Fjodor M. Dostojewski. Rainer Buck
Erzähler in die Weltliteratur eingegangen ist. Aber er experimentiert noch mit der angemessenen literarischen Form und ist außerdem stark schwankend in der Frage, was er durch seine Erzählungen vermitteln möchte.
Der orthodoxe Glauben als verbindlicher Maßstab, die menschliche Existenz auszumessen, ist für ihn in diesen Jahren weitgehend bedeutungslos. Seine Weltanschauung ist von der gesellschaftskritischen Philosophie Jean-Jacques Rousseaus geprägt, obwohl er gegenüber dessen Menschenbild Einwände hat. Dass der Mensch von Natur aus gut sei und nur durch die Gesellschaft verdorben werde, entspricht nicht Dostojewskis Sicht. Für ihn ist eher die christliche Vorstellung plausibel, wonach das Böse ein natürlicher Teil des menschlichen Wesens ist, allerdings überwunden werden kann. Theologisch orientiert er sich eine Zeit lang an dem Leben-Jesu-Forscher David Friedrich Strauß: Jesus Christus hat für ihn die Bedeutung eines Idealmenschen oder einer weltgeschichtlich überragenden Idee.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens, die immerwährende Orientierungssuche des Menschen zwischen Erde und Himmel, blitzt immer wieder in Dostojewskis Frühwerken auf. Soziale Fragen und Gesellschaftskritik schwingen mit, aber die menschliche Seele beschäftigt Dostojewski noch mehr. Wo andere Autoren gerne zu satirischen Mitteln greifen und Menschentypen karikieren, sind bei Dostojewski selbst lächerliche Figuren ernst zu nehmen. Er stellt Individuen über Ideen und zeigt menschliche Widersprüchlichkeit und Tragik auf. Wird das Böse im Menschen entlarvt, geschieht es, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, was die menschliche Würde ausmacht.
Die Vielschichtigkeit seiner Erzählungen und die Virtuosität seiner Sprache werden nach dem großen Anfangserfolg in der Folgezeit von Kritikern und Publikum teilweise verkannt. Zu sehr sind seine Figuren Außenseiter mit oft krankhaft anmutenden Charaktereigenschaften. Sie tragen in sich die Spuren der Zerrissenheit einer Übergangsgesellschaft, in der die alten Werte unterhöhlt sind, ohne dass andere überzeugende Antworten auf existenzielle Fragen schon gefunden wären. Dostojewski begnügt sich nicht mit oberflächlichen Thesen, wenn es um die Frage nach dem Sinn des Lebens geht (und mit weniger beschäftigt er sich selten). Er seziert geradezu die Menschenseele, um seine Leser nicht mit zu einfachen Wahrheiten abzuspeisen.
Das Schreiben ist Dostojewski so notwendig wie die Luft zum Atmen. Wenn er schreibt, kommt er selbst bei sich an, dann blitzt auch immer etwas von der Liebe und vom Mitgefühl für seine Mitmenschen auf, das er im wirklichen Leben nicht immer zeigen kann. Er habe, beschreibt er sich zu dieser Zeit selbst, einen widerlichen, abstoßenden Charakter … Ich kann nur dann mein menschliches Herz und meine Liebe zeigen, wenn ich durch einen äußeren Umstand, einen besonderen Zufall aus der Banalität des Alltags gerissen werde. Bis das geschieht, bin ich ekelhaft. Beschreibungen von Weggefährten relativieren zwar diese negative Selbstcharakterisierung, doch die Begleiterscheinungen seiner Nervenkrankheit machen ihn im täglichen Leben unausgeglichen und reizbar.
Mit dem, was Dostojewski als Schriftsteller verdient und was ihm als Anteil aus dem elterlichen Erbe überwiesen wird, hätte ein anderer in bescheidenem Wohlstand leben können, aber das Haushalten ist weiterhin nicht seine Sache. Im Vorfeld der Ereignisse, die sein Leben einschneidend verändern werden, ist er wieder einmal so pleite, dass er den Verleger Krajewski um 15 Rubel Vorschuss anfleht: Eine Woche lang bin ich schon ohne einen Pfennig. Buchstäblich nichts. Wenn Sie nur wüssten, wie heruntergekommen ich bin.
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