Mein Haus, mein Hof, mein Rudel. Gisela Gersch-Gernoth

Mein Haus, mein Hof, mein Rudel - Gisela Gersch-Gernoth


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simulieren und so ein vertrautes Gefühl vermitteln, lesen wir in einem Hundebuch. Heute glaube ich nicht mehr daran, dass ein Hund, sensibel wie er ist, mit seinem feinen Gehör diesen Unterschied nicht erkennt.

      Am nächsten Tag, es ist Sonntagvormittag, klingeln wir bei unseren Nachbarn schräg gegenüber, deren Dackel schon vor längerer Zeit verstorben ist, und fragen, ob sie uns mit Halsband und Leine aushelfen können. »Selbstverständlich«, lautet die Antwort. Paula, die das Handtuch um den Bauch hat, wird liebevoll begrüßt, und wir werden beglückwünscht, denn die Freude an einem Hund sei doch so groß. Danach machen wir unseren ersten kleinen Spaziergang mit geliehenem Halsband und geliehener Leine. Die Dorfbewohner schenken uns große Aufmerksamkeit, sodass Paula gleich einige von ihnen kennenlernt. Heute Morgen ist kein weiterer Hund zu sehen. Es zeigt sich jedoch in den nächsten Tagen, dass sich fast alle Kontakte mit den Hunden in der unmittelbaren Nachbarschaft, die auch frei laufen dürfen, spielerisch freundlich gestalten. Nur Charly, ein älterer, mittelgroßer Mischlingsrüde mit zottigem Fell, ist ein Welpenfeind. Wir müssen Paula bei Begegnungen vor ihm schützen.

      Schon in den ersten Tagen zeigt Paula eine große Eigenständigkeit. Sie weiß genau, was sie möchte und was nicht, so verweigert sie z. B. beim ersten Tierarztkontrollbesuch das angebotene Leckerli. Diese Unbestechlichkeit entwickelt sich später zu einem ihrer wesentlichsten Charakterzüge. Uns gegenüber ist sie vertrauensvoll, doch von einer Schmusehündin kann man nicht sprechen. Ein bisschen streicheln und dann ist gut. Nachdem Paulas Knochen gefestigt sind und wir die Barriere vor der Treppe nach oben entfernt haben, kommt sie nachts ins Schlafzimmer und legt sich zum Schlafen auf den Teppich vor unserem Bett. In das Bett krabbelt sie nur, wenn sie allein ist. Eine dort entstandene, sandige Mulde verrät es. Unten im Wohnzimmer erobert sie sich schon nach kurzer Zeit einen schweren Sessel, der vor den bodentiefen Glaselementen der Fenster zur vorderen Terrasse in Richtung Westen, zur Straßenseite hin, steht. Dort kann sie sich zusammenkringeln und dösen, dann aber auch den Kopf auf das runde Polster der Seitenlehne ablegen, sodass sie einen freien Blick nach draußen hat. Ein strategisch wichtiger Platz!

      Die Reinlichkeitserziehung geht spielend schnell. Nachts gehe ich mit ihr vorbeugend nach draußen, was sie bei den ersten Malen ausnutzt, um den ganzen Garten zu durchschnüffeln. Hinter und unter Büschen muss ich sie suchen, weil sie gar nicht daran denkt, auf mein Rufen hin zu mir zu kommen. Seitdem bleibt sie an der Leine, und ich selbst werde nicht unnötig putzmunter und kann den Rest der Nacht nicht mehr schlafen. Es dauert nicht lange, und Paula kann ihre Blase die ganze Nacht kontrollieren. Muss sie ins Freie, stellt sie sich vor die Tür und schaut uns auffordernd an. Ihren Essplatz hält sie peinlich sauber. Fällt ein Bröckchen daneben, wird es sofort aufgeleckt.

      Erst als sie deutlich älter wird, ändert sich das. Ins Freie möchte sie immer, egal, ob es regnet oder stürmt, und auch das ändert sich erst im Alter.

      In den ersten vierzehn Tagen kann ich Paula durchgängig betreuen. Auch danach ist sie nicht allein, denn nun hat Wolfgang Zeit für sie, und so kann sie sich ganz an ihr kleines Rudel gewöhnen. Der Tagesablauf ändert sich für uns drastisch. Vor dem Frühstück ein kleiner Spaziergang zum Feldweg, nach dem Frühstück ein großer, denn danach muss Paula lange allein bleiben, bis dann am Mittag einer von uns wieder da sein kann. Wann immer es möglich ist, fahre ich kurz während meiner Arbeitszeit nach Hause, um nach Paula zu schauen. So können wir die Zeitspannen, in denen wir sie allein lassen, langsam verlängern. Einmal in der Woche kümmert sich auch unsere Frau Sordens zwischendurch um Paula und lässt sie in den Garten. »Gleich kommt Sordi Sordens«, sage ich am Mittwochmorgen, wenn sie kommt. Paula jauchzt, läuft zur Tür, wo Sordi stürmisch empfangen wird, und verliert vor lauter Freude etwas Pipi. Die beiden verstehen sich sehr gut; Sordi unterhält sich auch immer mit Paula und erklärt ihr, was sie gerade macht. »Sie wird ja so ein großer Hund. Dann kann ich mit ihr leider nicht spazieren gehen.« Sordi glaubt, dieses temperamentvolle Etwas später nicht mehr halten zu können, so kräftig zieht der Welpe an der Leine. Am Nachmittag machen wir dann wieder einen großen Spaziergang und zum Abend noch einen kurzen. Das kleine Rudel ist immer in Bewegung, mal auf sechs Beinen, mal auf acht. Paula braucht viel Bewegung, und nichts geht dem kleinen Wildfang über das Toben mit anderen Hunden, die uns im Dorf oder in der Feldmark begegnen. Zum Spielen kommt auch des Öfteren Berti, ein Golden-Retriever-Welpe aus der Nachbarschaft, zu Besuch, von dem ich später noch erzählen werde.

      Natürlich fallen einige Bücher Paulas Kaugelüsten zum Opfer, und auch ein Schuh ist dabei, ebenso ein Kabel. Nicht so schlimm, denn der Stecker war in weiser Voraussicht gezogen. Wolfgangs Portemonnaie kann kurzfristig gerettet werden, als wir einmal übers Wochenende an die Nordsee fahren und fast ein Malheur passiert wäre. Von der kleinen Ferienwohnung läuft Paula samt Portemonnaie über die Terrasse in die anderen Gärten – wir eiligst hinterher und erwischen sie, bevor sie noch weiter weglaufen kann. Auch auf den Deich, als Paula sich ein Seemöwen-Aas aus dem Watt holt und voller Freude mit der tollen Beute im Fang durch die Gegend jagt, müssen wir noch einmal einschreiten. Zum Glück verliert sie recht schnell wieder das Interesse an ihrem Fund und trottet uns entgegen.

      Die Entwicklungsphasen wechseln sich rasch ab, und schon nach vier Monaten ist der Welpenspeck verschwunden. Paula gewöhnt sich an unser Berufsleben und den damit verbundenen Rhythmus. Sie kennt es nicht anders. Beim Abschied am Morgen bleibt sie ganz ruhig, schaut durch die Scheibe in der Haustür, wenn wir den Schlüssel drehen, läuft dann zur vorderen Terrassentür und sieht zu, wie wir durch das Gartentor die Straße betreten. Es fällt uns unendlich schwer, sie allein zu lassen. Aber es geht nicht anders. Die Nachbarn erzählen, sie würde nur bellen, wenn jemand das Grundstück betritt, deshalb versetzen wir für den Postboten den Briefkasten. Er steht nun draußen neben der Gartenpforte. So braucht Paula nicht regelmäßig den Wachhund in sich bemühen. Bevor wir ins Auto steigen, winken wir ihr zu: »Wir kommen bald wieder.«

      Ich bin tapfer – wären wohl ihre Worte gewesen.

      Che bello cane

      CHE BELLO CANE

      Schon mit gepacktem Wagen fahre ich morgens noch kurz zur Arbeit, damit wir um 11 Uhr unsere erste große Reise mit Paula starten können. Unser Ziel: Italien, Italien im Frühling! Wir werden abends in Österreich zum Übernachten Station machen, wo genau, wissen wir noch nicht. So der Plan! Paula fährt gern Auto – mit etlichen Pausen zum Beine-Vertreten und für das Nötigste werden wir das wohl schaffen. Wir sorgen dafür, dass Paulas Magen nicht zu voll ist, damit ihr nicht schlecht wird. Ihre üppigste Mahlzeit nimmt sie sowieso am Abend zu sich. Von daher kann also nichts schiefgehen. Voller Vorfreude fahren wir los, Paula auf der Rückbank auf einem kuscheligen Schlafsack, der die nächsten vierzehn Tage als Hundekorb-Ersatz dienen wird.

      Nach drei Stunden, etwas südlich von Würzburg, machen wir unsere erste Pause. Wir rollen vorbei an Tankstelle und Raststätte und halten bei den hinteren Parkplätzen, wo auch Büsche und Bäume sind. Paula braucht schließlich ein bisschen Grün! Ich nehme die Leine, die vor meinen Füßen liegt, steige aus und öffne die Hintertür, um Paula herauszulassen, die während der Fahrt ruhig vor sich hin gedöst hat. Das gleichmäßige Autobahnfahren ohne Kurven und ohne Geschwindigkeitsschwankungen schläfert nicht nur den Fahrer ein – auch junge Hunde können dabei offensichtlich gut schlafen. Ich greife nach dem Halsband und werde stutzig: Es ist kein Halsband da! Paula springt aus dem Wagen. Blitzschnell halte ich sie fest, indem ich sie umarme. Jetzt fällt es mir wieder ein: Nach dem morgendlichen Spaziergang war Paula sehr schmutzig, sodass Wolfgang sie noch vor der Abfahrt geduscht hat – alles für Italien natürlich! Ja, und das Halsband …? Nun, das blieb liegen. Auf dem Wannenrand. Alle Wetter – da liegt es gut! Mit dem einen Leinenende kann ich durch den vorgegebenen Ring eine Schlaufe bilden, die um Paulas Hals passt, eher noch etwas zu groß ist. Diese Schlaufe dient sonst als Haltegriff. Ein Provisorium, das uns nun bei unserem kleinen Spaziergang hilft. Durch die vielen fremden Eindrücke und vor lauter Aufregung dauert dieser nun doch etwas länger. Aber alles geht gut!

      Wir beschließen, gegen fünf Uhr nachmittags die Autobahn zu verlassen, um in einer Kleinstadt noch vor Geschäftsschluss ein Halsband für Paula zu kaufen. Außerdem suchen


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