Lust und Liebe dann kam das Leben. Peter Nimsch
auch endlich einmal erleben. Mein Inneres sehnte sich immer mehr danach, auch wenn es oben bei mir noch nicht so richtig ankam. Aber ein wenig romantisch war ich ja schon immer veranlagt und romantisch sollte sie ja sein, die Liebe. Jedenfalls was ich davon so hörte und sah.
»Versuche mich schon seit Längerem als Musiker, mal mehr oder weniger erfolgreich und vorher war ich Grafiker, stapelte ich etwas tief.«
»Habe ich mir schon manchmal gedacht, als ich dich hier so allein oder mit so einem komischen dicken Typen sitzen sah. Bist also nicht nur vom Äußeren ein richtig cooler Typ.«
›Wow, die geht aber ran!‹ »War mein Kumpel Fred, den du manchmal mit mir hier gesehen hast. Hat mir bei der Renovierung die letzten Wochen geholfen. Ganz lieber Kerl«, gab ich etwas ausweichend zurück, musste erst mal klare Gedanken fassen, wie das hier weitergehen sollte.
Von unten, Richtung Klein-Paul kam es fast verzweifelnd, ›Wieso überlegst du noch, wie es hier weitergehen soll? Wirst du alt, mach das doch nicht soooo kompliziert!!! Denk dir einfach den Kopf weg oder stell ihn dir so toll vor wie den restlichen Körper. Dürfte für dich als Grafiker ja kein Problem sein!‹
Und wie zur Bestätigung zuckte Klein-Paul mehrmals, als meine Augen sich, ganz unbemerkt von mir, an dem einladenden Dekolleté mit dem riesigen Inhalt festgefressen hatten.
›Mein lieber kleiner Paul‹, schoss es wütend nach unten zurück, ›hatten wir uns nicht schon so oft vorgenommen und an einem Tag, der noch nicht mal so lange zurückliegt, eigentlich fest geschworen, nicht immer alles mitzunehmen, was sich uns förmlich aufdrängt, besonders nach Muggen? Die ganzen Probleme hinterher, wenn bei dir die Luft raus war und du wieder normal denken konntest! Ich will das einfach nicht mehr, unsere gemeinsame Lust genießen und dann oft in enttäuschte Augen zu blicken, wenn man danach sagte, es war toll aber ich bin doch leider schon vergeben, frei erfundene Handynummern weitergab oder sich andere Lügen zum schnellen Absprung von der jeweiligen Geliebten ausdenken musste.‹
›Jaaaa …, war schon manchmal ganz schön gemein …‹
›Dieser bewusste Tag, an dem wir uns ganz fest versprochen hatten, mein Lieber, anders zu leben. Hatten wir damals auch lange gehalten, unser Versprechen. Besonders als dann Anja in unserem Leben auftauchte und wir fast zum ersten Mal glaubten, angekommen zu sein.‹
›Hab ich nicht‹, kam es kleinlaut von unten zurück.
›Denk einfach noch einmal schnell an diesen Auslöser unseres Versprechens zurück und dann gib endlich Ruhe! Für heute zumindest.‹
›… ich riss an diesem bewussten Tag, nach einer Mugge in einem fremden Bett, blind vor Lust, Pommel die Sachen vom Leib. Und da Pommel - so wollte sie genannt werden - noch schneller war als ich bei ihr, waren wir beide, mein Lieber, nicht mehr zu bremsen.‹ Auch hatte ich damals noch keine Ahnung, was zwar erotische, aber mit verstecktem XXL-Stretch versehene Bodys alles kaschieren können.
Als ich nach einiger Zeit endlich wieder normal denken konnte und auch mein Blick nicht mehr vor Lust verschleiert war, lag Pommel mit gespreizten und angezogenen Beinen vor mir. Busen und Bauchspeck ergaben fast gleichmäßig große, dicke, wellenförmige Erhebungen körperabwärts. Pommels Mund öffnete sich mit einem zärtlichen Lächeln und im tiefsten sächsisch hauchte sie mir entgegen: »… war das scheen mei guder … kommsde morschen wieder zu mir...? … wäre so scheen …!«
›… und die Barbiepuppen und Berge von Plüschtieren im Bett dieser mehr als dreißig Jahre zählenden Pommel, die ich erst jetzt richtig wahrnahm, lachten uns beide, mein lieber kleiner Paul, förmlich aus … Also halt dich bitte zurück, mein Lieber!‹
›Hast ja Recht …‹, kam es fast entschuldigend von unten.
»Was ist denn mit deiner Küche los, ist da was kaputt gegangen oder kannst du nicht kochen?«, holte mich Frau Müller, spöttisch grinsend, in das hier und heute zurück.
»Bin übrigens die Lotte« und blitzartig streckte sie ihre Hand über den Tisch. Ich konnte gerade noch meinen Schoppen Rotwein vor ihrer spontanen Vorstellung retten. Leicht irritiert ergriff ich diese … ›Frau Müller hat ja einen sehr kräftigen Händedruck!‹, stellte ich erschrocken fest und war sehr froh, als dieses Händchendrücken, was viel länger dauerte als notwendig, von ihr beendet wurde.
»In meiner Küche ist nichts kaputt, ist nur nicht so komplett eingerichtet«, versuchte ich es zu erklären. »Vor allem ohne Kühlschrank ist es sehr schwer.«
»Wieso hast du keinen Kühlschrank?«
Die wollte wirklich alles wissen.
»Bin erst vor drei Wochen hier auf der Karli in ein neues Leben gestartet. Hab vieles bei meiner Ex gelassen«, log ich spontan, konnte bei Frau Müller ja trotzdem ein paar Pluspunkte sammeln, auch wenn sie mir ab Hals aufwärts gar nicht zusagte. Sie war einfach nicht mein Beuteschema. Und dazu noch aus Bayern …!
»Du bist ja ein ganz Lieber«, kam es ebenso spontan aber äußerst liebevoll aus diesem schmalen, knochigen Gesicht mit der viel zu spitzen Nase zurück.
Die Frisur ging ja gerade noch, obwohl mir Frauen mit kürzerem Haar noch nie so gefallen haben. Zumindest die Farbe stimmte. Karminrot, meine Vorzugshaarfarbe, genau wie bei Anja.
»Na ja …, manchmal zumindest.«
»Ach so …, ist übrigens mein Lieblingscafé hier auf der Karli.«
»Meins ist es auch, oder besser erneut geworden, seitdem ich hier wieder wohne. War früher auch fast jeden Tag hier. Alleine essen macht mir einfach keinen Spaß.«
»Bist wohl Leipziger?«
»Ja, schon immer gewesen. Wie lange bist du denn schon hier? Kommst doch aus Bayern, wie ich so hören kann?«
»Ich bin meinem Mann beruflich nach Leipzig gefolgt. Ist so eine schöne, lebendige Stadt, mit so freundlichen und offenen Menschen, ich würde gern ewig hier bleiben.«
»Aber?«
»Aber? Ja, es gibt ein Aber! Der Mann, also mein Mann, mit dem ich hierher bin, leitet nicht nur die Großbaustelle für eure neue Unikirche auf dem Augustusplatz, sondern auch seit längerer Zeit seine Tippse zu mehr als nur zum Tippen an.« Ganz traurig schaute sie mich auf einmal an.
Jetzt hatte sogar ich mit einer Frau Müller Mitleid.
»Da sind wir ja richtige Seelenverwandte, du beim Neuanfang und ich knapp davor.« Frau Müller drückte auf einmal zärtlich meine Hand.
›Jetzt fängt sie auch noch mit diesem Esoterikkram an. Na ja Bayern …, Berge, Kühe, Kühe und nochmals Kühe und Bilderbuchwiesen, da muss man ja esoterisch werden.‹ Immer noch hielt Frau Müller zärtlich, sie hatte wohl vorhin mein verkrampftes Gesicht bemerkt, meine Hand fest.
›Bremsen, jetzt und sofort!‹, schrie es in meinem Kopf. Das kann echt gefährlich werden mit Frau Müller.
»Bin hundemüde«, versuchte ich meinen Abgang vorzubereiten. »Habe innerhalb von knapp drei Wochen aus einer Höhle, zusammen mit meinem Kumpel Fred, eine super kreative Vorzeigehöhle gezaubert.«
»Höhle, wieso Höhle?«
Und so erzählte ich Frau Müller, wie ich meine Höhle vorgefunden hatte und wie diese jetzt aussah.
»… und im großen Zimmer steht mitten im Raum eine Duschkabine umgeben von großen Ficus Bäumen, fast wie eine kleine Oase …«, versuchte ich die Beschreibung zu beenden und mich von ihr zu verabschieden.
»… das glaube ich dir nicht, wirklich …???«, Frau Müller kriegte sich fast nicht mehr ein. »Das würde ich gerne einmal mit eigenen Augen bewundern.«
›Manche sollten meine Dusche sehen und vielleicht auch mit mir gemeinsam genießen …, mmhhh …, aber nicht Frau Müller‹, schoss es mir spontan durch den Kopf. Aber vielleicht sollte ich für ganz, ganz schlechte Zeiten, die eventuell kommen könnten, etwas vorbauen? »Na, vielleicht zeige ich sie dir mal. Bin aber heute wirklich echt kaputt«, log ich ein wenig.