Schicksalsmomente. Stefan Fröhling

Schicksalsmomente - Stefan Fröhling


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gegessen hatte, kam er wieder zu Kräften“ (Apg 9,19) – wie es sich für eine ordentliche Vesper gehört.

       Lebensdaten

      Zw. 5 u.10: Saul/​Paulus wird in Tarsus (Kleinasien) geboren

      Vor 30: Jüdisch-religiöse Ausbildung (eventuell in Jerusalem) sowie eine Ausbildung zum Zeltmacher

      30: Kreuzigung Jesu in Jerusalem

      Vor 33 bis um/​nach 33: Paulus geht als Pharisäer gegen die Judenchristen vor (besonders in Damaskus)

      Um 33: Steinigung des Stephanus

      Um/​nach 33: Bekehrungserlebnis vor Damaskus

      Nach 33 bis um 35: Paulus unter anderem in Damaskus

      Um 35 Erstes Treffen mit dem Apostel Petrus in Jerusalem (15 Tage)

      Um 45 bis 47: 1. Missionsreise: Zypern und Kleinasien

      48/​49: Apostelkonzil in Jerusalem (Paulus trifft Petrus dabei erneut); danach Konflikt mit dem Apostel Petrus in Antiochia

      49 – 50: 2. Missionsreise: Syrien, Kleinasien, Makedonien

      50 – 52: Apostel Paulus in Korinth

      52 – 54/​55: 3. Missionsreise: Ephesus, Makedonien, Kleinasien, Cäsarea

      57: Apostel Paulus in Jerusalem

      57 – 59: Apostel Paulus in Cäsarea

      Um 60: Ankunft in Rom

      63/​64: Hinrichtung des Apostels Paulus unter Kaiser Nero in Rom

       Aurelius Augustinus (354 – 430)

      „Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir.“40

      Dieses schöne Wort aus dem Buch „Bekenntnisse“ des heiligen Augustinus, das dieser an Gott gerichtet hatte, wird seither gern auf das Phänomen der Liebe allgemein übertragen: Liebe sei ein „Ruhen im Herzen des Anderen“. Der Satz kann wohl als eine der schönsten Formulierungen gelten, die jemals über die Liebe gefunden wurde. Und die „Bekenntnisse“ enthalten noch viele weitere solcher Sätze, ja das ganze Buch gilt als eine „Sternstunde der Philosophie“ überhaupt.41 Hier wird wohl erstmals in der Geschichte der Menschheit jedem Leser eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensweg, dem tiefsten Inneren und eine ganz persönliche Begegnung mit Gott nahegebracht, weshalb man über Augustinus’ Biographie außergewöhnlich gut Bescheid weiß.

      Dabei stand dem Autor der Sinn in seiner frühen Jugend meist nach ganz andern Dingen, obwohl ihm die Auseinandersetzung mit Gott gleichsam in die Wiege gelegt worden war. Diese Wiege befand sich am 13. November des Jahres 354 nach Christus in Thagaste in Nordafrika, dem heutigen Souk Ahras in Algerien. Augustinus’ Mutter, die heilige Monica (331 – 387), war eine begeisterte Christin und erzog ihren ältesten Sohn im Sinne dieses Glaubens, ließ ihn aber nicht gleich taufen. „Nichts ist fern von Gott, es ist auch nicht zu fürchten, dass er beim Ende der Welt nicht wüsste, wo er mich erwecken soll.“42 Mit diesen Worten der Zuversicht aus dem Mund seiner Mutter – als Antwort auf die Frage, wo sie dereinst beerdigt sein wolle – belegte er deren tiefen Glauben.

      Sein heidnischer Vater, der begüterte römische Beamte Patricius, soll keine besondere Rolle für Augustinus gespielt haben, ebenso wenig wie sein Bruder Navigius und seine Schwester Perpetua. Vielleicht wurde ihm durch den Vater immerhin das Bewusstsein von der damals noch festen geistigen Klammer des Römischen Reichs vermittelt, welche noch einige wenige Jahre den Rahmen für die gesamte damalige „Welt“ abgab. In diesem Reich hatte schon 313 die „Konstantinische Wende“ stattgefunden, durch die das Christentum erst zu einer geduldeten Kirche wurde und 380 zur Staatsreligion erhoben werden konnte – was in einem sehr rechtsbetonten Staatssystem, wie dem römischen, im Grunde überlebenswichtig war.

      Augustinus soll der Begabteste in der Familie gewesen sein43, weshalb man ihn – nach dem Elementarunterricht in Thagaste – nach Madaura auf die Rhetoren- bzw. Grammatikschule schickte. Mit sechzehn Jahren zog Augustinus dann nach Karthago, wo er Rhetorik studierte.

      Die dortige Schule, die man im Rückblick als „Hochschule“ bezeichnen könnte, betrachtete er später in seinen „Bekenntnissen“ recht abfällig und schonte auch sich selber nicht mit Kritik: „[…] dort wollte ich glänzen, um so ruhmreicher, je gewandter ich das Recht verdrehen würde. So groß ist die Verblendung der Menschen: Sie rühmen sich noch ihrer Verblendung. Und schon galt ich was in der Schule des Rhetors und freute mich dessen höchlich und schwoll von Selbstgefühl“.44

      In Karthago hatte er auch eine Konkubine, also eine zeitweise Lebensgefährtin, mit der er nicht verheiratet war, die ihm aber einen Sohn schenkte, den sie Adeodatus nannten. „Ich hatte in diesen Jahren geschlechtlichen Umgang mit einer einzigen, nicht in einer Ehe, die man gesetzmäßig nennt – die schweifende Brunst, der Besonnenheit bar, hatte sie aufgespürt –, immerhin nur mit der einen“.45

      Laut seinen „Bekenntnissen“ lernte er dadurch auch den Unterschied zwischen einer ehelichen Bindung, „die man der Zeugung wegen eingeht, und einem Abkommen zum geschlechtlichen Liebestausch“.46 Worin der Unterschied genau besteht, verriet er hier allerdings nicht. Sein Interesse galt also in seiner Jugend vorrangig seinem „Selbstgefühl“.

       Ein Buch verändert das Leben

      Recht schnell verließ der 19-Jährige dann das Bett der Geliebten, um sich Büchern zuzuwenden; das sollte sein Leben bis zum Ende prägen. Es mag häufig vorkommen, dass ein Mann sich nach der Befriedigung seiner geschlechtlichen Triebe und der Hingabe an das Emotionale in seiner Jugend hauptsächlich dem Mentalen zuwendet, in einem Beruf Karriere macht, studiert, kreativ wird und selber Bücher schreibt; es gab aber wohl selten solch eine radikale Wende, wie das bei Augustinus der Fall war; ein Schicksalsmoment bei der Begegnung mit einem bestimmten Buch.

      Diese sollte sein ganzes weiteres Leben prägen. Diese Begegnung und innere Entwicklung des Heiligen war wohl auch ein früher Vorbote der kommenden neuen Epoche des Mittelalters. Auch Martin Luther wurde im Spätmittelalter, im Jahre 1505, Mönch im Orden der Augustiner-Eremiten (siehe das Luther-Kapitel in diesem Buch).

      Das Buch selber nun, um das es geht, entstammte freilich noch ganz der Antike: „Hortensius“ von Cicero, eine heute nur in winzigen Resten erhaltene „Werbeschrift“ für die Philosophie. „, Liebe zur Weisheit’ aber besagt das griechische Wort Philosophie, und zu dieser Liebe entflammte mich jene Schrift“,47 beschrieb Augustinus die Wirkung der Lektüre.

       „Sie gab meinem Gemütsleben eine andere Richtung, meinen Gebeten die Richtung auf Dich selbst, o Herr, und machte, dass mein Wünschen und Sehnen nun auf anderes ging.“ 48

      Eine Schrift aus der Antike – Richtung gebend letztlich auf das Christentum hin, auf den Kulturträger des Mittelalters. Oft denkt man beim Stichwort „Schicksalsmoment“ im Leben des Augustinus an einen späteren Augenblick der Inspiration in seinem Lebenslauf – auf den wir noch eingehen werden – und vergisst, dass bereits die Begegnung mit Cicero eine erste Wende für sein Dasein brachte. Er war wohl eine Persönlichkeit, die für solche Schicksalsmomente mit großen Folgen besonders disponiert war.

      „Hortensius“ brachte für den jungen Augustinus eine radikale Änderung seines Lebenswandels mit sich: Nach seiner Cicero-Lektüre wandte er sich vom ausschweifenden Leben ab und wurde erst einmal Manichäer, „weil er in dieser Sekte eine tiefere und radikalere Form des Christentums erblickte“.49 Deren Anhänger glaubten an eine künftige „, Erweckung‘ der Seele durch das ‚Vernunftlicht‘“. Jesus als diese Art Lichtgestalt werde die Erweckung für diejenigen bringen, so glaubte man, die zu Lebzeiten sexuelle Enthaltsamkeit üben, fasten, vegetarisch essen, keine Handarbeit


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