war, wie viele hellenistische Großstädte, nicht nur ein weltoffener Umschlagplatz für Güter, sondern auch eine angesehene Wirkungsstätte der Bildung, der Philosophie und der Kunst. Verschiedene Nationalitäten trafen hier ebenso aufeinander wie unterschiedliche Religionen und rivalisierende soziale Schichten. Diese vom Hellenismus durchdrungene Vielfalt hat Paulus in seiner Kindheit und Jugend sehr geprägt und ihn zu einem regelrechten Kosmopoliten werden lassen21, der bei seinen zukünftigen Missionsreisen vor dem städtischen Publikum des römischen Imperiums aufzutreten wusste.

      Der Begriff „Hellenismus“ beschreibt die Ausbreitung der griechischen Kultur und Sprache seit den Eroberungszügen Alexanders des Großen (356 – 323 v. Chr.), dessen Reich von Griechenland und Kleinasien im Norden sowie Ägypten und Palästina im Süden weit nach Osten bis an die Grenzen Indiens reichte. Griechische Siedler brachten in die schon bestehenden oder die von ihnen neu gegründeten Städte ihre Sitten und Gebräuche, ihre Religion und Philosophie, ihr Rechtsverständnis und ihre Baukunst mit. So entstand zum Beispiel in der ägyptischen Stadt Alexandria, die direkt auf Alexander den Großen zurückgeht, ein geachtetes Zentrum der Wissenschaften und eine Bibliothek, die als die größte in der Antike gilt. Die griechische Sprache – „Koiné“, also die „gemeinsame“ Sprache genannt – wurde mündlich und schriftlich zur überall gültigen Verkehrssprache. Wer sie nicht zu sprechen vermochte, wurde als Barbar angesehen. Das Römische Reich nahm ab dem zweiten Jahrhundert vor Christus die hellenistische Kultur von Griechenland bis Ägypten in sich auf,


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