Mein Haus, mein Hof, mein Rudel. Gisela Gersch-Gernoth
über Felsbrocken und Paula kann trinken – jedenfalls jetzt noch. Denn im Sommer gibt es hier kein Wasser mehr. Wir stoßen auf die eine oder andere Ruine und schwärmen davon, sie zu kaufen und wieder aufzubauen. »Diese Aussicht und die Zufahrt ist auch passabel. Das wär᾿s doch!« In der Mittagszeit ist es bei strahlendem Sonnenschein schon sehr warm, und wir sehen, dass Paula ein Stück läuft, sich im Schatten eines Baumes oder Strauches niederlässt, dann wieder aufsteht und zum nächsten Schatten eilt, immerfort. Wir haben nicht damit gerechnet, dass ihr diese Aprilsonne schon so stark zu schaffen macht. Nun, dann machen wir jetzt eine kleine Siesta. Zunächst Wasser und einen Hundekeks für Paula, für uns Vesperbrote und Mineralwasser – alles im Schatten mit Ausblick in die Landschaft.
Um uns herum surrt und summt es, Bienen, Hummeln, Schmetterlinge; die Macchia mit Ginster, Thymian, Salbei und Zistrose lockt sie alle an. Ich wünsche mir, hier einmal die Klatschmohnblüte sehen zu können. Wir ruhen uns aus und Paula schläft fest. Ihre Augäpfel bewegen sich unter ihren Lidern. Welche Traumbilder mag sie wohl sehen? Jagt sie ein Kaninchen? Stellt sie gerade einen Einbrecher? Oder träumt sie nur von den Hummeln, Bienen und Schmetterlingen, die uns umgeben? Man kann es nicht wissen. Und so träumen wir gemeinsam vor uns hin, jeder auf seine Art, in seiner Weise, um Kraft für den Rückweg zu sammeln. Dieser ist weniger anstrengend als der Hinweg, denn es geht stetig und leicht bergab. Paula nimmt nur noch ab und zu einen Schattenplatz ein. Plötzlich sehen wir hinter einer Kurve eine große Schlange auf dem Weg. »Paula!!« Zwei Rufe erschallen wie aus einem Mund. Sie bleibt sofort stehen. Es ist eine Aspisviper, ca. 80 cm lang, erkennbar am dunkelbraun-schwarzen Schläfenband am äußeren Auge, das erfahren wir später von unserem Nachbarn. Sie ist tagaktiv und giftig, und jetzt im April/Mai ist Paarungszeit. Gemeinsam, aus sicherer Entfernung, beobachten wir die Schlange, die sich nach einer Weile in das Steingeröll zurückzieht. Mit einer gewissen Erleichterung haben wir bald den Abstieg zum Haus über den Trampelpfad erreicht. Paula läuft vorweg und wartet unten in dem kleinen Bachlauf auf uns, in dem sie vorsichtig zwischen den Steinen im kühlen Nass auf und ab geht und Wasser schlürft.
Wenn wir mit unserer Hündin in einem kleineren, wenig touristischen Städtchen durch die Straßen gehen, wird uns sehr viel Aufmerksamkeit zuteil. Weniger dadurch, dass Paula ziemlich ausdauernd an der Leine zerrt, weil sie durch die vielen fremden Eindrücke und Gerüche sehr aufgeregt ist und das Kommando »Fuß« in ein Ohr hinein geht und zum anderen hinaus, sondern allein durch ihr Aussehen. Ob in Castellione di Lago am Traminischen See, ob in Arrezzo oder Cortona – die Szenen ähneln sich. Wir parken, nachdem wir über viele Serpentinen in die Höhe gefahren sind, an der Stadtmauer von Cortona. Die Dächer des Städtchens werden, wie es scheint, himmelhoch vom Glockenturm der Santa Margherita überragt. Ein grandioser Ausblick in die Tiefebene bietet sich uns. Schweift der Blick zum Horizont, erscheint dort das sanfte Hügelland der Toskana. Um die Piazza zu erreichen, gehen wir durch ein Stadttor, dann eine der kleinen mit Sandstein gepflasterten Gassen entlang, die alle dorthin führen. Der große Uhrturm des Rathauses beherrscht den Platz, der über flache Stufen zugänglich ist. Die kleinen Gassen haben noch ihren mittelalterlichen Charakter bewahrt. Es gibt eine Gasse für Handwerker, denen man heute durch die offenen, halbrunden Tore bei der Arbeit zuschauen kann, eine andere für die Kaufmannsläden, die in üppiger Pracht ihre Waren vor den Türen im Freien zur Schau stellen, eine weitere für die Figaros und Parfümerien … Zusätzlich ist fast täglich Markt. Auch Obst und Gemüse wird angeboten: wunderbare Orangen, die natürlich nicht der EU-Norm genügen, aber ungewachst sind und noch mit grünem Laub versehen, so süß und saftig, dass wir ganz klebrige Finger beim Schälen bekommen. Dann sind da Löwenzahn, Rucola und andere Blätter, die für Salat geeignet sind, deren Namen ich aber nicht kenne. Hier sitzen die Produzenten aus der Umgebung mit ihren Kisten, die in den kleinen, dreirädrigen Piaggio-Rollern transportiert werden. Zwischendurch ist auch ein Korb mit lebenden Hühnern oder Kaninchen zu sehen. Die Käse- und Fleischstände haben ein bekanntes Aussehen, wahrscheinlich wegen der Kühlung. Wir probieren unterschiedliche toskanische Crostinis und einen frischen Ricotta. Da es kleine Happen sind, darf Paula von den würzigen Crostinis auch etwas naschen. Aber viel Ruhe haben wir nicht! Immer sind wir umringt von einer Traube Italiener, sie lächeln uns an und zeigen auf Paula: »Che bello cane, che bello cane, welch schöner Hund!« Paula steht oder sitzt dann ganz aufmerksam neben uns, macht sich noch ein Stückchen größer, neigt den Kopf und bewegt die Ohren, als verstehe sie alles. Ganz stolz sieht sie aus. Sie strahlt! »Paula, du verstehst ja Italienisch.« Ein Lefzenlächeln.
Die Sprache der Herzen ist überall die gleiche.
DIE ERSTE LÄUFIGKEIT
Auf der Rückfahrt unserer Italienreise bahnt sich etwas an. Um den Urlaub ausklingen zu lassen, bleiben wir noch drei Tage in Ligurien in Küstennähe. Ein junges Paar aus Mailand, beide aus sozialen Berufen, hatte sich entschlossen, einen alten Hof mit Olivenbaumbestand und Olivenmühle zu kaufen und ihn in eine Azienda agricultura (einen landwirtschaftlichen Gastronomiebetrieb) umzubauen. Sie vermieten vier Zimmer und bieten die Übernachtung an mit Frühstück und einem Drei-Gänge-Menü am Abend, für das die eigenen Produkte sowie Produkte aus der Region verarbeitet werden. Ihr Vorhaben ist ihnen sehr gut gelungen, und wir verleben angenehme Tage dort. Bei den Mahlzeiten bringen wir Paula ins Auto, da der einem Wintergarten ähnliche Speiseraum sehr klein ist und unsere große Kleine gar nicht unter die zierlichen Bistrotische passt. In fremden Zimmern wollen wir sie nicht lassen, denn sie würde fortwährend gegen die Klinke der Tür springen, um diese zu öffnen. Allein sein geht nur zu Hause oder im Auto! Die anderen Gäste sind italienische Paare, deutlich jünger als wir und sehr schick. Wir vermuten, dass sie aus Mailand kommen. Ein anschließendes Gespräch bestätigt uns unsere Vermutung. Ja, sie sind Wochenendgäste, genießen eine kleine Erholung auf dem Lande. Bei einem Spaziergang kommt es zu einer heiteren Begebenheit, als wir rufen: »Paula, hierher, hier … Paula!« Denn statt unserer Hündin kommt eine elegante Italienerin, die uns fragend anschaut. Wir sind irritiert, lächeln einander an. »Paula!« Endlich reißt sie sich vom Schnüffeln los und kommt angestürmt. Die Augen der Italienerin blitzen auf. »Mi chiamo Paola, ich heiße Paula«, erklärt sie und reicht uns die Hand. Einem Schwall italienischer Wörter, deren Inhalt wir nur erahnen können, glauben wir zu entnehmen, dass sie sich gerufen fühlte und erstaunt war, als dann niemand da war, den sie kannte. Stattdessen stieß sie auf ein deutsches Ehepaar mit seinem Hund. Nun denn, ob Paula oder Paola: Italiener würden ihren Tieren keine Menschennamen geben. Paola streichelt Paula, dann geht jeder seines Wegs.
Am Tag der Abreise ist Paula völlig aufgekratzt. Sie schleicht auch gar nicht um das Auto herum, was sie bei Aufbruchstimmung sonst immer macht. Sie will noch hierhin und dorthin und strahlt eine große Unruhe aus. Da sie ihre Antibiotika-Spritzen, die sie wegen eines Zeckenbefalls bekommen muss, gut verträgt, schließen wir einen Zusammenhang mit den Zeckenbissen aus. »Ob sie schon läufig wird?« Diese Frage drängt sich auf, denn sie wird bald neun Monate alt. Man gut, dass wir am nächsten Tag wieder zu Hause sind.
Kurze Zeit später ist es dann tatsächlich so weit. Die ersten Blutspuren tauchen auf und eine völlig ausgewechselte Paula, unruhig und fahrig, hält uns beschäftigt. Sie will immer aus dem Haus, am Dorfrand bleibt sie stehen, will keinen Schritt weitergehen, nur die Umgebung taxieren, ob nicht ein Rüde in Sicht ist. Diese verfolgen uns im gleichmäßigen Abstand auf den Spaziergängen, bei denen Paula an der Leine bleibt, sich aber immer nach hinten umschaut und kaum vorwärtsgeht. Einer der Rüden ist besonders hartnäckig. Er läuft mit durch den Wald und wieder zurück. Vielleicht sein bisher längster Spaziergang? Wir fahren mit dem Auto zu anderen Feldwegen, weiter entfernt von unserem Dorf. So haben wir mehr Ruhe, denn Paulas Zustand hat sich dort noch nicht »herumgesprochen«. Aber sie bleibt an der Leine. Doch nun geht die Komödie zu Hause weiter: Die Rüden springen über unseren Gartenzaun und stehen vor der Terrassentür. Selbst einen Methusalem aus unserem Dorf, der sich sonst nur noch mühsam durch die Straßen schleppt, treffen wir plötzlich auf unserer Terrasse an. Die Lust versetzt Berge, in diesem Fall Zäune. Paulas Blutung dauert länger an, als ich erwartet habe. Danach kommt die Zeit möglicher Empfängnis – alles nicht so genau einzuordnen, die Zeiten können sich überschneiden. Wir passen weiterhin gut auf unsere Kleine auf. Als kein Rüde mehr zu sehen ist, wissen wir, dass die anstrengende Zeit vorbei ist. Paula darf wieder allein in den Garten, und